Der Weg zum maltesischen Pass ist nicht unmenschlich anstrengend - Malta will ja Geld verdienen, nicht abschrecken. Ein paar Hunderttausend Euro. Das ist die Eintrittskarte, dafür wird man Staatsbürger eines Mitgliedslandes der Europäischen Union.
Trotzdem müssen etliche Dokumente beigebracht werden, Urkunden, Beglaubigungen und so weiter. Wer akzeptiert wird, muss selbst in Malta erscheinen, Millionär hin, Milliardär her. Und zwar im Mediterranean Conference Center in der Hauptstadt Valletta, einem großen, einfallslosen Steingebäude, wenige Meter von der Uferpromenade entfernt, mit atemberaubendem Blick auf die Bucht vor Valletta.
Kinder malen, während Papa und Mama Malteser werden
Aber wohl die wenigsten sind hier, um Urlaub auf Malta zu machen. Denn dafür braucht man ja keinen maltesischen Pass - der ist für ganz andere Dinge von Nutzen: als Statussymbol, zur Sanktionsumgehung, zum Steuerdumping oder einfach nur, um bei internationalen Geschäften nicht den iranischen oder den russischen Pass vorzeigen zu müssen. Trotzdem soll es feierlich zugehen, wenn die maltesischen Neubürger, meist mindestens fünf Millionen Euro schwer, ihren Schwur auf ihre neue Heimat leisten - und deswegen stehen hinten im Büro von Jonathan Cardona auch ein Tischchen und zwei kleine Stühle: So können Kinder malen oder auf dem iPad herumdrücken, während Papa und Mama Malteser werden.
SZ-Podcast "Das Thema":Verbotene Geschichten: Das Daphne Projekt
Im Oktober 2017 wird auf Malta die Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet. Bastian Obermayer und Hannes Munzinger erklären, wieso sie viele Feinde hatte und internationale Medien jetzt ihre Recherchen fortführen.
Jonathan Cardona ist der Geschäftsführer (Managing Director) von Identity Malta, und das wiederum ist die Behörde, die auf Malta das Passprogramm verantwortet, also: das Geldverdienen mit Pässen. Eine Handvoll Mitarbeiter trommelt Cardona zusammen, die den Gästen aus Deutschland versichern sollen, dass keine Terroristen oder Mafiapaten sich einen europäischen Pass erkaufen können, und dass es beim Passprogramm auch sonst mit rechten Dingen zugeht.
Daphne konnte ihre Recherchen nicht vollenden
Seit Malta im Jahr 2013 angefangen hat, aus Pässen Geld zu machen, hagelt es Kritik aus ganz Europa, vom EU-Parlament, der Kommission und Europol, aber auch aus Malta selbst. Auf der Insel war Daphne Caruana Galizia eine der Wortführerinnen. Daphne, wie die im Herbst ermordete Investigativjournalistin überall auf der Insel genannt wurde, lehnte aber nicht nur die Idee an sich ab. Sie hatte guten Grund zu glauben, dass es rund um dieses lukrative Geschäft nicht mit rechten Dingen zuging. Der Verdacht war genährt aus verschiedenen Quellen und substanziiert durch die Panama Papers, die geleakten Unterlagen der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca, die der SZ zugespielt wurden - und sie berichtete über Einbürgerungen von Geschäftsmännern mit zweifelhaftem Ruf.
Daphne konnte ihre Recherchen nicht vollenden. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung liefen 47 Klagen gegen sie wegen ihrer Recherchen, darunter auch solche, die mit dieser Recherche zu tun haben. Eine Gruppe von investigativen Reporterinnen und Reportern hat sich nun dieses Themas angenommen. Geleitet von der gemeinnützigen Rechercheplattform "Forbidden Stories" arbeiten internationale Medien wie der Guardian, Reuters, die New York Times oder Le Monde sowie aus Deutschland der Rechercheverbund aus SZ, NDR und WDR und die Zeit im Rahmen des "Projekts Daphne" zusammen.
Wer zu den Geschäften mit den Pässen recherchiert, stößt auf eine sechsstellige Zahlung, die über eine Panama-Papers-Firma an den Stabschef des Premierministers gelangt, auf eine erstaunliche Anzahl russischer Neubürger, auf eine geheimnisvolle Frau aus Malaysia und - allgegenwärtig - auf Premierminister Joseph Muscat, der bis heute unablässig die Werbetrommel für das Passprogramm rührt. Als etwa im Europäischen Parlament eine Schweigeminute für Daphne Caruana Galizia abgehalten wird, ist Muscat auf dem Weg nach Dubai, um für maltesische Pässe zu werben.
