Dass er einen rigiden Sparkurs ausrufen würde, war zuvor bereits klar. Fraglich war jedoch: Wie tief und wie schmerzhaft würden die Einschnitte sein? Können sie die zuletzt eher ungeduldigen Investoren und Analysten zufriedenstellen? Und schafft es Ola Källenius, trotz all der Kostenreduktion seine Mitarbeiter nicht zu verärgern?
Am Donnerstagmorgen nun hat der neue Daimler-Boss Ola Källenius in London seine Strategie für den Automobilhersteller präsentiert - und sein Publikum auf schwierige Zeiten vorbereitet. In einer Pressemitteilung ist vorab von einer "Margenerosion" die Rede: Auch deshalb kündigt Källenius an, bis 2022 konzernweit über 1,4 Milliarden Euro alleine an Personalkosten einsparen zu wollen. Zudem will er "mittelfristig" die Investitionen in Sachanlagen sowie in Forschung und Entwicklung reduzieren.
Als Grund für die Sparmaßnahmen nennt der 50-jährige Schwede vor allem die verschärften CO₂-Grenzwerte der EU für Flotten: "Die Kostenbelastungen zur Erreichung der CO₂-Ziele erfordern umfassende Maßnahmen zur Effizienzsteigerung in allen Bereichen unseres Unternehmens", sagt Källenius. Dies werde die Ergebnisse in den Jahren 2020 und 2021 belasten. "Wir müssen 2020 von 138 Gramm auf 100 Gramm runter. Das ist eine große Distanz. Das ist ein big chunk." Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müsse man jetzt handeln und die Finanzkraft signifikant steigern.
Die Aktionäre fanden Källenius' Strategie nicht sehr überzeugend: Der Aktienkurs brach am Donnerstagmorgen zunächst um drei Prozent ein.
Nach seinem Amtsantritt im Mai hatte Källenius mehrfach angekündigt, dass das Unternehmen effizienter werden müsse. Nun nannte er erstmals konkrete Zahlen. Von den 1,4 Milliarden Euro Personalkosten, die bis Ende 2022 eingespart werden sollen, trägt den Hauptanteil die Pkw-Sparte. Sie alleine soll um eine Milliarde Euro abspecken. Den Rest tragen die Bereiche Vans (100 Millionen) und Lkw/Busse (300 Millionen) bei.
Wie genau diese Einsparungen erreicht werden sollen, blieb zunächst aber weitgehend offen. In der Pressemitteilung heißt es nur, Daimler wolle sowohl im Management als auch in der Verwaltung Stellen abbauen. Hierzu befinde sich das Unternehmen "im engen Austausch" mit den Arbeitnehmervertretern. Der Betriebsrat seinerseits hatte einige Tage vor Källenius' Präsentation bereits veröffentlicht, dass das Daimler-Management 1100 Führungs-Jobs abbauen wolle und von den Mitarbeitern verlange, 2020 auf die Tariferhöhungen zu verzichten. Vor allem letztere Forderung wiesen die Arbeitnehmer scharf zurück. Die Zahlen des Betriebsrats ließ das Management am Donnerstag zunächst unkommentiert.
Fakt ist allerdings, dass für alle deutschen Tarif-Mitarbeiter bis Ende 2029 eine Beschäftigungssicherung gilt. Betriebsbedingte Kündigungen sind für sie also ausgeschlossen. Dieser Schutz gilt allerdings nicht für die höheren Führungskräfte.
Die EU hat die CO₂-Flotten-Grenzwerte drastisch verschärft
Die Party bei Daimler ist also vorbei. Källenius selbst jedoch kann wenig bis gar nichts dafür. Vielmehr wurden ihm die Probleme von seinem Vorgänger Dieter Zetsche hinterlassen respektive von der nicht immer freundlich gesinnten Außenwelt vor die Tür gestellt: Die EU hat die CO₂-Flotten-Grenzwerte drastisch verschärft, das kostet Daimler in jedem Fall viel Geld. Der Konzern muss seine Modellpalette drastisch umbauen, von den margen- und schadstoffträchtigen Vielzylindern hin zu den teuren Elektro- und Hybrid-Fahrzeugen, mit denen sich viel weniger Geld verdienen lässt. Gelingt dieser Schwenk nicht, drohen den Mercedes-Bauern mit ihren schweren Premium-Karossen jährliche Strafzahlungen in Milliardenhöhe.
Zudem haben die Klimadebatte und der Abgasskandal den Umstieg von der Verbrenner- hin zur Elektromobilität forciert. Hier brausen neue, agile Konkurrenten dem trägen Tanker aus Stuttgart mit seiner 300 000-köpfigen Besatzung davon. Die Forschung und Entwicklung zu den Zukunftsthemen autonomes Fahren und die Digitalisierung verschlingen ebenfalls viel Geld. Und als wäre das nicht alles Belastung genug, muss sich Källenius täglich mit der lästigen Dieselaffäre herumärgern, die zusätzlich Energie und Geld verbraucht: Wegen der laut Kraftfahrt-Bundesamt unzulässigen Abgasreinigung musste Daimler zuletzt 870 Millionen Euro Bußgeld zahlen und mehr als eine Million Fahrzeuge zurückrufen. Die Rückstellungen wurden auf mehr als 18 Milliarden erhöht, und in vielen Ländern dieser Welt sind Ermittlungsverfahren und Klagen gegen Daimler anhängig.
Das Unternehmen beteuert zwar seine Unschuld und hat gegen alle Rückruf-Bescheide Rechtsmittel eingelegt. Doch auch das ist teuer - und das Ende der Verfahren ist ungewiss. Wer im Geschäftsbericht das Kapitel über die Risiken liest, dem kann es um den Vorzeige-Konzern wahrlich Angst und Bange werden.
2019 hat Daimler mehr Geld ausgegeben als eingenommen
Kurzum: Källenius steht unter riesigem Druck. 2019 hat der Konzern mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Daimler hat kein Geld mehr zu verschenken und vor allem keine Zeit mehr zu verlieren. Zu seinem Abschied im Mai hatte der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche immerhin schon angedeutet, dass er ein alles andere als perfekt aufgestelltes Haus hinterlässt: Das Unternehmen müsse "Kosten senken und die Effizienz steigern", mit dem aktuellen Profitabilitätsniveau "können und wollen wir nicht zufrieden sein", sagte er auf der Hauptversammlung in Berlin. "Alles steht auf dem Prüfstand", betonte er und zählte auf: "Fixe und variable Kosten, Sach- und Personalkosten, Investitionsvorhaben, die Wertschöpfungstiefe und die Produktpalette."
Immerhin hat Zetsche rechtzeitig die Aufspaltung des Konzerns in drei Tochter-Aktiengesellschaften auf den Weg gebracht: Die Mercedes-Benz AG (Pkw und Vans), die Daimler Truck AG (Nutzfahrzeuge) und die Daimler Mobility AG (Mobilitäts-Dienstleistungen) können unter dem Dach einer Holding selbständig agieren. Und vor allem könnte bei akutem Geldmangel eine der Töchter mit einem (Teil-)Börsengang Cash in die Kasse bringen.