Süddeutsche Zeitung

Autoindustrie:Flirten war mal

Dass Renault für eine Milliarde Euro seine Daimler-Aktien abstößt, könnte bei den Stuttgartern eine Zeitenwende einläuten. Denn der Autobauer dürfte in Zukunft noch ein ganzes Stück chinesischer werden. Kommt nun bald die Übernahme?

Von Thomas Fromm, München

Es ist schon einige Jahre her, dass sie sich regelmäßig bei Automessen in Paris, Genf oder Frankfurt trafen. Und wenn sich der damalige Renault-Nissan-Boss Carlos Ghosn und Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche dann vor Publikum in ihren Sesseln fläzten, gegenseitig lobten, die Bälle zuspielten und Insiderwitze rissen, dann war das mehr als das normale Speed-Dating zweiter Konzernchefs. Beide kauften große Aktienpakete des jeweils anderen Unternehmens, wollten zusammen spritsparende Benzinmotoren entwickeln und an Kleinwagen arbeiten. Eine gemeinsame Plattform für den Smart und den Renault Twingo? 2010 schien alles machbar. Und als mal jemand fragte, warum sie bei so viel Harmonie ihre Unternehmen nicht gleich fusionierten, hieß es: Man könne auch mit einem "Flirt glücklich sein", ohne gleich "heiraten" zu müssen. Ok, die beiden Manager, die da regelmäßig ihre Carlos- und Dieter-Show abzogen, wollten offenbar lieber eine offene Zweierbeziehung. Auch ok.

Aber auch die ging irgendwann zu Ende. Ghosn wurde Ende 2018 in Japan unter anderem wegen Untreue angeklagt und flüchtete vor Prozessbeginn in einem Instrumentenkoffer in den Libanon. Zetsches Abgang war dagegen weitaus unspektakulärer: Er übergab sein Amt im Mai 2019 an den Nachfolger Ola Källenius. In der Nacht zum Freitag nun hat sich Renault von seinem gesamten Aktienpaket der Stuttgarter getrennt und bei Großanlegern platziert. 16,45 Millionen Daimler-Aktien à 69,50 Euro, das macht 1,14 Milliarden Euro. Ein guter Schnitt, mit dem die Franzosen ihre Schulden tilgen wollen.

Die Kooperation, heißt es, solle weiterlaufen, allerdings arbeiten beide vor allem noch bei Vans und Transportern zusammen. Aus vielen anderen Plänen ist nichts geworden, die Beziehung unter den Flirt-Partnern von einst soll merklich abgekühlt sein, nicht zuletzt seit dem Dieselabgas-Skandal vor einigen Jahren. "Die Kooperation der beiden hat nicht viel gebracht", sagt Stefan Bratzel vom Bergisch Gladbacher Center of Automotive Management (CAM). Dazu komme nun noch, dass Mercedes seine Zukunft ohnehin mehr im Luxusbereich sehe. "Was will man da noch mit Renault?"

Chinesen statt Franzosen

Statt mit Franzosen arbeiten die Schwaben seit einiger Zeit lieber mit Chinesen zusammen - allen voran mit dem chinesischen Autobauer Geely. Da ist nicht nur ein gemeinsames Joint Venture, mit dessen Hilfe die Mercedes-Kleinwagenmarke Smart gestärkt werden soll. Im Raum stehen auch gemeinsame Motoren, die ab 2024 in Deutschland und China gebaut werden könnten und Antriebssysteme der nächsten Generation für Hybridanwendungen. Um in der Elektromobilität und beim autonomen Fahren mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz weiterzukommen, geht Geely eine Menge Partnerschaften ein. Mit dem Internetkonzern Baidu, dem Apple-Zulieferer Foxconn und auch mit dem Tech-Konzern Tencent. Daimler-Chef Källenius spricht ja nicht zufällig von "intelligenten Kooperationen".

Mehr als jeden dritten Mercedes verkauft der Konzern heute in China, es ist der wichtigste Einzelmarkt. "Im Moment profitiert man noch von dem Geschäft, aber es entstehen langfristig auch Abhängigkeiten", warnt Autoexperte Bratzel. Dazu kämen "die geopolitischen Ambitionen Chinas" und die Menschenrechtslage. "Das sind Themen, da macht man sich als Unternehmen schnell angreifbar und verwundbar." Verwundbar aber ist Daimler nicht nur wegen der chinesischen Politik.

Anders als beim VW-Konzern, der in erster Linie von den Familien Porsche und Piëch und dem Land Niedersachsen kontrolliert wird oder bei BMW, wo die Quandt-Familie die Mehrheit hält, sind Daimler-Aktien zu einem großen Teil im Streubesitz institutioneller und privater Anleger. Größter Einzelaktionär ist die chinesische Gesellschaft "Tenaciou3 Prospect Investment Limited" mit knapp zehn Prozent. Hinter der Firma steht kein Geringerer als der Unternehmer Li Shufu vom chinesischen Autobauer Geely. Außerdem beteiligt: Der kuwaitische Staat mit fast sieben Prozent und der chinesische Autohersteller BAIC mit fünf Prozent.

Kein europäischer Ankeraktionär mehr

Schon heute liegen also knapp 15 Prozent der Daimler-Anteile bei chinesischen Investoren. Erst vor kurzem machten Spekulationen die Runde, wonach BAIC seine Anteile auf zehn Prozent aufstocken will. Und dann? Jeder für sich oder beide zusammen? Ein mögliches Szenario geht so: Beide Investoren könnten sich zusammenschließen, weiter aufstocken und eine Sperrminorität aufbauen - was angesichts der frei verfügbaren Aktien am Markt kaum ein Problem sein dürfte. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass der kuwaitische Investor irgendwann Kasse machen und seine Anteile verkaufen könnte. Folge: Geely und BAIC könnten damit ihren Einfluss in Stuttgart massiv ausbauen und geltend machen.

Daimler ohne Renault, das also bedeutet auch: Der Konzern hat nun keinen europäischen Ankeraktionär mehr, dafür aber zwei große chinesische Anteilseigner. "Das Unternehmen muss nun aufpassen, nicht immer chinesischer zu werden", warnt Bratzel. Dass Daimler-Chef Källenius den alten Konzern in ein Pkw- und ein Nutzfahrzeugunternehmen aufspaltet, könnte den Investoren übrigens sehr entgegen kommen. Sie wären ohnehin nur am Stern und den edlen Karossen interessiert, und nach der Zerlegung gäbe es Mercedes-Benz samt Stern separat zu kaufen. Die Zeiten, in denen sich ein Daimler-Chef noch auf einen lockeren Flirt mit französischen Kollegen einlassen konnte, ohne dabei viel zu verlieren, sind vorbei. Künftige Beziehungen könnten weitaus anstrengender werden.

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