Süddeutsche Zeitung

Darts:Ins Schwarze getroffen

Darts war mal ein Kneipenvergnügen. Heute ist es eine Sportart, die immer mehr Begeisterung auslöst - auch bei Herstellern, Händlern und Fernsehsendern.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Eine Männer-Fußballmannschaft gibt es im 230 Einwohner zählenden Dorf Fiegenstall schon lange nicht mehr, aber trotzdem war das Vereinsheim der DJK zu klein geworden. Also haben sie im vorigen Sommer eine kleine Halle angebaut, für eine Sparte, die es erst seit zwei Jahren gibt, die aber regen Zulauf verzeichnet: Darts. "Wir haben jetzt vier für offizielle Punktspiele und Turniere zugelassene Boards und einen weiteren zum Üben", sagt Konstantin Degenhardt, 31. Mit seinem Kumpel Jonathan Wagner, 24, hat der Mathematiklehrer den Pfeile-Sport in das fränkische Dorf gebracht. Inzwischen werfen zwei Dutzend Spieler zweimal die Woche ihre Pfeile auf die runden Scheiben aus Sisal, und auch am organisierten Punktspielbetrieb nimmt die DJK Fiegenstall teil.

"Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass Darts einen Boom erleben wird", sagt Hermann Stiens, 68. Dieser Anfang lag im Jahr 1989, als der Unternehmer aus Münster Ausschau hielt, welche kleinen Sportarten großes geschäftliches Potenzial in sich bergen. Gut drei Jahrzehnte später bündelt Stiens in seiner Firma Embassy einerseits einen Großhandel, mit dem er Fachhändler und große Filialisten wie Intersport, Sport 2000, Sport-Scheck oder die Sporthäuser von Galeria Karstadt Kaufhof mit Darts-Ausrüstung beliefert. Zugleich gehört ihm mit der Marke Bulls auch der größte deutsche Hersteller von Wurfpfeilen und Zubehör.

"Im Januar ist bei uns immer am meisten los."

An Hermann Stiens ranzukommen ist nicht einfach in diesen Tagen. "Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, ob ich Sie zum Chef durchstellen kann", sagt die Mitarbeiterin in der Embassy-Telefonzentrale zögernd. "Im Januar ist bei uns immer am meisten los." Darts ist ein Wintersport. Was viel damit zu tun haben dürfte, dass traditionell über den Jahreswechsel hinweg der Darts-Weltmeister gekürt wird. Und zwar unter den Augen einer wachsenden, internationalen Fan-Gemeinde, was dem deutschen Sparten-TV-Sender Sport 1 - gemessen an seinem sonstigen Programm - traumhafte Einschaltquoten beschert. Bis zu 2,1 Millionen Menschen sahen vergangenen Sonntagabend live zu, als der Waliser Gerwyn Price im 28. WM-Finale den Schotten Gary Anderson mit 7:3 besiegte. Weitere Zuschauer verfolgten den Wettkampf im zahlungspflichtigen Streamingdienst Dazn.

Gemessen an Fußball, Handball oder Laufen spielt sich Darts nach wie vor in einer kleinen Nische ab. Wie groß das Marktvolumen ist, hat noch niemand seriös erfasst. Der Trend zum Pfeil ist allerdings unverkennbar. "Darts hat den Sprung aus den Kneipen heraus in die Sportvereine geschafft", sagt Michael Sandner, Präsident des Deutschen Dart-Verbands (DDV). Seit 2014 stieg die Zahl der dort organisierten Vereine von 540 auf etwa 700 und jene der organisierten Turnierspieler von 9800 auf gut 16 000. Experten schätzen, dass hierzulande etwa 150 000 Menschen Dart-Pfeile werfen, außer in Klubs und Kneipen auch in Spielhallen, Partykellern und hippen Unternehmen, wo Tischfußball, Billard oder eben Darts mittlerweile zum Stil gehören.

Die Branche nennt keine Zahlen, aber seit 2005 sind die Wachstumsraten "zweistellig"

Entsprechend entwickelt sich das damit verbundene Geschäft stetig nach oben. "Wir verzeichnen seit 2005 jährlich zweistellige Wachstumsraten", sagt Embassy-Chef Stiens, der keine Zahlen nennen will. Diesbezüglich gibt sich die Branche generell zugeknöpft. Auch die mutmaßlichen, allesamt in Großbritannien angesiedelten Weltmarktführer Unicorn, Winmau (mit Red Dragon) und Target halten sich mit Zahlen bedeckt. Experten schätzen ihre Umsätze jeweils auf einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag. Gleich nach den Briten dürfte inzwischen Bulls aus Münster rangieren. Nach Großbritannien gilt Deutschland als zweitgrößter Darts-Markt.