Der Passhandel steht stellvertretend dafür, wie auf der Mittelmeerinsel seit der Wahl des Labour-Kandidaten Muscat ins Amt des Premierministers 2013 eine kleine Clique von Politikern und Geschäftsmännern das Land in ihre Hand gebracht hat.
Über das internationale Geschäft mit den Pässen hat kaum jemand so viel recherchiert wie die New Yorker Journalistin und Autorin Atossa Abrahamian. Drei Jahre arbeitete sie an ihrem Buch "The Cosmopolites: Die Geburt des Globalen Bürgers" und traf dafür etliche der wichtigen Akteure dieser speziellen Nische. Eine Nische übrigens, die gar nicht so klein ist: Bloomberg schätzt den Marktumfang auf zwei Milliarden US-Dollar. Auf der Terrasse eines Hotels auf den Cayman Islands, wo sie einen Vortrag über ihr Buch gehalten hat, erzählt Abrahamian von einer irren Parallelwelt, in der Superreiche darum konkurrieren, wer die meisten Pässe besitzt. Vor allem auch solche aus Aserbaidschan, Russland oder dem Iran, deren Vermögen möglicherweise nicht ganz sauber entstand - oder die fürchten, durch internationale Sanktionen in ihrer Mobilität eingeschränkt zu werden. Da hilft dann: ein zweiter Pass.
In der Branche nennt man ihn meist schlicht "den Passkönig"
Natürlich kennt Atossa Abrahamian auch das maltesische Pass-Programm. "Da haben sich die Macher große Mühe gegeben, es als eine Art 'Premium-Produkt' wirken zu lassen", sagt sie. Zum einen, erklärt Abrahamian, weil es eines der teuersten sei, zum anderen weil Malta viel Wert darauf lege, wie aufwendig der Bewerbungs- und Zulassungsprozess sei. Der Ruf Maltas, meint Abrahamian, sei vergleichsweise gar nicht so schlecht.
Angestoßen wurde das Pass-Programm in Malta durch die Kanzlei Henley & Partners mit Sitz in Jersey. Deren Chef, der Schweizer Staatsbürger Christian Kälin, der selbst nicht nur diesen einen Pass besitzt, gilt als einer Männer, die das Passgeschäft weltweit groß gemacht haben. Atossa Abrahamian nennt ihn "the man who sold the world" - "den Mann, der die Welt verkauft hat". In der Branche nennt man ihn meist schlicht "den Passkönig".
Kälin, der selbst lieber von Staatsbürgerschaften spricht, verkaufte anfangs Pässe für ein paar eher schattige Finanzplätze, er hatte vor allem Länder wie St. Lucia oder St. Kitts und Nevis im Angebot, später auch Grenada, Zypern oder Antigua. Der Pass von Malta ist sehr viel wertvoller, denn sein Halter darf ohne Visa in 160 Länder reisen, da Malta in der EU, im Schengenraum und auch im Commonwealth Mitglied ist.
Kälin arbeitet mit der Mutterfirma von Cambridge Analytica zusammen
Der Weg von Henley & Partners zum Passprogramm in Malta führt über eine Firma, die seit einigen Wochen weltweit einen phänomenal schlechten Ruf hat: Strategic Communications Laboratories (SCL), die Muttergesellschaft von Cambridge Analytica, jener Firma also, die im Zentrum des Facebook-Skandals steht. Über Cambridge Analytica sollen 87 Millionen Personendaten ohne Wissen der jeweiligen Nutzer aus Facebook abgeflossen sein.
Henley-Chef Christian Kälin kannte die Mutterfirma von Cambridge Analytica schon länger, Mails aus dem Jahr 2010 zeigen, wie Kälin und die Firma versuchen, im karibischen Saint Vincent dem Oppositionsführer Arnhim Eustace zum Wahlsieg zu verhelfen. Zwar beschwört Kälin öffentlich, er mische sich nicht in Wahlkämpfe ein, aber die E-Mails, die dem Team des "Daphne Projekts" vorliegen, deuten darauf hin, dass er sich auch nicht wirklich heraushält. So verspricht er vor der Wahl dem Oppositionsführer, es gebe einiges, "was wir im Falle eines Wahlsiegs für Sie tun können", er habe Investoren für allerlei Großprojekte, Einkaufszentren, Flughäfen und so weiter. In einer E-Mail an SCL fällt das Wort "Propagandakrieg".
Auf Anfrage erklärt Henley & Partners Reportern des Daphne-Projekts, Kälin könne sich an die Umstände nicht erinnern, in denen angeblich das Wort gefallen sei - der Vorfall liege ja auch acht Jahre zurück. Im Übrigen sei das keine Einmischung in den Wahlkampf, man interagiere lediglich regelmäßig mit Regierungen und Parteiführern.
