Daimler:Wut und Wehmut

Dieter Zetsche übergibt den Vorstandsvorsitz an Ola Källenius. Die Aktionärs­vertreter bedanken sich, es gibt auch scharfe Kritik.

Von Stefan Mayr, Berlin

Die Ära Zetsche endet mit vielen Verbeugungen und Tränen in den Augen. Das Gesicht der deutschen Autoindustrie hat sich mit bewegter und mitunter brüchiger Stimme verabschiedet - sein Nachfolger hat still und leise den Vorstandsvorsitz übernommen, ohne zu Wort zu kommen. Daimler-Chef Dieter Zetsche hat am Mittwoch nach der Hauptversammlung in Berlin den Vorstandsvorsitz an Ola Källenius übergeben. Auf der Hauptversammlung in der Messehalle 25 gab es viel Lob für Zetsches 13-jährige Amtszeit, aber auch besorgte Fragen und scharfe Kritik von Investoren, die Zetsche Fehler vorwarfen.

Daimler Hauptversammlung

Stabwechsel: Dieter Zetsche übergibt die Geschäfte an Ola Källenius (links).

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Bevor die Aktionärsvertreter zu Wort kamen, gab es jedoch einen überraschenden emotionalen Moment: Der Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Bischoff lobte Zetsche als "Ausnahmemanager", dem "uneingeschränkter Dank" gebühre. Der einsetzende Applaus fiel üppig aus und bewegte Zetsche deutlich sichtbar. Ein verlegenes Lächeln, feuchte Augen. Er stand auf, verbeugte sich kurz. Der Applaus hielt an. Nochmals stand Zetsche auf, verbeugte sich ein zweites Mal. Und machte mit den Händen das T-Zeichen. Soll heißen: Time-out - bitte aufhören zu klatschen. Gelächter im Plenum. Zur Feier des Tages hatte Zetsche mal wieder eine Krawatte angelegt.

Der neue Vorstandschef wird Details zum Sparprogramm verkünden müssen

In seiner Abschiedsrede klang er, als würde er den Konzern noch viele weitere Jahre weiterführen. Daimler stehe vor großen Herausforderungen und müsse heftig sparen, berichtete er: "Alles steht auf dem Prüfstand." Das gesamte Unternehmen müsse "Kosten senken und die Effizienz steigern", dabei zählte er die diversen Baustellen auf: "Fixe und variable Kosten, Sach- und Personalkosten, Investitionsvorhaben, die Wertschöpfungstiefe und die Produktpalette." Weitere Details der Einsparmaßnahmen nannte er nicht. Diese darf und muss wohl Ola Källenius entwickeln und demnächst verkünden.

Zetsche seinerseits sprach am Mittwoch über das sogenannte "Projekt Zukunft". Das ist die geplante Umstrukturierung des Stuttgarter Herstellers von Autos, Lastwagen und Bussen in drei selbständige Aktiengesellschaften (Mercedes-Benz AG, Daimler Truck AG, Daimler Mobility AG) unter dem Dach einer Holding (Daimler AG). Die "äußerst komplexe Neuaufstellung" kostet knapp eine Milliarde Euro. Diese Investition soll "neue Wachstums- und Profitabilitäts-Chancen" heben. Zetsche zufolge sollen die Pkw- und Lkw-Sparten flexibler werden, damit sie besser auf Herausforderungen reagieren können.

Die Aktionäre stimmten dem Plan am Abend mit großer Mehrheit zu.

Zetsche war seit 2006 Vorstandschef. Seine größte Tat war der Verkauf des US-Herstellers Chrysler, mit dem sein Vorgänger Jürgen Schrempp zuvor eine kostspielige Fusion eingegangen war. Die Trennung gelang gerade noch rechtzeitig vor der Finanzkrise - und wird von Experten als Rettung des Konzerns gewertet. Danach verpasste Zetsche den verstaubten Mercedes-Modellen ein frischeres Antlitz und führte die Verkaufszahlen zurück an die Spitze der Premium-Hersteller. Jahr für Jahr vermeldete er Rekorde, der Umsatz stieg auf 167 Milliarden Euro. Doch zuletzt brach der Gewinn ein, auch der Aktienkurs schwächelte. Zetsche zeigte sich deshalb selbstkritisch: "Mit dem aktuellen Profitabilitätsniveau können und wollen wir nicht zufrieden sein."

Hier setzte auch die Kritik der Aktionärsvertreter an. "Daimler hat ein chronisches Effizienzproblem, das Herr Zetsche nie wirklich angepackt hat", sagte Janne Werning von Union Investment. "Sie hinterlassen kein wohlbestelltes Haus, sondern eine Großbaustelle." Sowohl der Aktienkurs als auch die Dividende seien enttäuschend. Daimler kürzte die Dividende für 2018 von 3,65 auf 3,25 Euro. Zetsche begründete dies mit den Kosten für "den größten Wandel unserer Geschichte".

Tatsächlich übergibt er seinem Wunsch-Nachfolger Ola Källenius einen Konzern im Umbruch. Der Schwede muss sich mit externen Widrigkeiten herumschlagen wie Zollstreit, Konjunkturdelle, Technologie-Umbruch - aber auch mit hausgemachten Problemen wie Diesel-Rückrufe, Kartellverfahren, Effizienzprobleme. All das wird dem Schweden das Führen des Konzerns mit seinen 300 000 Mitarbeitern alles andere als leicht machen. Viele Aktionärsvertreter wendeten sich direkt an den 49-Jährigen und fragten ihn, mit welchen Konzepten er Daimler in die Zukunft führen wolle. Doch der Noch-Vorstand für Forschung und Entwicklung kam am Mittwoch nicht zu Wort. Alle Fragen beantworteten Zetsche, Finanz-Vorstand Bodo Uebber sowie Aufsichtsratschef Bischoff.

Im Zuge von Zetsches Abgang wird der Daimler-Vorstand weiter umgebaut: Auch Bodo Uebber geht, auf seinen Posten rückt Harald Wilhelm, der seit 2012 Finanzvorstand bei Airbus war. Källenius' Amt als Entwicklungsvorstand übernimmt Markus Schäfer aus dem eigenen Haus.

Zum Ende seiner Rede stand Zetsche nochmals sichtlich ergriffen am Pult. Es war der letzte Applaus für ihn als Vorstandschef. Zetsche bekam nochmals feuchte Augen und verbeugte sich mehrmals.

Am Abend verließ Zetsche die Halle als ehemaliger Daimler-Chef. Wie Aufsichtsratschef Bischoff zuvor betonte, soll Zetsche nach zwei Jahren Abkühlphase in den Aufsichtsrat rücken. Dieser Plan begeistert nicht alle Aktionärsvertreter - vor allem angesichts drohender juristischer Altlasten. Es bleibe abzuwarten, ob "jemand aus der alten Verbrennerwelt das Lenkrad in die Hand nehmen sollte", sagte Ingo Speich von Deka Investment. "Interessenkonflikte bei der Aufarbeitung der Vergangenheit können wir nicht dulden."

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