Das Geld der vielen:Der Schwarm

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Die Finanzierung durch die Masse der Internetnutzer hat sich längst etabliert. Über einen wachsenden Markt mit eigenwilligen Regeln.

Von Lea Hampel und Jan Willmroth

Monumentale Musik und große Worte, dunkle Augen, mit denen ein junger Mann in die Kamera schaut: "Mit jedem Euro können wir ein Zeichen setzen", sagt er, "beweisen, dass es eine Alternative gibt, und zeigen, dass auch kleine Unternehmen eine Wahl haben." Was klingt wie eine Kampagne für mindestens die Verbesserung der ganzen Welt, ist in Wahrheit ein Werbevideo zu einem neuartigen Server für gar nicht so benachteiligte Kleinunternehmen. Protonet heißt die Hamburger Firma dahinter und hat im Sommer 2014 einen Crowdfunding-Rekord gebrochen: Sie sammelte drei Millionen Euro in fünfeinhalb Tagen ein.

Solche Erfolgsgeschichten sind die Ausnahme, aber sie werden seit einigen Jahren am liebsten erzählt. Crowdfunding - Schwarmfinanzierung, die Vermittlung von Spenden, Krediten und Direktbeteiligungen über Web-Plattformen - gilt als moderne Alternative zu langwierigen Gründungsfinanzierungen. Kickstarter, die weltgrößte Plattform aus den USA, zählt an die 90 000 Projekte seit 2009; bislang gaben Spender mehr als 1,8 Milliarden Dollar her. Verglichen damit ist der deutsche Markt überschaubar. Trotzdem wächst er rasant: Startnext, eine deutsche Plattform für kreative Projekte, hat seit der Gründung 2010 fast 2800 Unternehmungen mit etwa 21 Millionen Euro ermöglicht. Bundesweit dürfte in der ersten Jahreshälfte 2015 mehr Geld zusammengekommen sein als im gesamten vorigen Jahr, schätzt der Branchenverband German Crowdfunding Network.

Die Bandbreite der Projekte ist riesig: Von Bambusklopapier und Kulturfestivals über Soloalben für Musiker bis hin zu Solarleuchten für Entwicklungsländer, Windkraftanlagen oder einer Wikipedia für Hobbygärtner. Geschäftsideen, die nie umgesetzt würden, erhalten plötzlich eine Chance. Projekte, für die sonst nie genügend Geldgeber zusammengekommen wären, werden mit einem Mal Realität.

Das System scheint also etabliert zu sein - aber ist es auch gereift? "In Deutschland wächst das Segment viel langsamer als in den USA oder Großbritannien", sagt Ralf Beck, Professor für Betriebswirtschaft an der FH Dortmund und Experte für Crowdfunding. Von einem Gegenmodell zur klassischen Finanzierung könne man noch nicht sprechen - eher ergänzten sich verschiedene Modelle. "Noch ist der Markt in einer Nische, aber aus der kommt er langsam heraus", sagt Beck. Wobei es den einen Markt eigentlich nicht gibt.

Ein Schwarm Stare fliegt über der Küste Algeriens: Wenn sich viele zusammentun, sind sie stärker als einer allein - das gilt auch für die Finanzierung von Projekten und Geschäftsideen. (Foto: Fayez Nureldine/AFP)

Denn Crowdfunding hat sich als Oberbegriff für ein Prinzip etabliert: Viele Menschen geben kleine Summen für einzelne Projekte. Mit der Zeit wuchs die Zahl der Konzepte. Crowdinvesting, die Beteiligung an Firmen, Crowdlending, Kredite für Privatleute oder kleine Unternehmen, Crowdfunding im klassischen Sinn mit Belohnungen für die Geldgeber. "Oft wird dabei schon ein Produkt verkauft, bevor es existiert", sagt Beck. So dient Crowdfunding zugleich der Vorfinanzierung und wird zum günstigen Marketing-Instrument, wenn es gut gemacht ist.

