Drei Wochen hat Stefan Vilsmeier an dem Brief gefeilt, hat jedes Wort gewogen, jeden Satz, hat verworfen und neu formuliert. Doch dann, ein paar Wochen später, erhielt er die Zusage von Angela Merkel: Sie werde nach München-Riem kommen, um die neue Zentrale von Brainlab zu eröffnen, einen langen, flachen Bau, der sich an den Tower des einstigen Flughafens schmiegt.
Fast eineinhalb Jahre ist das nun her, und seither hat sich manches verändert im Leben des Unternehmers Stefan Vilsmeier. Der Studienabbrecher aus Poing ist zum gefragten Ansprechpartner der Politik geworden, er wird nach Berlin geladen und darf Merkel begleiten, wenn sie mit einer Wirtschaftsdelegation ins Ausland reist. Das sei ein ganz neues, weites Feld für ihn, erzählte Vielsmeier neulich am Rande eines Empfangs in Schwabing.
Bei der Gelegenheit berichtete er auch, dass sich unternehmerisch ebenfalls manches weitet bei Brainlab, dem kaum bekannten Weltmarktführer aus dem Münchner Osten: einer Software-Firma mit rund 1500 Mitarbeitern, einem Umsatz von bald 300 Millionen Euro, 90 Prozent davon im Export, und einer Technologie, die ihresgleichen sucht. Brainlab liefert ein Navigationssystem für den Operationssaal. Die Software erlaubt es Neurochirurgen, während einer Operation präzise zu sehen, wo sie sich mit ihren filigranen Werkzeugen im Kopf des Patienten befinden, auf großen Bildschirmen können sie deren Positionen verfolgen und zum Beispiel Tumore exakt aufspüren und entfernen.
Zur Software sind längst Geräte hinzugekommen, die dem Chirurgen bei der Navigation helfen, Apparaturen, die den Operationstisch vermessen und die Position der Instrumente abbilden. In 4000 Krankenhäusern weltweit ist die Technologie im Einsatz, viel mehr ist gar nicht möglich. Und so wagen sie sich bei Brainlab nun an den nächsten Schritt: Im nördlichen Teil des Gebäudes arbeiten fast drei Dutzend Mitarbeiter an Robotern für den Operationssaal. Diesen Helfern, so glaubt man nicht nur hier, gehört die Zukunft. Auch 40 Kilometer weiter westlich, im Institut für Robotik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen, meinen die Experten, dass die Medizinrobotik sich in den nächsten Jahren sehr dynamisch entwickeln wird - so wie einst die Robotik in der Industrie.
Die Roboter-Entwickler im Brainlab-Gebäude setzen dabei auf ein kleines, günstiges System, auf einen schlanken Roboter-Arm, der wenig wiegt, gerade mal elf Kilogramm, und sich bequem an jeden Operationstisch schrauben lässt - sozusagen als der dritte Arm des Operateurs. Dieser Arm soll den Arzt nicht ersetzen, sondern ihn unterstützen, er lässt sich leicht in jede Richtung bewegen und, sobald er seine Position erreicht hat, mit elektrischen Bremsen fixieren, an ihm lassen sich je nach geplanter Anwendung viele verschiedene Roboterhände fixieren, um das jeweilige Operationsbesteck zu halten und zu bewegen.
Der Roboter aus dem Münchner Osten taugt also, anders als die OP-Helfer großer Medizintechnik-Firmen, nicht bloß für eine einzige Anwendung - sondern für viele. Und der Arm kostet, samt Roboterhand, eben auch nicht bis zwei Millionen Euro, so wie der mehrarmige Da Vinci, der derzeit erfolgreichste Medizinroboter der Welt, der von der amerikanischen Firma Intuitive Surgical entwickelt wurde - sondern samt Hand nur etwa 150 000 Euro.
"Wir sind die ersten, die so ein modulares Konzept entwickelt haben und verkaufen", sagt Stephan Nowatschin, einer der beiden Gründer von Medineering. Vor vier Jahren hatten er und sein Kompagnon Maximilian Krinninger die Idee für diesen flexiblen, modularen Arm. Die beiden kannten sich von der Technischen Universität München, wo sie promoviert hatten, und waren damals bei etablierten Medizintechnikfirmen angestellt. Doch dort ließ sich die Idee nicht umsetzen, die Widerstände waren zu groß - und so gründeten sie in Seefeld am Ammersee ihr Start-up. "Wir hatten keine Prototypen, nichts, nur ein weißes Blatt Papier mit unserer Idee", erinnert sich Nowatschin.
Auf der Suche nach Geldgebern landeten sie zunächst bei halb-öffentlichen Geldgebern wie dem Hightech-Gründerfonds und Bayernkapital, die die Anschubfinanzierung lieferten, in der nächsten Runde klapperten sie alle bekannten Medizintechnik-Firmen ab und überzeugten schließlich Stefan Vilsmeier, bei Medineering einzusteigen. Seither wächst das Start-up stetig, eng arbeiten dessen Entwickler mit denen von Brainlab zusammen, die auf derselben Etage sitzen, nur ein paar Schritte entfernt. Denn Medineering will die verschiedenen Roboter-Aufsätze für seinen Arm nicht alle selber entwickeln, sondern auch andere Hersteller sollen die Plattform nutzen können. Brainlab hat bereits einen Aufsatz namens Cirq für die Neurochirurgie entwickelt, Medineering selber konzentriert sich auf die HNO, also Operationen an Hals, Nasen und Ohren.
Stephan Nowatschin ist bewusst, dass es viel Zeit braucht, um im Geschäft mit den Medizinrobotern erfolgreich zu sein. Die Technik müsse wieder und wieder getestet werden, Mediziner und Krankenhäuser müssten überzeugt und dann auch zum Kauf bewegt werden. Solche Entscheidungsprozesse ziehen sich hin, auch die Entwicklung dauert. Sechs Patente hat Medineering bereits erhalten, weitere zwölf sind beantragt. Aber wohin die Entwicklung mit Glück und Fleiß gehen kann, lässt sich direkt nebenan beobachten, in der Eingangshalle von Brainlab. Dort wird in einer multimedialen Ausstellung die Geschichte von Brainlab erzählt: vom Start-up, das 1989 begann, bis zum Weltmarktführer heute.