Viel spielt sich dabei im Onlinegeschäft ab; im Netz finden sich ein gutes Dutzend spezialisierte Verkaufsplattformen aus Deutschland. "Im Sportfachhandel macht Darts nur ein kleines Segment aus, aber eines, mit dem die Händler gut Geld verdienen können", sagt Branchenexperte Matthias Krenski von SAZ sport. "Pro Quadratmeter lässt sich mit der größte Umsatz erzielen." Zumal im Laden gilt, was auch jeder Kneipenwirt schätzt: Darts braucht nicht viel Platz. Eine Scheibe an die Wand, davor eine Markierung im Abstand von 2,37 Metern - schon kann es losgehen.

Frauen sind hier noch selten vertreten

Es ist wohl die Mischung aus Konzentration, Geschicklichkeit und Präzision, die Menschen fasziniert, wenn sie Pfeile auf die Scheibe mit dem wagenradähnlichen Muster, den zwanzig Zahlenfeldern und den beiden Mittelpunkt-Feldern werfen. Mutmaßlich ist Darts vor allem ein Männersport. Zumindest findet sich auf der Weltrangliste sehr lange kein Frauenname. Bei der zurückliegenden WM im Alexandra Palace in London, Fans besser bekannt als "Ally Pally", starteten mit Lisa Ashton und Deta Hedman nur zwei Frauen, von anfänglich 128 Startern.

Was deutlich zunimmt, sind die Preisgelder im Profibereich. Der neue Weltmeister Gerwyn Price nahm gut 550 000 Euro als Siegprämie mit nach Hause, Finalverlierer Gary Anderson immerhin noch 221 000 Euro. Die Top-Stars bringen es dank Antrittsgeldern, Siegprämien und Sponsorengeldern auf siebenstellige Einkünfte. Hersteller bringen unter ihren Namen ganze Kollektionen mit meist grellbunten Trikots, aber auch Pfeilen und Zubehör auf den Markt. Die Stars werfen mit handgefertigten, an ihre Wurftechnik angepassten Pfeilen.

Der Lockdown beflügelt das Geschäfte noch

"Für das Geschäft ist die mediale Präsenz der WM ein Glücksfall", sagt Hermann Stiens. Organisiert wird die Weltmeisterschaft seit einigen Jahren nicht (mehr) von einem funktionärsgeführten internationalen Sportverband, sondern von der britischen Firma PDC, die ihrerseits von erfahrenen Sportpromotern geführt wird. Inzwischen gibt es sogar Reiseveranstalter, die sich darauf spezialisiert haben, Trips zur WM ins Ally Pally oder anderen Turnieren zu organisieren, wenn nicht gerade eine Pandemie dies verhindert. Der Lockdown beflügele die Geschäfte aber auch, sagt Embassy-Chef Stiens. Die Leute seien mehr zu Hause, suchten nach einem Zeitvertreib in den eigenen vier Wänden und würden durch das TV zum Dartspielen angefixt.

Experten sagen voraus, dass der Darts-Boom hierzulande dann noch einmal enorm an Dynamik zulegen wird, wenn ein deutscher Spieler sich in der Weltspitze etabliert. Vielleicht ist das Gabriel Clemens aus Saarlouis, der als erster Deutscher bei der WM ins Achtelfinale vorstieß. Der Deutsche Dart-Verband hofft nicht nur auf ein prominentes Vorbild, sondern arbeitet seinerseits an besseren Strukturen. Sein Präsident Michael Sandner verweist auf die spezielle Trainerausbildung und vor allem auf die intensivere Jugendarbeit. Die sei nur möglich, wenn die Sportart nicht im Kneipenmilieu verharre, sondern sich auch in Sportvereinen etabliere, sagt Sandner. Denn: "Welche Eltern schicken ihr Kind schon zum Training in die Kneipe?" In Bayern übrigens ist Darts seit einiger Zeit als Schulsport offiziell anerkannt.

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