Wenn eine Kampagne gut gemacht ist, gibt die Plattform einen Aufmerksamkeits-Schub

Nicht selten sind die skurrilsten Projekte die erfolgreichsten. Das reicht vom fair produzierten Kondom über die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens bis zu dem zuletzt berühmt gewordenen Versuch, genug Menschen zu finden, die sich an der Abzahlung der griechischen Schulden beteiligen wollen.

Die Plattformen funktionieren dann wie ein Aufmerksamkeits-Multiplikator. Und das ist gerade für junge Unternehmen interessant. "Das kann eine gute erste Maßnahme zum Markteintritt sein", findet Thomas Fürst, der das Existenzgründungszentrum bei der Münchner Stadtsparkasse leitet. Auch als erster Test auf die Marktreaktion. Allerdings: Schwarmfinanzierung funktioniert vor allem mit emotionalen Ideen und solchen mit Internetbezug. Produkte mit Geschichte, etwa der erfolgreiche Löffel für Parkinson-Kranke, verbreiten sich eben schneller im Netz. Spezieller wird es bei Unternehmensbeteiligungen: Geldgeber wetten beim Crowdinvesting auf die Wertsteigerung ihrer Anteile - und müssen jahrelang warten. "Für ein Fazit ist es sicher noch zu früh", sagt Experte Beck. Bei vielen Firmen sei noch nicht abzusehen, ob sie dauerhaft erfolgreich sein werden.

Wenn eine Kampagne gut gemacht ist, gibt die Plattform einen Aufmerksamkeits-Schub

Die Finanzierungsmöglichkeiten für Gründer waren jedenfalls nie so vielfältig. "Die Crowd sollte aber nicht die Alternative dazu sein, sich Gedanken zu machen", sagt Fürst. Zumal die Zeiten vorbei sind, in denen junge Gründer in T-Shirts skeptischen älteren Herren im Anzug gegenüber-saßen. Viele Banken haben inzwischen eigene Gründerzentren. "Die meisten Kunden interessiert zwar am meisten, ob sie das Geld bekommen", sagt Fürst. Das Gespräch mit einem Bankberater habe aber auch eine Filterfunktion. "Wir klären schnell: Das ist die Idee - aber ist die schon konzeptioniert? Wo steht der Kunde?" Er will seine Kunden möglichst schnell zum Businessplan bringen. Ist der nicht schlüssig, fließt auch kein Geld. Die Bankberater sehen sich zudem Vita und Auftreten des künftigen Schuldners an.

Fair wählen

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(Foto: fair)

Die Idee für das Mobiltelefon war so einfach wie überzeugend und passte perfekt ins Schema, das erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen erfüllen müssen: Ein Produkt für den Alltag, das eine Alternative zu großen Firmen bietet und auch noch umweltfreundlich ist. Von Anfang an hatte das Fairphone (Foto: fairphone.com) deshalb sowohl zahlreiche Unterstützer als auch Vorabbestellungen. Vor allem die Ankündigung, so wenig Rohstoffe aus Konfliktgegenden zu verwenden wie möglich, überzeugte offenbar viele Geldgeber. Insgesamt wurden 60 000 Exemplare der ersten Generation verkauft. Jetzt soll im Herbst die nächste Generation erhältlich sein - teurer zwar, aber auch länger haltbar.

Sauberes Licht

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(Foto: N/A)

Besonders berühmt ist das Gravity Light (Foto: oh) nicht. Die Kriterien für eine erfolgreiche Kampagne erfüllt es aber gänzlich: Innovation kombiniert mit Weltverbesserung. Annähernd 20 Prozent der Menschen auf der Welt leben ohne Strom, viele behelfen sich nach Einbruch der Dunkelheit mit oft selbstgebauten Kerosinlampen. Das ist gesundheitsschädlich und gefährlich, und die Gründer wollen es ändern. In ihrer Schwerkraft-Lampe stecken eine LED-Leuchte und ein Minigenerator, den ein Plastikriemen mit einem beliebigen, etwa zehn Kilogramm schweren Gewicht antreibt. 20 Minuten soll sie Licht spenden - und ihre zweite Generation soll sogar in Kenia produziert werden.

