Das deutsche Valley:Der Frauen-Faktor

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Soll die Digitalisierung gelingen, bedarf es mehr weiblicher Führungskräfte. Doch wie bringt man Frauen in die Branche? Eine Gründerin und ein Professor zeigen es.

Von Ulrich Schäfer

Als Katharina Kreitz vor zehn Jahren mit dem Studium an der Technischen Universität München begann, saß sie inmitten von Männern; nicht einmal jeder zehnte Studierende war eine Frau. Als sie später für ihre Abschlussarbeit einige Zeit in einer Entwicklungseinheit von BMW verbrachte, war sie die einzige Frau unter 70 Männern. Und als sie schließlich bei Airbus Defense tätig war, befand sich im gesamten Gebäude keine andere Frau.

Allein unter Männern. Was also tun? Katharina Kreitz gründete ein Unternehmen, Vectoflow heißt es, ein Start-up, das genau an jener Schnittstelle tätig ist, wo die Zukunft der deutschen Wirtschaft liegt: in der Industrie 4.0, wo Maschinen und Big Data, Fabriken und die Cloud miteinander verknüpft werden. Vectoflow baut kleine, hochsensible Sensoren, die die Strömung von Wind oder Wasser messen; zu den Kunden zählen Autokonzerne, Flugzeughersteller und Formel-1-Teams.

Doch bis vor ein paar Wochen war Katharina Kreitz auch in ihrer eigenen Firma ausschließlich von Männern umgeben: Die Gründerin fand schlicht keine andere Ingenieurin, die sich genauso für den Maschinenbau und die Digitalisierung begeistern konnte wie sie. Dann aber erschien im Herbst ein Porträt über sie in Plan W, dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung, prompt meldeten sich einige Frauen - zwei von ihnen hat sie eingestellt und sagt: "Wir müssen es in Deutschland schaffen, mehr Frauen für diese Aufgaben zu begeistern. Das ist nicht bloß etwas für Männer, sondern auch für uns."

Wie aber lässt sich dies bewerkstelligen? Was lässt sich tun, um mehr Frauen für die digitale Transformation zu begeistern, für entsprechende Führungsaufgaben in Start-ups, Tech-Firmen und etablierten Konzernen, die den Wandel mit vorantreiben wollen? Denn nicht nur im Silicon Valley leiden viele Unternehmen darunter, dass sie vor allem junge, weiße Männer anlocken; sondern auch hierzulande.

Key Pousttchi, Professor für Wirtschaftsinformatik, weiß um dieses Problem und will daran etwas ändern. Denn er ist davon überzeugt: "Wir werden die Digitalisierung in Deutschland nur dann meistern, wenn wir genug Frauen dafür gewinnen. Wir müssen sie auf die Positionen bringen, auf denen sie wirklich etwas gestalten können, und nicht bloß auf irgendwelche unbedeutenden Kasperlestellen."

In den 1990ern hat Pousttchi als Student und Wissenschaftler viel Zeit an einer Uni verbracht, an der per Definition nur Männer studierten: an der Bundeswehr-Universität in München. Inzwischen aber lehrt er an der Universität Potsdam, an einem Lehrstuhl, den der Softwarekonzern SAP gestiftet hat. Er hat dort vor einem Jahr den neuen Masterstudiengang "Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation" eingerichtet. Worauf der ehemalige Soldat besonders stolz ist: 41 Prozent der Studienplätze gingen an Frauen. Das ist für solch einen Studiengang eine außergewöhnlich hohe Zahl. In ähnlichen Fächern an anderen Hochschulen sei der Anteil meist nur halb so hoch, sagt Pousttchi. Auch nebenan, beim renommierten Hasso-Plattner-Institut (HPI), das ebenfalls zur Uni Potsdam zählt, leide man seit der Gründung 1998 darunter, dass sich weit mehr Männer als Frauen für alles Digitale interessieren.

Wie also kam es dazu, dass der neue Studiengang so viele Studentinnen anlockte?

"Wir müssen sie ermutigen, und das muss schon vor der Uni anfangen, in der Schule."

Zweierlei sei entscheidend, sagt Pousttchi. Erstens: Der Studiengang soll mehr vermitteln als technisches Wissen. Nur im ersten Semester geht es ausschließlich darum, dann müssen die rund zwei Dutzend Studenten sich mit Mobile & Digital Business, Social Media oder quantitativen Methoden auseinandersetzen. Vom zweiten Semester an bearbeiten sie ein selbstgewähltes Forschungsthema und können dazu Fächer aus dem gesamten Studienangebot der Uni Potsdam wählen, etwa Soziologie, Psychologie, Jura oder Wirtschaft. Ein emeritierter Professor habe ihm geraten, erzählt Pousttchi, "die besten Studenten zu kriegen und denen völlige Freiheit zu geben. Und Frauen finden das cool."

Zweitens: Pousttchi hat sich intensiv mit der Studie einer Wissenschaftlerin befasst, unter welchen Bedingungen Frauen erfolgreich Wirtschaftsinformatik studieren. Ein Ergebnis war, dass Frauen ganz genau wissen wollen, worauf sie sich einlassen. Und deshalb haben Pousttchi und sein Team vor dem Start im letzten Sommer intensiv für den Studiengang geworben, vor allem über die sozialen Medien. Sie haben gezielt nach Facebook-Gruppen und Seiten gesucht, die sich dafür eignen, und sehr viel Zeit darin investiert, die Inhalte ihres Studiengangs zu erklären.

Auch über Twitter hat Pousttchi viele Tweets abgesetzt und ist dabei auf positive Resonanz gestoßen, aber auch auf erstaunliches Desinteresse. Er habe, erzählt er, zum Beispiel auch jene Ministerinnen angetwittert und um mediale Hilfe gebeten, die in der alten Bundesregierung für die Frauenförderung zuständig waren: Andrea Nahles, Manuela Schwesig und Brigitte Zypries. Aber keine von ihnen habe reagiert, sagt er enttäuscht.

Seit Kurzem läuft die Bewerbungsphase für das zweite Jahr des Masterstudiengangs, und Pousttchi hofft, dass er den Erfolg des ersten Jahres wiederholen und ähnlich viele Frauen gewinnen kann. Auch Katharina Kreitz wünscht sich, dass mehr Frauen technische Fächer studieren, um es ihr nachzutun: "Wir müssen sie ermutigen, und das muss schon vor der Uni anfangen, in der Schule." Bei ihr war es der Vater, der sie früh ans Digitale und die Technik herangeführt hat. Aber anderswo muss es der Lehrer sein. Oder wie es Key Pousttchi formuliert: "Es kann mir keiner erklären, warum Biologie, Physik und Chemie Pflichtfächer am Gymnasium sind, Informatik aber nicht."

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