Wem gehört Henley & Partner, diese so erfolgreiche Kanzlei? Wer profitiert von dem Geschäft?
Wenig später bringt ein ehemaliger Mitarbeiter von SCL Kälin mit Joseph Muscat zusammen, damals noch Oppositionsführer. Der Mann bietet im Sommer 2011 in einer E-Mail an Kälin an: "Ich kann Dich dem Oppositionsführer vorstellen." Muscat sei "jung, sehr zielstrebig und sehr aufgeschlossen gegenüber internationalen Investitionen". Kälins Antwort: "Gute Idee." Als Muscat gewinnt und das von Kälin maßgeschneiderte Passprogramm startet, wird dessen Firma zum exklusiven Partner der Regierung - der Lohn dafür, Muscat überhaupt erst auf diese einfache und lukrative Masche gebracht zu haben.
Es läuft so: Wer einen maltesischen Pass haben möchte, muss 650 000 Euro bezahlen und 150 000 Euro in Investmentfonds packen, außerdem eine Wohnung für 350 000 Euro kaufen oder dauerhaft anmieten. Letzteres mit der absurden Folge, dass Wohnungen zwar pro forma angemietet werden, dann aber oft ungenutzt bleiben. Weil ein wohl ordentlicher Anteil der reichen Neu-Malteser an Malta nicht wirklich interessiert ist, sondern nur am Pass. Die Regierung und Henley sind wiederum nicht an den Neu-Maltesern interessiert, sondern nur an ihrem Geld. Win-win, könnte man sagen - wenn nicht einige ganz besonders profitieren würden, und der Rest Europas hinnehmen muss, dass europäische Pässe verschachert werden.
Das Programm ist vorerst auf 1800 Pässe beschränkt, aber wer weiß, was kommt? Henley & Partners wird zu Diensten sein.
Malta hat als souveränes Land das Recht, seine Pässe auszugeben an wen auch immer. Allerdings betrifft es gleichzeitig jedes andere Land in der europäischen Union: Wenn Geld alleine das Kriterium ist, dann kann sich die EU einen ordentlichen Teil ihrer Geldwäsche- und Sicherheitsanstrengungen sparen - weil Malta jeden in die EU lässt, der ein paar Hunderttausend Euro auf den Tisch legt. Jonathan Cardona und seine Kollegen von Identity Malta versichern, dass jeder Neubürger exzessiv geprüft werde, sie präsentieren ein Modell mit etlichen Sicherheitssäulen und -richtlinien, und natürlich klingt das alles erst mal gut.
Tatsächlich ist das Passprogramm vor allem eine Lizenz zum Gelddrucken. Kälin, der Chef von Henley & Partners, schätzt, dass Malta rund zwei Milliarden Euro eingenommen hat mit den Pässen. Zum Vergleich: Der jährliche Haushalt von Malta liegt bei gerade mal zehn Milliarden. Bei Henley & Partners dürften nach Schätzungen von Insidern alles in allem um 70 bis 100 Millionen Euro angekommen sein, Kälins Firma verdient an jedem verkauften Pass vier Prozent, so geht es aus den Verträgen hervor. Bei Henley spricht man firmenintern angeblich vom "Weihnachtsgeschenk".
Wem aber gehört Henley & Partners, diese so erfolgreiche Kanzlei? Wer profitiert von dem Geschäft?
Die Begünstigte der Firma ist eine Tante von Kälins Frau
In den Panama Papers findet sich ein mit Hand gezeichnetes Organigramm von Henley & Partners - Stand 2013. Demnach gehörte damals ein Großteil der Aktien indirekt zwei Trusts, und die Begünstigte beider Trusts wiederum war laut der Unterlagen eine nahezu unbekannte malaysische Frau. Aus Firmenkreisen erfahren Reporter des Daphne-Projekts, dass es sich dabei wohl um eine Tante von Kälins Frau handelt.
Auf dem Papier ist das Rätsel damit gelöst, aber wer ist diese Frau? Hat sie etwas mit der Firma zu tun? Ist sie eine Strohfrau? Henley & Partners antwortet Reportern des Daphne-Projekts, die Frau spiele inzwischen keine Rolle mehr im Unternehmen, die von den Reportern geschilderte Firmenstruktur sei falsch. Mehr wolle man dazu jedoch nicht Stellung nehmen.
Das maltesische Passprogramm führt noch an anderer Stelle in die Panama Papers. Denn dort findet sich eine panamaische Briefkastenfirma, von der 2015 100 000 Euro in zwei Tranchen an Muscats Stabschef Keith Schembri geflossen sind. Die Offshore-Gesellschaft gehört einem maltesischen Finanzberater, der auch maltesische Pässe an seine Kunden vermittelt. Und das Geld auf dem Konto der Panama-Firma kommt direkt von drei russischen Neubürgern, als Bezahlung für ihren maltesischen Pass. Maltesische Finanzermittler sprechen in einem bislang unveröffentlichten Bericht, der für das Daphne-Projekt eingesehen werden konnte, von der "hochgradig verdächtigen Natur dieser Zahlungen". Waren es Bestechungsgelder? Kickbacks?