Kalorien-Uhr

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(Foto: Gobe)

Eine Crowdfunding-Kampagne, für die ein Schmähbegriff die Runde macht: Genau das hat die GoBe-Smartwatch (Foto: oh) erreicht. Das Projekt bekam das englische Wort "scampaign" verpasst, eine Schöpfung aus den Begriffen für Betrug ("scam") und Kampagne. Dabei war die Idee innovativ. Der GoBe Körper-Manager sollte den Puls zählen, aber auch die Kalorien, die wir zu uns nehmen - und das über die Haut. Auf der US-Plattform Indiegogo kamen dafür mehr als eine Million Dollar zusammen. Letztlich gab es nicht nur Ärger um Scheinfirmen und Pfusch-Technik, sondern ausstehende Lieferungen und Forderungen nach Rückerstattung - eben um den großen Betrug.

Fauler Millionär

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(Foto: N/A)

Als der aus der Krankenhausserie "Scrubs" bekannte Schauspieler Zach Braff seine Komödie "Wish I was here" per Kickstarter finanzieren wollte, sorgte das für Aufsehen. Einige unterstellten ihm, er sei schlicht zu faul, bei den großen Studios Klinken zu putzen. Braff, der auch mit dem Film "Garden State" viele Kinomillionen einspielte, mangelt es auch nicht unbedingt an Geld. Er argumentierte mit der künstlerischen Freiheit, betonte in seinem Werbevideo, selbst andere Projekte unterstützt zu haben - und erhielt von 46 520 Unterstützern mehr als drei Millionen Dollar. Im Oktober 2014 lief Braffs Film in deutschen Kinos. In den Kritiken fiel er allerdings durch.

Karton-Fahrrad

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(Foto: N/A)

Seine Frau hielt ihn zuerst für verrückt. Die meisten, die seine Kampagne angeklickt haben, wohl auch. Der israelische Tüftler Izhar Gafni war wie angefixt von der Idee, sein Cardboard-Bike (Foto: oh) zu konstruieren, nachdem er eines Tages ein Papp-Kanu gesehen hatte. Fahrräder: sein Hobby. Pappe als Werkstoff: seine Vision. Bis auf Reifen, Pedale und Kette sind an dem Prototyp, mit dem er durch sein Werbevideo fährt, tatsächlich alle Komponenten aus verstärktem Recycling-Karton. So niedlich Gafni wirkt und so skurril das tatsächlich funktionierende, wasserfest lackierte Papp-Bike ist, so ungewiss ist die Zukunft. Finanzierungsziel nicht erreicht, nie wieder von gehört: leider vergessen.

Ähnliche Filter versuchen zwar auch Crowdfunding-Plattformen einzubauen. Kickstarter etwa rät zum Besuch beim Steuerberater und schreibt, Gründer sollten auch Ausgaben auflisten, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich sind, wie Verpackung und Versand. "Vielen Plattformen fehlen qualifizierte Mitarbeiter und Erfahrung in der Unternehmensbewertung", sagt Ralf Beck. Für nicht projektbezogen arbeitende Erstunternehmer reicht die Selbstkontrolle in der Regel nicht aus. Immer noch stehen auch in Gründerberatungen Menschen, die zwar eine Idee, aber keinen Geschäftsplan haben.

In vielen Fällen ist ein Dreiklang sinnvoll: Beratung von Profis, Finanzierung von Bank und Kapitalgebern, Aufmerksamkeit und zusätzliches Geld vom Schwarm. Einen Großteil davon versucht Seedmatch abzudecken, der Marktführer für Crowdinvesting in Deutschland: Auch dort braucht man einen Businessplan. Protonet hatte von Anfang an gute Karten. Doch auch für die Hamburger Firma sind die Seedmatch-Millionen nur ein Teil des Erfolgs: "Vielleicht stärker als das Geld hat euer Vertrauen gewirkt", sagt einer der Gründer, Ali Jelveh, der Mann mit den braunen Augen in dem Video.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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