Süddeutsche Zeitung

Daimler:Schon wieder

Der Autokonzern gibt eine zweite Gewinnwarnung heraus. Schuld ist die Abgasaffäre - aber nicht allein.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

So hat sich Dieter Zetsche seine letzten Monate als Daimler-Chef sicherlich nicht vorgestellt: Vier Monate nach einer ersten Gewinnwarnung hat der Stuttgarter Autokonzern am Freitagnachmittag eine zweite hintergeschickt. Der Aktienkurs sackte daraufhin auf unter 50 Euro ab - so tief waren sie zuletzt vor fünf Jahren im Wert gesunken. Die Automobilexperten Arndt Ellinghorst, Ferdinand Dudenhöffer und Stefan Bratzel sind sich einig, dass Daimler nur der Vorbote eines branchenweiten Trends ist.

"Die Autoindustrie muss sich auf magere Jahre einstellen", sagt Autoforscher Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Ihm zufolge drücken künftig "eigene Fehler wie bei Dieselgate plus die weltweit schwächere Konjunktur" auf die Gewinne der deutschen Autobauer - und dies "stärker als etwa bei den Asiaten". Und Analyst Ellinghorst von Evercore ISI prophezeit: "Die alte Regel ist: Eine Gewinnwarnung kommt selten allein." Werden andere Hersteller tatsächlich folgen?

Zuletzt hatte auch Volkswagen am Dienstag eine Gewinnwarnung veröffentlicht. Anlass war die 800 Millionen-Euro-Geldbuße für die Tochtermarke Audi wegen der Manipulationen bei der Abgasreinigung von Dieselmotoren. Ende September hatte BMW seine Erwartungen heruntergeschraubt, als Grund nannten die Münchner neue Zölle, die Rabattschlacht in Europa im Zuge der Umstellung auf den neuen Abgas- und Verbrauchs-Messstandard WLTP sowie unerwartet viele Rückrufe ihrer Fahrzeuge.

Daimler begründet seine jüngste Neubewertung vor allem mit den Nachwirkungen der Dieselaffäre. Wörtlich heißt es in der Ad-hoc-Mitteilung: "Maßgeblich ist ein Anstieg der erwarteten Aufwendungen im Zusammenhang mit den laufenden behördlichen Verfahren und Maßnahmen in verschiedenen Regionen betreffend Mercedes-Benz Dieselfahrzeuge."

Als weitere Faktoren nennt das Unternehmen die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Rechtsstreit um das Kühlmittel R134a. Daimler hat deswegen wohl Rückstellungen in dreistelliger Millionenhöhe gebildet, um für eine möglicherweise erforderliche Umrüstung von Fahrzeugen gewappnet zu sein. Zudem gesteht Daimler " Auslieferungsverzögerungen" in der Van-Sparte ein und berichtet von einer sinkenden Nachfrage nach Daimler-Bussen.

Erst im Juni hatte Daimler die Prognose für das Ergebnis vor Zinsen und Steuern im Geschäftsjahr 2018 auf "leicht unter Vorjahresniveau" heruntergeschraubt. Jetzt spricht der Konzern von "deutlich unter Vorjahresniveau" - und zwar für fast alle Sparten. Betroffen sind die Pkw- und Lkw-Sparte, die Vans und die Busse und somit auch der Gesamtkonzern. Einzig die Sparte Finanzdienstleistungen wird voraussichtlich das Ergebnis von 2017 halten können.

Im dritten Quartal brach der Konzerngewinn im laufenden Geschäft nach vorläufigen Zahlen um mehr als ein Viertel auf 2,49 Milliarden Euro ein. Im Vorjahreszeitraum war er noch bei 3,41 Milliarden Euro gelegen - also fast eine Milliarde höher.

Damit fällt ein dunkler Schatten auf die Ära Dieter Zetsche. Der 65-Jährige hatte im Jahr 2006 den Vorstandsvorsitz übernommen und Daimler nach der misslungenen Fusion mit Chrysler aus der Krise geführt. In den jüngsten Jahren eilte Zetsche von Rekord zu Rekord; 2017 verkaufte Daimler so viele Fahrzeuge wie nie, der Gewinn stieg um 24 Prozent auf 10,9 Milliarden Euro, vor Steuern und Zinsen lag er bei 14,7 Milliarden Euro. Auch 2018 wird der Konzern noch Gewinn machen, aber die fetten Jahre sind offensichtlich vorbei.

Dabei leiden die deutschen Hersteller nicht nur an der selbst verschuldeten Dieselkrise, sondern auch an widrigen Rahmenbedingungen. Der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg löste Strafzölle zwischen USA und China aus. Diese verteuern die in Amerika produzierten und nach China exportierten Luxusautos und lassen den Absatz entsprechend sinken.

"Die Zeichen stehen auf Gürtel enger schnallen", sagt Uni-Professor Dudenhöffer. Nach seiner Prognose werden die weltweiten Verkaufszahlen von Neuwagen im Jahr 2019 erstmals seit 2009 wieder sinken. Dudenhöffer rechnet mit 85 Millionen verkauften Pkw - das sind 1,2 Millionen weniger als 2018. Für Dudenhöffer steht deshalb fest: "Wir werden noch mehr Gewinnwarnungen bei Autobauern und Zulieferern sehen."

Das vermutet auch sein Kollege Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach: Neben den Fehlern der Vergangenheit und der konjunkturellen Eintrübung machen auch neue Konkurrenten aus der Digitalbranche mit neuen Geschäftsmodellen allen etablierten Automobilherstellern zunehmend Konkurrenz. Das erfordere "hohe Investments für die Zukunft", was auf die Margen drücke.

Dieter Zetsche wird den Vorstandsvorsitz im Mai 2019 an Ola Källenius übergeben, der Schwede steht vor großen Herausforderungen. Zu allem Überfluss steht bei vielen Lkw- und Pkw-Reihen ein neuer Zyklus bevor. Die neue Modelle müssen sitzen.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2018
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