Das Ende der Erlkönige:Abschied von den geheimen Fahrten

Daimler beerdigt die Erlkönige: Der Autohersteller forciert Tests im Fahrsimulator. Die virtuelle Probefahrt hat viele Vorteile.

Thomas Fromm

Experten nennen sie liebevoll "Erlkönige", jene neuen Automodelle, die die Hersteller zu geheimnisvollen Testfahrten auf die öffentlichen Straßen schicken. "Erlkönige" - die Analogie zur Goethes Ballade vom Erlkönig, der noch zu später Stunde "durch Nacht und Wind" reitet, ist nicht zufällig. Denn oft ziehen die Wagen tatsächlich erst am Abend aus.

Fahrsimulator, Abbremsen, Bremsassistent, Unfallquote, ABS, ESP

Im Fahrsimulator kann so ziemlich alles nachgestellt werden - sogar das Risiko, dass der Fahrer wegnickt.

(Foto: Daimler)

Da sie so neu sind, dass sie noch keiner sehen darf, werden sie oft mit den Karosserien älterer Modelle getarnt oder werden gleich abgedeckt. Immer ist es das Gleiche: Die Fahrer müssen herausfinden, wie die Wagen unter echten Bedingungen funktionieren, bevor sie an die Kunden verkauft werden. Spätestens zwei Jahre vor dem Serienstart gehen sie dann raus auf die Straße: Getarnte unbekannte Autos, die jede Nacht ihre Runden durch Deutschland drehen - im Grunde also eine ziemlich mysteriöse Angelegenheit.

Zuletzt waren die Hersteller und ihre Erlkönige immer öfter unter Druck geraten. Mal war es ein verkleideter Porsche 911 Cabriolet-Prototyp, der bei einer Testfahrt verunglückte. Mal raste der Testfahrer eines neu entwickelten Mercedes M-Klasse bei Rottweil mit Vollgas in eine Unfallstelle. Experten mahnen daher schon seit langem: Die Erlkönige sollten auf Teststrecken getestet werden, aber nicht im öffentlichen Verkehr.

Die Hersteller versuchen daher schon seit langem, so viel wie möglich per Computer zu testen. Nicht nur, weil das sicherer ist - es ist auch weniger aufwendig und billiger. Daimler hat nun einen neuen Fahrsimulator vorgestellt, mit dem etliche Testfahrten virtuell simuliert werden können - ein Standard, heißt es in der Branche, wie er schon seit Jahren in der Flugzeugindustrie gängig sei.

Daimler will künftig viele Tests auf der Straße überflüssig machen. Man könne nun das "reale Fahrzeugverhalten in Echtzeit simulieren", sagte Daimler-Forschungsvorstand Thomas Weber am Dienstag in Sindelfingen. Dazu gehörten kompliziertere Fahrmanöver wie Spurwechsel, Lichttests oder auch der Einsatz von Fahrerassistenzsystemen. Die Tests würden gemacht, bevor das Auto erstmals auf die Straße gelassen werde.

Heute lege der Konzern mit neuen Fahrzeugen weltweit zwischen zehn und 20 Millionen Kilometer im Jahr für Testzwecke zurück. Immerhin - dies wären 500 Erdumrundungen, die Daimler hier jedes Jahr mit seinen Fahrzeugen unternimmt. Eine kostspielige Angelegenheit also. Wie viel Geld sich mit Hilfe des neuen Fahrsimulators einsparen lässt, wollte der Auto-Konzern am Dienstag nicht verraten.

"Es wird ohnehin auch weiterhin noch Testfahrten geben, aber eben nicht mehr so viele und nicht für alle Bereiche wie bisher", sagte Herbert Kohler, Leiter "E-Drive & Future Mobility" in der Forschungsabteilung bei Daimler, der Süddeutschen Zeitung. Ein Klassiker für Computer-Erlkönige sei das Prüfen von automatischen Systemen zur rechtzeitigen Müdigkeitserkennung. "Man stelle sich vor, wir würden Einschlafkontrollen auf der Straße testen", so Kohler. "Das ist unmöglich."

Schon 1985 hatte der Konzern damit begonnen, an Fahrsimulatoren zu arbeiten. "Daimler waren mit die ersten, die hier sehr viel Geld investiert hatten", sagt der Produktionsexperte Professor Horst Wildemann von der TU München. "Entscheidend ist, dass man mit Hilfe des Computers Zeit, Aufwand und Kosten beim Testen neuer Modelle sparen kann."

Der Fahrsimulator ist ein futuristisch anmutendes Gebilde: eine runde Kuppel, insgesamt 7,5 Meter Durchmesser, und er steht auf sechs Stelzen. Das Auto befindet sich beim Test mitten in der Kabine - und da sich alles ringsherum dreht, hat der Fahrer das Gefühl, er sei mit hohem Tempo unterwegs.

Das neue Gerät gehört zu einem Investitionsprogramm in Höhe von 160 Millionen Euro am Standort Sindelfingen bis zum Jahr 2012. Nur Dauerbetriebs-Proben werde man auch künftig noch definitiv auf der Straße durchführen, so Daimler-Manager Kohler. Dafür sei der Simulator nicht geeignet. Mit anderen Worten: Man wird wohl auch künftig noch das eine oder andere Mal die Erde umrunden, bevor ein Auto endgültig an den Kunden ausgeliefert wird.

Was die nächtlichen Testeinsätze der Erlkönige betrifft: Sie werden auch weiterhin rollen. Längst sind sie nicht nur zu Testzwecken unterwegs, sondern auch Teil der Werbe- und PR-Strategien der Hersteller geworden. Diese haben nämlich längst erkannt, wer ihre eigentlichen Stars sind. Geheime Fotos, Spekulationen, Berichte über getarnte, in bunte Folien verpackte Modelle - das alles gehört längst zum Ritual, bevor neue Autos auf den Markt kommen.

Der Fahrsimulator wird daran wohl kaum etwas ändern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: