Das Beispiel Wiedeking:Aufstieg und Fall

Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wollte das ganz große Rad drehen - und ist am Ende kläglich gescheitert. Warum? Weil er die Bodenhaftung verloren hat.

Dieter Frey

Wendelin Wiedeking hat verloren, denn er hat sich verhoben. Siebzehn Jahre war er Chef von Porsche, hat den Erfolg jeden wissen lassen und immer wieder betont, wie einflussreich und visionär er ist. Er verkörperte den Glanz der Marke. Wiedeking war als Porsche-Chef viele Jahre sehr erfolgreich. Er hat den Autokonzern saniert und zu einem der profitabelsten Automobilunternehmen der Welt gemacht.

Wendelin Wiedeking, AP

"Schön war's mit Euch": Wendelin Wiedeking verabschiedet sich nach 17 Jahren von den Porsche-Mitarbeitern.

(Foto: Foto: AP)

Die Porsche-Mitarbeiter waren stolz auf Porsche, Baden-Württemberg ebenso. Wiedeking hat Porsche zur absoluten Spitze geführt - aber er hat durch sein Verhalten Porsche auch die Unabhängigkeit wieder genommen. Durch zahlreiche Fehlentscheidungen war Wiedeking letztlich der Verursacher des Abstiegs von Porsche zu einem Satelliten von Volkswagen. Im vergangenen Jahr war Wiedeking noch der Manager des Jahres in Europa. Und wie so oft folgte kurze Zeit nach solchen Auszeichnungen der Abstieg.

Natürlich bedeutet unternehmerisches Verhalten immer unternehmerisches Risiko und Entscheidung unter Unsicherheit. Doch waren es nicht im Wesentlichen psychologische Faktoren, die für die Fehleinschätzungen verantwortlich waren? Insbesondere dass er als David den viel größeren Goliath übernehmen wollte? Waren es nicht letztlich Machtgier und Extensionsdrang, Sorglosigkeit, Erfolgsarroganz, Narzissmus und Gruppendenken? Viele dieser Eigenschaften sind durchaus förderlich, wenn man sich gegen Widerstände durchsetzen muss. Aber dort, wo Grenzen überschritten werden, können sie auch zum Nachteil werden.

Machtgier und Extensionsdrang: Wendelin Wiedeking wollte heimlich die Mehrheit der VW-Anteile ansammeln. Das kleine Unternehmen Porsche wollte so den viel größeren Konzern schlucken. Dabei mag schon auch das Kalkül gewesen sein, dass Kooperation in Zukunft angesagt ist, um die riesigen Entwicklungskosten zu tragen, um umweltsichere, sparsame und trotzdem luxuriöse Autos zu produzieren. Aber gab es keine Alternative für mögliche Kooperationen? Vermutlich haben das Streben nach Macht und Extension (also das Streben danach, der Größte zu werden) Wiedeking bewogen, sich heimlich den VW-Konzern einzuverleiben.

Vermutlich war es List von Wiedeking, Piëch zu suggerieren, dass Porsche sich nur an VW beteilige. Und so lange sich Porsche an VW beteiligte, hatte Piëch das auch unterstützt. Denn dadurch war die Wahrscheinlichkeit gering, dass VW ein Übernahmekandidat wird. Aber Wiedeking hatte natürlich unterschätzt, dass es für den sehr machtbewussten Piëch eine extreme Bedrohung sein musste festzustellen, dass Porsche die ganze Macht über VW wollte.

Sorglosigkeit: Sorglosigkeit entsteht, wenn man durch Erfolge verwöhnt wird, und auch bei Risikosituationen immer erfolgreich war. Das war sehr oft bei Porsche der Fall. Die Gefahr aber ist, dass man unvorsichtig und überoptimistisch wird. Wiedeking hatte nicht damit gerechnet, dass Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf seine Seite zieht und dass somit das VW-Gesetz bleibt, das Niedersachsen eine Sperrminorität bei VW sichert.

Erfolgsarroganz: Das Auftreten Wiedekings und eines Teils seiner Leute in Wolfsburg folgte dem Motto "Wir kommen und übernehmen Euch, kein Stein bleibt auf dem anderen". Das musste zu Gegenwehr führen. Geschadet hat vor allem dieses arrogante Auftreten in Wolfsburg. Manchmal sollte man gerade, wenn man erfolgreich ist, dezent sein.

Narzissmus: Narzissten wollen bewundert werden. Und wer jahrelang erfolgreich war und bewundert wurde, ist in Gefahr, sich zum Autisten zu entwickeln. Er bekommt dann nicht immer realistische Informationen darüber, was an der Basis der Mitarbeiter, der Kunden und Wettbewerber vor sich geht. Narzissten setzen sich ungern mit selbstbedrohenden oder kritischen Informationen auseinander. Narzissten unterschätzen Gegner, zeigen Anzeichen von Omnipotenz, glauben, alle Probleme meistern zu können. Die Konsequenzen sind geringe Sensitivität für Risiken und ein Gefühl von Unverwundbarkeit. Wiedeking unterschätzte seinen Gegenspieler Piëch.

Gruppendenken: Das Machtzentrum von Porsche war geprägt von Gruppendenken. Es gab eine homogene Sichtweise der Problemlage sowie der Lösungswege. Dieses "Groupthink-Phänomen" bewirkt fast eine Gruppenarroganz, kritisches Denken unterbleibt, und man fühlt sich im Besitz der Wahrheit. Dieses Denken verstärkt Optimismus, Omnipotenz und Unverletzbarkeit. Wiedeking hatte wohl zumindest teilweise eine Umgebung geschaffen, die sich ihm blind unterwarf. Der psychologische Hintergrund von Gruppendenken bewirkt meistens unrealistische Einschätzungen, Unterschätzung des Gegners und überoptimistische Einschätzungen hinsichtlich zukünftiger Entwicklung. Personen und Gruppen, die sehr groß geworden sind, sind in Gefahr, dass sie von ihrer Umgebung keine kritischen Signale mehr bekommen oder diese ignorieren. Sie neigen auch dazu, potentielle Stolpersteine und Widersacher zu unterschätzen.

Sorglosigkeit und Erfolgsarroganz führen dazu, einen noch größeren Wurf machen zu wollen, sich übermächtig und unangreifbar zu fühlen. Die Psychologie des Erfolgs ist oft verbunden mit Misserfolgen. Das ist nicht nur bei Einzelnen so, sondern auch bei Gruppen, aber auch bei ganzen Weltmächten. Die Gier nach mehr, nicht nur um Macht zu erhalten, sondern um Macht auszuweiten, führt sehr oft zur Tendenz der Selbstüberschätzung. Auf der anderen Seite schließt sich die Umgebung zusammen. Es gibt quasi Gegenkoalitionen und Gegenmächte, die den Emporkömmling in die Schranken verweisen.

Wiedeking hat verloren, nicht nur wegen der Finanzkrise und der falschen Einschätzung des VW-Kurses, sondern weil er Bodenhaftung verloren hat. Er hat überzogen und gegen seinen Gegenspieler Ferdinand Piëch verloren. Piëch ist nicht nur VW-Aufsichtsratschef, sondern auch Porsche-Miteigentümer. Die Frage ist, wie lange es dauert, bis er der Nächste ist.

Hat Wiedeking seine Mega-Abfindung wirklich verdient? Diskutieren Sie hier!

Prof. Dr. Dieter Frey ist Lehrstuhlinhaber für Sozialpsychologie und Akademischer Leiter der Bayerischen Eliteakademie.

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