Süddeutsche Zeitung

Das Geschäft mit der Strafe:Warum Goldman Sachs in Häftlinge investiert

Ein neuartiges Finanzierungsmodell soll die Sozialarbeit in Anstalten revolutionieren. Mit "Social impact bonds" spekulieren Investmentbanker auf den Erfolg von Betreuern bei der Senkung der Rückfallquote. Die Rollen zwischen Staat und Privat werden dabei radikal neu verteilt.

Ronen Steinke

Klingt so etwas lukrativ? New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg hat kürzlich einen Auftrag für ein schwieriges Stück Sozialarbeit ausgeschrieben: 3400 jugendliche Straftäter, die auf der Gefängnisinsel Riker's Island einsitzen, sollen in den kommenden vier Jahren unterrichtet und beraten werden. Auftragsvolumen: 9,6 Millionen Dollar.

Welcher Sozialhilfeträger möchte den Auftrag übernehmen? Die Klientel könnte schwieriger kaum sein, die Gefahr, die von ihr ausgeht, kann man an hohen Rückfallquoten ablesen. Wer sich die Aufgabe dennoch zutraut und es schafft, die Rückfallquote der Straftäter merklich zu senken, der darf einen kräftigen Bonus aus der Stadtkasse erwarten: Das Honorar von 9,6 Millionen Dollar könnte dann um bis zu 2,4 Millionen Dollar steigen. Andererseits hat der Auftrag auch einen Haken: Wenn der Sozialhilfeträger es nicht schafft, die Rückfallquote wenigstens um zehn Prozent zu reduzieren, dann bekommt er am Ende: keinen Cent.

Mehr noch, bis sich erste Erfolge abzeichnen, schießt die Stadt New York auch keinen Cent vor. Stattdessen springen solange die Investmentbanker von Goldman Sachs ein, mit einem Kredit an die Sozialarbeiter in Höhe von 9,6 Millionen Dollar. "Social impact bonds" heißt dieses neuartige Finanzierungsmodell, das hier erstmals in den USA erprobt wird. Die Investmentbank spekuliert damit auf den Erfolg der Sozialarbeiter. Wenn alles gelingt, kann die Bank einen Teil des Erfolgsbonus abschöpfen. Falls nicht, behält sie die Sozialarbeiter als Schuldner.

In London oder im australischen Bundesstaat New South Wales experimentieren Politiker mit diesem neuen Finanzierungsmodell schon länger. Das Modell der Social impact bonds verteilt die Rollen zwischen Staat und Privat radikal neu.

Der Staat

Die öffentliche Hand erteilt Sozialarbeitern den Auftrag. Mithilfe von Social impact bonds kann der Staat sich aber von dem Risiko freihalten, dass die Sozialarbeiter anschließend das tun, was Sozialarbeiter oft tun: Rückschläge erleben, Enttäuschungen einstecken. Der Staat wälzt das finanzielle Risiko, das gerade mit seinen schwierigsten Aufgaben verbunden ist, damit auf den privaten Träger ab - obwohl er selbst politisch in der Pflicht steht.

Der private Sozialhilfeträger

Damit sich der private Träger - in Deutschland etwa die Caritas oder die Awo - auf so etwas einlässt, muss er schon recht überzeugt von sich sein. Denn wenn er lediglich den Mangel verwaltet (was schon schwierig genug sein kann), dann wird er am Ende keinen Cent sehen. Beim in New York ansässigen privaten Sozialhilfeträger MDRC, der den aktuellen Auftrag von Bürgermeister Bloomberg angenommen hat, darf man von einem über Jahrzehnte gewachsenen Selbstvertrauen ausgehen: MDRC erforscht seit 1974 empirisch, welche Wirkungen bestimmte sozialpolitische Maßnahmen auf die Kriminalitätsrate in einer Gemeinde haben. Im aktuellen New Yorker Fall gibt es auch noch eine Besonderheit, welche die Entscheidung für MDRC erleichtert: Bürgermeister Bloomberg lockt den Sozialhilfeträger ausnahmsweise mit dem Versprechen, das finanzielle Risiko noch einmal abzufedern. Sollte MDRC am Ende scheitern und somit auf den Schulden gegenüber Goldman sitzen bleiben, dann würde Bloomberg mit seiner persönlichen Stiftung einspringen. Die Bloomberg Philanthropies bürgt für den 9,6-Millionen-Dollar-Kredit, den MDRC bei Goldman Sachs aufnehmen muss, selbstschuldnerisch bis zu einer Höhe von 7,2 Millionen Dollar.

Der Investor

Wenn Goldman Sachs Geld darauf setzt, dass die Sozialarbeiter von MDRC es schaffen, die Rückfallquote jugendlicher Strafgefangener um zehn Prozent oder mehr zu senken, dann ist dies eine Wette. Eine bemerkenswert optimistische sogar. Ob es am Ende eine Rendite gibt, hängt von vielen sozialen Faktoren ab. Bei weitem nicht nur von der Qualität des Resozialisierungsprogramms, welches Goldman Sachs vorab analysieren kann. Der Investor macht damit freilich auch PR in eigener Sache: "Wir haben uns mit dem Risiko anfreunden können, was manche andere Finanzinstitute vielleicht nicht konnten", ließ Goldman-Managerin Alicia Glen gleich nach der Vertragsunterzeichnung verbreiten.

Die Anreize

Aus Sicht des Staates klingt die erfolgsabhängige Bezahlung von Sozialarbeitern verlockend. "Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir einfach nur für Zeug bezahlen und dann hoffen, dass es etwas bringt", wirbt der Finanzminister des US-Bundesstaats Massachusetts, Jay Gonzalez, der dem New Yorker Beispiel folgen möchte. "Sozialhilfeträger bekommen einen Anreiz, so effektiv wie möglich zu sein", wirbt auch die britische Unternehmensberatung Social Finance. Kritiker wie der emeritierte Harvard-Professor Mark Rosenman warnen indessen: Sozialarbeiter erhielten einen Anreiz, ein eventuelles Scheitern zu vertuschen.

Und der Sozialwissenschaftler Matthias Nauerth von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Hamburg fügt hinzu: Mit Social impact bonds könnten lediglich diejenigen Methoden der Sozialarbeit finanziert werden, die eine kurzfristige Wirkung zeigen. Hauruck-Methoden - man könnte zum Beispiel an die harsche Einschüchterung von jungen Straftätern in amerikanischen Boot Camps denken - würden finanziell bevorzugt. Projekte, deren Ziele erst in einem zweiten oder dritten Durchgang erreicht würden, hätten demgegenüber das Nachsehen.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2012/juha
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