Normalerweise wird Mina Saidze von Frauenmagazinen angefragt. Mal handelt es sich um ein Interview zum Thema Frauenförderung, mal ist es ein Porträt über ihren Werdegang, ausführlich beschrieben und "pink und flauschig" verpackt, wie sie scherzhaft sagt. Sie findet es wichtig, dadurch ein weibliches Publikum direkt ansprechen zu können, doch vor allem geht es ihr um die Wirtschaft. Konkreter: Um die wirtschaftlichen Folgen des Frauenmangels, insbesondere in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Datenanalyse. Ein Thema, das nicht nur Frauenmagazine betrifft.
Mina Saidze ist die Gründerin der Lobby- und Beratungsorganisation "European Women in Data", deren Hauptziel es ist, mehr Diversität in der Datenwelt zu fördern und Frauen für Tech zu begeistern. Wenn sie davon erzählt, erwähnt sie zahlreiche Studien, die alle zu dem gleichen Schluss kommen: Im Niedriglohnsektor sind Frauen gut vertreten, bei den Data-Jobs aber eine Minderheit. Ein Beispiel: Laut dem Global Gender Gap Report 2018 des Weltwirtschaftsforums sind nur 16 Prozent aller KI-Fachkräfte in Deutschland weiblich. Das hat Gründe, etwa das schlechte Image des Berufs, der als wenig kreativ gilt, und die geringeren Aufstiegschancen für Frauen, die sich schwertun in einer Männerdomäne. Das hat aber auch Konsequenzen: "Bei den Berufen im Bereich der KI und Big Data geht es um die Frage, wie unsere Welt von morgen aussieht. Derzeit sind die Entwicklerteams von den mächtigsten Technologien überwiegend weiß, männlich und der Mittel- und Oberschicht angehörig, was dazu führt, dass Services, Geschäftsmodelle und Produkte aus einem homogenen Blick entwickelt werden", sagt Saidze. Ein Beispiel dafür sei die Forschung für autonomes Fahren, wo man immer noch für die Tests männliche Körpermaße verwendet.
Mina Saidze ist 1993 in Hamburg geboren, als Tochter politischer Aktivisten aus Iran und Afghanistan. Über ihre Familiengeschichte spricht sie vor allem deshalb, weil diese bei ihrem Engagement eine Rolle spielt: "Themen wie Demokratisierung und Gendergerechtigkeit sind für meine Eltern ein Herzensanliegen, das ich mit der Muttermilch aufgesogen habe", sagt sie. Nach dem Abitur ging es nach Berlin: Ein Jahr lang studierte sie Sozialwissenschaften, dann merkte sie, dass sie an Daten und Statistiken Spaß hatte, also wechselte sie zur Volkswirtschaftslehre, sammelte praktische Erfahrung im E-Commerce und in der Medienbranche und brachte sich die Datenbanksprache SQL und die Programmiersprache Python selbst bei, wie sie erzählt. Saidze hat also keinen technischen Background: Sie gilt als Quereinsteigerin und ist der Meinung, dass eine größere Offenheit gegenüber Quereinsteigern - was übrigens in Ländern wie die USA schon die Regel ist - den Fachkräftemangel in Deutschland lindern könnte.
Heute arbeitet Mina Saidze als Datenanalystin bei einem E-Commerce-Unternehmen, und wenn es nach ihr ginge, würde sie das Fach "Grundlagen der Datenanalyse" zu allen Studiengängen hinzufügen, denn für sie ist das eine Methodenkompetenz, die in jedem Bereich gefragt ist, egal ob man im Finanzwesen oder in der Kultur tätig ist. Nebenbei organisiert sie Workshops, macht Lobbyarbeit und hält Vorträge auf Konferenzen. In Letzteren plädiert sie häufig dafür, den Fokus zu verschieben: "Die Debatte um KI und Big Data wird technokratisch geführt, während die sozialen Aspekte untergehen. Dabei sollten wir uns häufiger fragen, welche konkreten Auswirkungen das für die Gesellschaft und insbesondere für die Frauen hat, deren Jobs von der Automatisierung besonders gefährdet sind", sagt Saidze.