Das deutsche Valley:Die Seriengründer

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Wer mit einer Firma scheitert, trug in Deutschland lange das Stigma des Versagers. Doch das ändert sich. Immer mehr Start-up-Unternehmer versuchen es ein paar Mal nacheinander.

Von Ulrich Schäfer

Franz Buchenberger hat es immer wieder gemacht: einmal, zweimal, dreimal, viermal.

Sein erstes Internet-Unternehmen hieß Blaxxun und produzierte 3-D-Software. Er wollte damit zur Jahrtausendwende an die Börse gehen - dann platzte die New-Economy-Blase und damit der Börsengang, am Ende wurde die Firma abgewickelt.

Sein zweites Internet-Unternehmen hieß Foroso. Es war der Gegenentwurf zum ersten: Hochgezogen ohne Geld der Banken, ohne Investoren - nach drei Jahren hat er es mit großem Gewinn verkauft.

Sein drittes Unternehmen heißt Pylba: Die Idee dafür kam ihm, nachdem er einige Jahre fest angestellt für einen japanischen Computerkonzern gearbeitet hatte, während einer Auszeit im Silicon Valley.

Sein viertes Unternehmen schließlich nennt sich Whats Broadcast. Zu Hause in München, südliches Bahnhofviertel, in einer Gegend, in der es von Döner-Läden, Spielhöllen und dunklen Gestalten nur so wimmelt - und wächst gerade rasant.

"Eigentlich hätte ich es längst bleiben lassen können", sagt Franz Buchenberger lachend. Eigentlich hätte er nach der zweiten oder dritten Firma sagen können: Jetzt reicht's! Geld genug verdient hatte er ja.

Aber er hat halt "dieses Entrepreneur-Gen" in sich, wie er es nennt, und deshalb hat der 57-Jährige im vorigen Jahr Whats Broadcast gegründet: Deutschlands mittlerweile führenden Anbieter für Chatbots, für vollautomatische Programme (Bots), die mit den Nutzern über Whatsapp oder andere Messenger-Dienste chatten, als wären sie selber Menschen. Sie beantworten Fragen zum Wetter, zu Sportergebnissen, zu Produkten, sie liefern Newsletter und ermöglichen demnächst auch den Einkauf per Whatsapp-Nachricht - ohne dass man auf die Website eines Onlinehändlers wechseln muss.

Buchenberger ist das, was man im Silicon Valley einen "Serial Entrepreneur" nennt: einen Seriengründer. Ein Unternehmer also, der nicht bloß ein Unternehmen startet - sondern viele nacheinander. Seriengründer gab es in Deutschland früher selten. Erst recht solche, die mal auf die Nase gefallen sind und es erneut versuchen. Wer gescheitert ist, der trug hierzulande das Stigma des Versagers. Ganz anders im Silicon Valley: Dort sind diejenigen, die ein oder zwei Firmen in den Sand gesetzt haben, später oft diejenigen, die am Ende besonders erfolgreiche Firmen gründen - weil sie aus ihren Fehlern gelernt haben.

So ist es auch bei Buchenberger. Klar: Er will mit Whats Broadcast wachsen - aber deswegen "muss ich ja nicht so wie früher 100 Stunden pro Woche arbeiten". 60 Stunden tun es auch. Und klar: Er will ins Ausland expandieren, seinen Dienst gibt es in acht Sprachen - aber so was wie bei Blaxxun wird ihm nicht wieder passieren. Ende der Neunzigerjahre baute er das Geschäft in den USA zu schnell aus, stellte dort binnen Kurzem 50 Leute ein, zog mit seiner Familie nach San Francisco, um wenig später nach dem gescheiterten Börsengang alle 50 Mitarbeiter wieder entlassen zu müssen. Er habe mit Blaxxun eine "extreme Achterbahnfahrt" erlebt, sagt er.

Heute, sagt er, könnten Unternehmen "viel schlanker wachsen". Sie bräuchten keine so hohen Investitionen mehr, keine eigenen Server, und weniger Mitarbeiter, um groß zu werden. Die Cloud, in der man Programme und Server billig mieten kann, macht's möglich.

18 Mitarbeiter sind bei Whats Broadcast tätig, sie versorgen 550 zahlende Kunden, Finanzinstitute, Industriekonzerne und Medienhäuser, mit ihren Diensten. Fast alle großen Fernsehsender und die meisten Zeitungen in Deutschland, darunter die Süddeutsche Zeitung, setzen die Chatbots ein, um ihre Leser mit Nachrichten zu versorgen. Auch Handelsunternehmen und Banken nutzen die schlauen Programme: Die Bots beantworten Fragen, die die Kunden ihnen per SMS schicken, eine Warteschleife gibt es nicht mehr - und wenn die Bots nicht mehr weiterwissen, kontaktieren sie automatisch einen echten Mitarbeiter, der sich des Problems annimmt.

Franz Buchenberger glaubt, dass Chatbots die Kommunikation im Netz radikal verändern können

Die Chatbots, sagt Buchenberger, seien derzeit "ein ganz heißes Thema" in der Software-Branche. Er glaubt, dass sie die Kommunikation im Netz in den nächsten Jahren von Grund auf verändern könnten: Anstatt auf eine Webseite oder App zu gehen, wird man künftig immer seinen Messenger per SMS um Hilfe fragen. Und der regelt, dank der Bots, alles wie gewünscht.

Die Geschichten von Seriengründern ähnelt meist einer guten Fernsehserie: Es gibt kurze und lange Spannungsbögen, plötzliche Wendungen, aber auch rote Fäden, die sich durch alle Staffeln ziehen. Und vor allem: Es gibt Charaktere, die immer dabei sind. So auch bei Buchenberger. Zu siebt haben sie Mitte der Neunzigerjahre Blaxxun gegründet, er und seine Mitstreiter waren zuvor bei einem großen Softwarehaus angestellt; zwei der Gründer von damals haben auch bei den drei weiteren Firmen von Buchenberger mitgemacht.

Manches hat sich seit Buchenbergers Firma Nr. 1 aber auch geändert. Damals war Blaxxun eines der ersten Start-ups in Deutschland, vielleicht sogar das erste, das viele Millionen Dollar von einem amerikanischen Venture-Capital-Fonds bekam. Heute stecken vielen Investoren aus den USA ihr Geld in deutsche Firmen, und es gibt, sagt Buchenberger, "langsam auch mehr Seriengründer in Deutschland".

Dennoch bleiben gravierende Unterschiede. Im Valley sind die Seriengründer die entscheidenden Treiber der Innovation: Wenn sie scheitern, versuchen sie es erneut; und wenn sie erfolgreich sind, investieren sie ihr Geld in die nächste noch größere Firma - oder gleich in mehrere. So vervielfältigt sich der Erfolg. Wenn Deutschland eine echte Start-up-Kultur schaffen will, braucht es also nicht einfach mehr Geld - sondern es muss vor allem der Kreislauf des fortwährenden Gründens und Reinvestierens in Schwung kommen. Und dazu bedarf es auch einer positiven Kultur des Scheiterns.

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