Die erstaunliche Erklärung des wohlhabenden Finanzberaters: Die 100 000 Euro seien eine Rückzahlung, weil Schembri ihm das Geld geliehen habe, als er wegen seiner Scheidung Finanzprobleme gehabt habe. Auch Stabschef Schembri sagt auf Anfrage: An seinem Darlehen gebe es "kein Fehlverhalten". Zu den genaueren Fragen, etwa warum das Darlehen über eine Offshore-Firma zurückgezahlt wurde, möchte Schembri nichts sagen. Der Finanzberater will überhaupt keine weiteren Angaben machen.
Hunderte Russen wurden seit 2013 eingebürgert - das macht viele in Malta nervös
Reporter des Daphne-Projekts treffen Christian Kälin dann tatsächlich auf der Insel, an einem Donnerstag im März. Der Jurist, der halb in Zürich und halb in London lebt, erscheint im dunklen Anzug mit Henley & Partners-Logo am Revers und gibt den gebildeten Weltmann, der durchaus Verständnis hat für Bedenken. "Politisch kann man sich gut auf die Position stellen, dass es so etwas eigentlich gar nicht geben sollte", sagt er den Reportern. Aber: "Malta ist der Goldstandard und mit Abstand das sauberste und transparenteste aller Staatsbürgerschafts-Programme", behauptet Christian Kälin. "Das sind alles ideale EU-Neubürger."
Man kann das auch anders sehen. Die drei Länder mit den meisten Passkäufern sind Saudi-Arabien, China und Russland. Vor allem die Russen machen viele in Malta nervös, Hunderte wurden seit 2013 eingebürgert, darunter sind mindestens problematische Namen wie der Milliardär Arkady Wolosch, Gründer von Yandex, der größten Internet-Suchmaschine Russlands. Wolosch steht auf der schwarzen Liste von Putin-Helfern, die von der US-Regierung im Januar veröffentlicht wurde. Auch neu auf der Insel: der frühere Präsident einer Tochterfirma der russischen Staatsbank.
Kälin und Muscat verbünden sich, um Daphne zu verklagen
Daphne Caruana Galizia bekämpfte das Passprogramm vehement, und zwar so, wie sie immer kämpfte, wenn sie irgendwo Unrecht witterte: laut, direkt, mitunter anmaßend, aber immer gut informiert. Sie warnte, das Programm würde von "chinesischen Aluminium-Milliardären, israelischen Spionage-Software-Magnaten und jordanischen Kameltreibern" missbraucht, und kritisierte die mangelnde Transparenz: Anfangs wurde überhaupt nicht veröffentlicht, an wen maltesische Pässe ausgegeben wurden. Inzwischen geschieht dies zwar, allerdings in einer absurden Liste, in der Neugeborene und Passkäufer wild gemischt werden - sie alle sind ja Neubürger Maltas. Während Daphne die superreichen Neuankömmlinge sehr skeptisch sah, setzte sie sich gleichzeitig für die anderen Neuankömmlinge ein: für die Flüchtlinge, die immer wieder in Malta anlandeten, unterernährt, ohne Lobby, ohne Zukunft auf der Insel.
Am Ende bildet sich eine erstaunliche Allianz gegen Daphne: Im Herbst 2016 spricht sich Christian Kälin mit dem maltesischen Premierminister Muscat und dessen Stabschef Schembri - dem 100 000 Euro-Empfänger aus Pass-Mitteln - per E-Mail darüber ab, wie man juristisch gegen Daphne vorgehen sollte. Kälin schlägt vor, über Großbritannien anzugreifen, wo Klagen mal eben in Millionenhöhe gehen können. Der Premier antwortet, mit seiner privaten Mail-Adresse: "Kein Einwände."
Also bekommt Daphne Post aus London, von einer der großen Kanzleien, die berühmt sind dafür, investigative Journalisten zu attackieren - sie soll Anschuldigungen von ihrem Blog löschen.
Daphne antwortet im Herbst 2017 trocken. "Ich will mich nicht mit Formalitäten aufhalten", sagt sie, und empfiehlt der Anwaltskanzlei wie allen Beteiligten, sich die Briefe und E-Mails an sie "in den Arsch zu schieben". Weiter schreitet die Sache nicht voran. 20 Tage später wird Daphne von einer Autobombe zerrissen.