Das deutsche Valley:König ohne Land

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Ist im nächsten Kabinett ein Digitalminister nötig? Ja, meinen die Internet-Wirtschaft und die FDP. Am Ende kommt es aber nicht auf den Titel und die Macht eines Einzelnen an.

Von Ulrich Schäfer

Wenn man Ilse Aigner fragt, was denn ihre drei wichtigsten Aufgaben als bayerische Wirtschaftsministerin seien, antwortet sie: "Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung." Sie kümmert sich, heißt das, erstens, darum, dass sich große, digitale Unternehmen in Bayern niederlassen - IBM etwa mit seiner weltweiten Zentrale für das Internet der Dinge; sie versucht, zweitens, möglichst viele Start-ups im Freistaat zu fördern; und sie bemüht sich, drittens, darum, den Ausbau der digitalen Infrastruktur anzuschieben - von Hochschulen über Forschungszentren zum Breitbandausbau.

Aigner versteht sich also als Digitalministerin, auch wenn sie dem Titel nach keine ist. Offiziell lautet ihr Titel: "Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie". Im Bundestagswahlkampf geht es nun um die Frage, ob ein solcher Digitalminister auch in Berlin vonnöten ist. Die Unternehmen der Internet-Wirtschaft fordern dies schon seit Langem, und auch die FDP fordert, als bislang einzige Partei, in ihrem Wahlprogramm die "Einführung eines Digitalministeriums" und schreibt dazu: "Digitalisierung ist eine der zentralen Herausforderungen der Gegenwart. Wir setzen uns dafür ein, dass die Fäden in einer Hand zusammenlaufen."

Aber was könnte so ein Minister wirklich bewegen? Welchen Einfluss hätte er in einer Regierung mit 17, 18 Ressorts?

Für die Schaffung eines Digitalministeriums spricht: Derzeit kümmern sich vier, fünf Minister ums Digitale, aber alle nur nebenher - keiner richtig. Der Wirtschaftsminister, der Verkehrs-, der Innen-, der Justiz-, der Gesundheitsminister: Sie alle fühlen sich irgendwie zuständig, buhlen um Einfluss, Macht, Aufmerksamkeit. Aber einen, der sich ausschließlich dem Digitalen widmet, den gibt es nicht. Stattdessen: Stimmen- und Kompetenzwirrwarr.

Dagegen spricht: Ein Digitalminister wäre, wenn die anderen Ressorts nur wenig von ihrem bisherigen Einfluss abgeben, ein König ohne Land, ein Minister mit schönem Titel, aber ohne große Macht.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil plädiert schon lange dafür, einen Digitalminister zu schaffen, er gehört dem Bundestagsausschuss "Digitale Agenda" an und hat die Erfahrung gemacht, dass sich kaum ein Minister in dem Ausschuss blicken lässt. Manche Gesetze, die das Digitale betreffen, laufen anfangs sogar am Ausschuss vorbei, bis der sich dann mühsam ein Mitspracherecht erkämpft. Dem Ausschuss Digitale Agenda fehle die Federführung bei Gesetzen; und das würde sich erst mit einem Digitalminister als Pendant ändern. Aber nicht nur dies. "Es braucht", sagt Klingbeil, "jemanden am Kabinettstisch, der immer wieder den Finger in die Wunde legt, wenn es um das Digitale geht. Bisher ist das eine Priorität unter vielen anderen - das muss sich ändern."

Mit seiner Forderung liegt Klingbeil allerdings quer zur eigenen Partei, im Wahlprogramm der SPD, an dem er mitgewirkt hat, taucht sie nicht auf, und Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries ist sogar explizit dagegen, ein eigenes Digitalministerium zu schaffen. Als ihr CSU-Kollege Alexander Dobrindt dies Mitte Juni forderte, meinte sie: "Das hat gar keinen Sinn."

Ob ein Digitalministerium sinnvoll ist oder nicht, hängt am Ende auch davon ab, welche Kompetenzen solch ein Ressort hätte. Drei Modelle sind denkbar.

Die anderen Ministerien werden sich schwer darin tun, Kompetenzen abzugeben

Das erste Modell: Im Kanzleramt wird ein Staatsminister für das Digitale geschaffen, ähnlich wie es dort bereits einen Staatsminister für die Kultur gibt. Ein Vorteil wäre die große Nähe zum Regierungschef, ein Nachteil, dass ein Staatsminister üblicherweise nur über eine begrenzte Zahl an Beamten und einen übersichtlichen Etat verfügt - also über weit weniger Einfluss als ein Ministerium. Ein Staatsminister könnte koordinieren. Mehr nicht.

Das zweite Modell: Es wird ein komplett neues Ministerium geschaffen. Dem werden die digitalen Kompetenzen aller anderen Ressorts zugeschlagen. Der Vorteil einer solchen Lösung wäre, dass dann alles gebündelt wäre, der Nachteil, dass alle anderen Ministerien entkernt wären. Ein Verkehrsministerium ohne autonomes Fahren, ein Wirtschaftsministerium ohne Industrie 4.0 - das wäre in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzbar.

Das dritte Modell: Das Wirtschaftsministerium wird zum Ministerium für Wirtschaft und Digitales aufgewertet und bekommt dazu wichtige Abteilungen und Referate aus anderen Ressorts zugeschlagen. Dafür spräche, dass der Wirtschaftsminister sich ohnehin schon um das wichtigste Feld der Digitalisierung kümmert: die Wirtschaft. Ergänzt man dies um den Breitbandausbau, den Verkehr, das E-Government oder die digitale Berufsausbildung, könnte man ein schlagkräftiges Ministerium für Wirtschaft und Digitales schaffen.

Klingbeil gesteht ein, dass die zweite Variante ihm die liebste wäre, die dritte sich aber am ehesten realisieren ließe. Eine Lösung nach bayerischem Vorbild also. Aber es gäbe dann eben nicht bloß eine Digitalministerin h. c., wie es Ilse Aigner ist, sondern mit richtigem Titel: Bundesminister für Wirtschaft und Digitales.

Was den Namen anbelangt, so ist man von solch einer Lösung schon jetzt gar nicht so weit entfernt. Als nämlich Brigitte Zypries ihre Kollegen aus 19 Industrie- und Schwellenländern im April zum Digitalgipfel der G-20-Staaten nach Düsseldorf lud, da firmierten diese allesamt als "Digitalminister" - auch die deutsche Ministerin.

Was noch fehlt, wären zusätzliche Kompetenzen. Aber am Ende ist etwas anderes entscheidender als Macht und Titel: Es bedarf eines anderen Denkens im gesamten Kabinett. Das Digitale nämlich ist die entscheidende Zukunftsfrage für die Industrienation Deutschland.

Deshalb braucht es am Ende nicht bloß einen Digitalminister, sondern eine ganze Digitalregierung.

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