Süddeutsche Zeitung

Das Valley und der Präsident:Sie hassen und sie lieben ihn

Lesezeit: 4 min

Das Silicon Valley begreift sich als freiheitsliebend. Das verträgt sich nicht mit Trumps Politik.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Die Zukunft stellte sich für das Silicon Valley lange Zeit als Kurve dar: Steil führte sie nach oben, hin zum technologischen und zivilisatorischen Fortschritt, so die Erwartungshaltung. Auch die Politik hatte darauf keinen Einfluss. Zyniker behaupten, Washington sei für die Technologiebranche nur in zwei Punkten relevant: bei den Steuern und der Vergabe von Visa für ausländische Mitarbeiter. Seit Beginn der Trump-Ära hat sich das geändert. Den Granden an der Westküste dämmert, dass sie nicht mehr die einzigen "Changemaker" im Land sind. Könnte Donald Trump die Zukunftskurve tatsächlich in eine völlig andere Richtung biegen?

Noch geht es vor allem ums Prinzip: Das Einreiseverbot für Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern betraf nur einen kleinen Teil der Mitarbeiter, dennoch erschütterte es die Branche. Nirgendwo sonst stellen Einwanderer der ersten oder zweiten Generation - gerade aus Asien - mehr Gründer und Führungspersonal als im Technologiebereich. Und schon bald könnte es ums Geschäft gehen: Derzeit kursiert der Entwurf eines Dekrets der Trump-Regierung, das die Vergabe der H1B-Visa einschränken könnte, mit denen die Firmen hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus aller Welt ins Land holen.

In den vergangenen Jahren unterstützte der Kongress die liberale Visa-Politik, auch, weil die Tech-Konzerne schon lange und immer aufwendiger Lobbyarbeit in Washington betreiben. Ein Unternehmen wie Facebook, aus dessen Belegschaft in den USA 15 Prozent mit H1B-Visa im Land arbeiten, hätte ohne den Einkauf von Arbeitskräften nie so schnell wachsen können. Auch jüngere Firmen können ihre aggressive Strategie nur mithilfe ausländischer Arbeitnehmer durchziehen: schnell Produkte aktualisieren und Märkte erobern.

Die Konzerne spendeten für die Antrittsfeier - kurz darauf protestierten sie

Allerdings ist der im Valley gepflegte Mythos vom H1B-Mitarbeiter, der nach zehn Jahren die langfristige Aufenthaltserlaubnis erhält und zum Gründer wird, nur ein Teil der Wahrheit. Längst haben sich Subunternehmen darauf spezialisiert, junge und gut qualifizierte Mitarbeiter in die USA zu bringen, um sie für Löhne unter Marktniveau an die Technologiefirmen zu verleihen. Dabei entstehen Abhängigkeiten: Wer seine Stelle verliert, muss innerhalb weniger Wochen einen neuen Job bei einer Firma finden, damit diese das Visum übernimmt. Manch amerikanischer Mitarbeiter im Valley äußert schon länger Kritik am H1B, kann die günstigere Konkurrenz doch auch der eigenen Verhandlungsposition schaden.

Das Verhältnis der Branche zur neuen Regierung ist komplex. Für die Feier zur Amtseinführung spendeten die Großfirmen noch fleißig, zwei Wochen später forderten 127 Unternehmen in einem Brief, das umstrittene Einreiseverbot aufzuheben. Auf den höchsten Ebenen positionierten sich Tech-Firmen gegen die Regierung und unterstützten Betroffene finanziell. Google-Mitgründer Sergey Brin ließ sich bei den Protesten auf dem Flughafen in San Francisco blicken, ausdrücklich in privater Funktion, versteht sich.

Travis Kalanick, Chef des Milliarden-Start-ups Uber, trat aus einem wirtschaftlichen Beratergremium der neuen Regierung zurück - allerdings erst, nachdem schätzungsweise 200 000 Nutzer die App seiner Firma aus Protest deinstalliert hatten. Tesla-Gründer Elon Musk dagegen sagt, er wolle nicht in Frontalopposition zu Trump gehen, sondern im Gremium bleiben und den Präsidenten beeinflussen. "Kann es denn wirklich gut sein, wenn ihn nur noch Extremisten beraten?", fragte er auf Twitter. Allerdings dürfte er nicht abgeneigt sein, mit seiner Raumfahrt-Firma Space X bei möglichen Plänen einer neuen Mondmission eine Rolle zu spielen.

Google-Chefdiplomat Eric Schmidt sagte seiner Belegschaft, dass die Trump-Regierung "böse Dinge" tun werde. Jedoch umwirbt er der New York Times zufolge zugleich "aggressiv" republikanische Abgeordnete. Er will wohl einen Teil von Googles großem Einfluss aus der Obama-Ära bewahren. Der ehemalige AOL-Chef und heutige Investor Steve Chase beschrieb die Lage jüngst so: "Es fehlt Klarheit, was Trumps Tech-Politik sein wird, aber das könnte eine größere Chance bedeuten, seine Politik zu beeinflussen."

Gerade für global agierende Konzerne gibt es viel zu gewinnen. Die Republikaner erwägen, die Steuer auf ausländische Gewinne von 35 Prozent auf zehn oder 15 Prozent zu senken. Bislang parken Unternehmen wie Apple, Google und Microsoft zig Milliarden Dollar im Ausland, um diese Steuer nicht abführen zu müssen.

Gelingt es den Konzernen, auf die Handelskommission FTC Einfluss zu nehmen, könnte das zudem lästige Fragen zu ihren marktbeherrschenden Stellungen ersparen.

Da trifft es sich gut, dass Investor, Monopol-Fan und Trump-Berater Peter Thiel mit dem Auswahlprozess betraut sein soll. Firmen wie Uber können damit rechnen, dass Washington keine Versuche unternehmen wird, den offiziell selbständigen Fahrern gesetzliche Ansprüche auf Anstellung zu verschaffen.

Auf der anderen Seite könnten Trump und sein Kabinett Regelungen zur Netzneutralität kippen, Ermittlern und Geheimdiensten mehr Datenzugriffsrechte einräumen und das exponentielle Wachstum der Tech-Branche durch oben genannte Visa-Beschränkungen einbremsen.

Doch natürlich lebt die Technologie-branche von mehr als reinen Kosten-Nutzen-Rechnungen - und das nicht nur, weil Kunden offenbar zunehmend politische Glaubwürdigkeit einfordern.

Der zur Schau getragene Idealismus mag angesichts offensichtlicher Profitinteressen einstudiert wirken, doch in der Tat ist die richtige Einstellung auch intern überlebenswichtig: Die Treue der Mitarbeiter bedeutete im Silicon Valley schon immer die Treue zu dem Ideal, das die Firma verkörpert.

IBM-Mitarbeiter schrieben, die Chefin solle Projekte ablehnen, "die der Freiheit schaden"

Lange Zeit galten Tech-Mitarbeiter als liberale Individualisten: Sie streben nach Weltveränderung, aber nur in Form technologischer Lösungen oder cleverer Hacks. Aus der Politik halten sie sich oft heraus. Viele werten ihren persönlichen Erfolg als Beweis für eine funktionierende Chancengleichheit, deshalb proklamieren sie das Leistungsprinzip. Ein relevanter Teil der Branche hat daraus marktradikale Positionen abgeleitet, wie sie Trump-Unterstützer Thiel verkörpert.

In den vergangenen Jahren wurde das Selbstverständnis der kalifornischen Zukunftswerkstatt jedoch häufiger auf die Probe gestellt: Es häuften sich Probleme mit Sexismus und fehlender Minderheitenförderung, die Branche begann, gesellschaftliche Folgen von Digitalisierung und Automatisierung wahrzunehmen und problematische Geschäftspraktiken, wie sie eine Firma wie Uber verkörpert, zu hinterfragen.

Köpfe wie der angesehene Gründer Anil Dash mögen zwar nicht die Prominenz finanzstarker Investoren wie Marc Andreessen erreichen, innerhalb der Szene werden ihre Appelle, endlich gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, aber durchaus vernommen.

Vielleicht liegt es neben dem klaren Feindbild Trump auch an solchen Debatten, dass einige Mitarbeiter sich nun deutlicher positionieren und dies auch von ihren Arbeitgebern einfordern: Nach dem Einreiseverbot protestierten Ende Januar etwa 2000 Google-Angestellte gegen Trump.

Für den 14. März planen Tech-Angestellte eine Demonstration in Palo Alto. Eine Amnesty-Demonstration vor Thiels Datenanalyse-Firma Palantir fand aus der Branche durchaus Zulauf, heißt es. Tausend Mitarbeiter von IBM, deren Chefin Ginni Rometty Trump berät, unterzeichneten einen kritischen Brief, in dem sie fordern, "Projekte, die der Freiheit schaden, abzulehnen".

Die nach der Wahl gegründete Gruppe Tech Solidarity sammelt unterdessen Spenden und Unterstützer. Brisant ist dabei, dass die Initiative nebenbei auch die gewerkschaftliche Organisation von IT-Mitarbeitern vorantreibt. Einen solchen Zusammenschluss der Arbeitnehmer wollen vom Start-up bis zum Großkonzern alle Firmen in den USA traditionell verhindern. Für das Silicon Valley könnte das politische Erwachen seiner Bewohner einige Überraschungen parat halten.

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SZ vom 15.02.2017
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