Er hat Träume, Erwartungen und vielleicht auch ein paar Illusionen, als er vor zweieinhalb Jahren ins Silicon Valley zieht. Christoph Obereder hofft auf den großen Erfolg. Aber die erste Firma, für die er arbeitet, ist nach nur zwei Monaten pleite - ohne dass er einen Dollar seines Gehalts bekommen hätte. In einer anderen Firma erlebt er, wie ein alleinerziehender Familienvater, um die 50 Jahre alt, mit vier Kindern, von einem auf den anderen Tag gefeuert wird. Und auch sonst erlebt der junge Münchner an der amerikanischen Westküste manches, was ihn verschreckt. Deshalb ist er im Sommer vorigen Jahres wieder zurück nach Deutschland gezogen. Zurück in jene Stadt, in der seine Eltern leben, seine Freunde, wo er am Albert-Einstein-Gymnasium sein Abitur gemacht und studiert hat.
Einmal Silicon Valley und zurück, einmal neu anfangen und wieder stoppen - und das in nur anderthalb Jahren: Christoph Obereder hat sein Leben schon immer schneller gelebt als andere. Er hat mit 14 Jahren seine erste Website namens Gigmich entwickelt, mit 16 Jahren seine erste Firma gegründet, danach weitere mit aufgebaut, darunter den Messaging-Dienst Tellonym und den Spiele-Anbieter Okay. Mit 25 Jahren stand er schließlich auf der europäischen Bestenliste "30 unter 30", die das amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes zusammengestellt hat.
Über seinen Ausflug ins Silicon Valley sagt Obereder trotz vieler schlechter Erfahrungen: "Ich bereue nichts." Er meint damit sowohl seine Entscheidung, nach dem Studium aus Deutschland wegzuziehen, weil er hier nicht den erhofften Job als Marketingchef eines Start-ups fand, als auch den Entschluss, wieder heimzukommen.
In Kalifornien gehörte Obereder zu einer nicht unbedeutenden Minderheit: Etwa 60 000 bis 70 000 Deutsche leben und arbeiten im Valley, nicht wenige von ihnen in einflussreicher Position. Die Germans gestalten entscheidend den digitalen Wandel mit. Sie arbeiten bei Facebook oder Google, bei Apple oder Cisco, sie heuern, so wie auch Obereder, bei Start-ups an. Oder sie gründen die Tech-Firmen gleich selber, wie etwa Florian Leibert aus Schweinfurt.
Leiberts Unternehmen Mesosphere hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hingelegt, es hat ein Betriebssystem entwickelt, mit dessen Hilfe man Tausende Rechner aus einer Hand steuern kann, als seien sie einer. Leibert lobt, dass sich in der deutschen Gründerszene derzeit einiges bewegt, aber er würde Mesosphere auch heute wieder in den USA gründen: "Wenn man mit Technologie zu tun hat, ist das Silicon Valley einfach das Mekka", sagte er vor einem Jahr im SZ-Interview. Und das liegt auch daran, dass Gründer dort sehr viel leichter an Geld kommen, um schnell wachsen zu können. "So ein Ökosystem gibt es in diesem Sinne in Deutschland noch nicht."
Christoph Obereder hat da ganz andere Erfahrungen gemacht. Klar, Geld für Investitionen gibt es drüben in Hülle und Fülle. Aber was erwächst daraus? Und wie verändert es das Verhalten der Menschen? Seine Aufgabe war es, junge Firmen und deren Produkte über die sozialen Medien bekannt zu machen. Als Chief Marketing Officer von mehreren Start-ups heuerte er junge Blogger an, auf dass diese von ihm vorbereitete Texte über Facebook oder Instagram verbreiteten und so für die Produkte der Start-ups werben. Manche dieser Influencer waren noch Kinder, 14 oder 15 Jahre alt, Obereder handelte die Verträge mit ihren Eltern aus; doch es funktionierte. Die jungen Einflüsterer brachten ihre Freunde und Follower dazu, hunderttausendfach jene Spiele-Apps herunterzuladen, die Obereder vermarkten sollte.
Der 26-Jährige sagt, er habe im Valley sehr schnell Kontakte geknüpft, etliche davon halten bis heute. Und doch: Vieles, was er in den Unternehmen erlebt oder in Gesprächen erfahren hat, fand er mit der Zeit abstoßend. "Im Silicon Valley wird alles zu einem großen Hype gemacht", sagt er. Die Leute seien "Weltmeister im Verkaufen", aber so schnell wie ein Hype entstehe, so schnell könne er manchmal auch wieder zusammenbrechen. Verlässlichkeit, Konstanz - das erlebte er eher selten. Gerade in den Start-ups sei die Fluktuation "gigantisch", Mitarbeiter kämen und gingen innerhalb kurzer Zeit. Seit seiner Rückkehr erzählt Obereder seine Geschichte immer wieder auf Kongressen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz.
Bei der Blockchain ist Europa selbst dem Silicon Valley weit voraus, glaubt Obereder
Aber er erklärt auch stets, dass es einen zweiten Grund gibt, warum es ihn zurück nach München zog: die Blockchain. Jene Technologie, die das Internet von Grund auf verändern könnte, weil Datensätze nicht mehr nur auf einem Server gespeichert werden, sondern verschlüsselt auf vielen Rechnern zugleich. Die Blockchain gilt deshalb als fälschungssicher, weshalb inzwischen auch Banken, Versicherungen und die Industrie sie nutzen wollen, um Transaktionen oder Lieferprozesse effizienter zu organisieren und abzurechnen.
Europa, glaubt Obereder, sei den USA bei der Blockchain weit voraus. Hunderte von Start-ups entwickeln die Technologie weiter, viele davon sitzen entweder in Berlin oder in der Schweiz. Etliche dieser Jungfirmen finanzieren sich mit eigenen Kryptowährungen, die sie über ein sogenanntes Initial Coin Offering, eine Art digitalen Börsengang, an Investoren verkaufen.
Und da kommt Obereder ins Spiel: Ähnlich wie bei den Spiele-Apps versucht er mit Hilfe von Influencern, den Verkauf der Kryptowährungen zu fördern. Derzeit sei das Geschäft etwas schleppend, räumt er ein, denn die Krypto-Kurse seien im Keller. Aber er ist überzeugt: "Das Geschäft mit der Blockchain steht erst am Anfang." Deutschland könne die Entwicklung der Technologie maßgeblich vorantreiben. Und deshalb zieht ihn nichts mehr zurück ins Valley.