Daimler in der Krise:Mit Vollgas ins Ungewisse

Formel 1, grüne Technik und Premiumprodukte: Die Krise hat Mercedes hart getroffen, Daimler kämpft an vielen Fronten. Die Entwickler vermissen eine Vision - ein neuer Slogan soll helfen.

Dagmar Deckstein

Dieter Zetsche ist ein Meisterrhetoriker des Ungefähren. Der Vorstandschef des Daimler-Konzerns liebt Formeln wie "am Ende des Tages", wenn sich herausstellen werde, dass sich das neue E-Klasse-Modell seinen Weg zu den Premiumkunden bahnen werde. Am Ende welchen Tages auch immer.

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"Die Zukunft des Automobils" wollte Mercedes-Benz einst repräsentieren. Nun will die Marke bald einen neuen Slogan präsentieren.

(Foto: Foto: AP)

Oder dass sich der CO2-Ausstoß der Autos mit dem Stern selbstredend weiter reduzieren lasse, zumal er das "Thema klar adressiert" habe. Vermutlich an seinen Forschungsvorstand Thomas Weber, und der treibt 10 000 Entwicklungsingenieure an, das Ziel ja nicht zu verfehlen, bis 2012 den Kohlendioxidausstoß der Mercedes-Limousinen unter 140 Gramm zu senken.

Kampf an vielen Fronten

"Wir werden einen riesigen Schritt vorangehen", verspricht Weber. Ein ambitioniertes Unterfangen, zumal der Konzern Forschungsmilliarden nicht nur in verbrauchsärmere Benzin- und Dieselmotoren steckt, sondern auch Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellenantriebe entwickelt.

Daimler kämpft an vielen Fronten. "Wir müssen das Automobil neu erfinden", hatte Zetsche Anfang des von ihm so bezeichneten "Darwin-Jahres" für die Autoindustrie gewarnt. Und Daimler, wo das Automobil einst erfunden wurde, gleich mit.

Es scheint zumindest am Ende des Krisenjahres 2009 und am Beginn des neuen mehr Bewegung in den Daimler-Konzern gekommen zu sein. Lange sah man Zetsche nicht mehr so entspannt und zuversichtlich wie auf einer Veranstaltung Mitte Dezember in Abu Dhabi zum Darwin-Jahresausklang, wo er sich mit Mercedes-Rennfahrer Nico Rosberg neben einem goldfarbenen Rennwagen auf der brandneuen Formel-1-Strecke des Wüstenemirats postierte.

Umstrittene Benzin-Konverter

Mercedes mischt neuerdings wieder bei der Formel 1 mit, nachdem der Konzern mit dem Daimler-Neuinvestor Aabar aus Abu Dhabi 75 Prozent des Rennstalls Brawn erworben hat. Die Rennboliden aus der legendären Silberpfeil-Tradition einerseits und der Flügeltürer SLS andererseits, der neueste Traum- und Renommierflitzer mit 579 PS, knapp 200.000 Euro teuer, erzeugen in der deutschen Heimat eher Naserümpfen. Was will der selbsternannte grüne Neuerfinder des Autos mit solchen Benzin-Konvertern beweisen?

Nicht von ungefähr ist "Momentum" - Wucht, Schwung, Impuls - eine neue Lieblingsvokabel von Dieter Zetsche, die er bei jeder Gelegenheit einstreut. Das "starke Momentum" im Konzern hat er ausgemacht, um in Aussicht stellen zu können, "dass wir uns von nun an von Quartal zu Quartal nach vorne entwickeln können". Will heißen: Die niederschmetternden Verluste vom letzten Quartal 2008 bis ins erste Halbjahr 2009 sollen sich nicht wiederholen.

Pilot mit Schlafzimmerblick

Nico Rosberg lächelt dazu, hat einen Schlafzimmerblick wie Leonardo di Caprio auf der "Titanic" aufgesetzt und versichert, er freue sich, dass Rennikone Michael Schumacher zum Mercedes-Team stoßen werde. Das schlechteste Aushängeschild für die Marke Mercedes dürfte der reaktivierte Rennfahrer nicht sein und die drei Millionen Euro Jahressalär wert.

Im Daimler-Stammland wird das weit kritischer gesehen als in den rennsportbegeisterten Ländern der Welt, wo Mercedes künftig auf wachsende Pkw-Märkte setzt: die Golfstaaten sowieso, China, aber auch das wieder erstarkende Amerika. Den Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm brachte der Brawn-Einstieg auf die Palme: In den Fabriken werde derzeit jeder Cent dreimal umgedreht. Gleichzeitig werfe Daimler für den "Formel-1-Zirkus" Millionen zum Fenster hinaus.

Auf der nächsten Seite: Die Mitarbeiter fühlen sich "am Limit" ihrer Kräfte, den Entwicklern fehlt eine Vision - dennoch scheint Daimler wieder in die Spur zu finden.

Altes Motto, neuer Slogan

Die Autokrise hat alle Hersteller schwer erwischt, aber Daimler besonders hart. Viel zu lange sind Mercedes-Autos noch auf Halde produziert worden, wie Zetsche auf der letzten Hauptversammlung zugab. Von der Abwrackprämie profitierte der Hersteller teurer Autos kaum, die neue E-Klasse, auf der alle Hoffnung ruhte, fand vom Frühjahr an nur zögerlich Abnehmer.

Gar nicht zu reden von den Lastwagen. Der weltweit größte Nutzfahrzeughersteller Daimler litt besonders unter dem Einbruch des Marktes, auf dem sich der Umsatz glatt halbierte. Das Erste, was dem Management dazu einfiel, war neben der Kurzarbeit ein rigoroses Sparprogramm, vor allem beim Personal. Auf 8,75 Prozent Lohn verzichteten die 140.000 Beschäftigten seit 1. Mai und arbeiten seither auch weniger.

Leiden in allen Bereichen

"Bei Mercedes-Benz leiden die Mitarbeiter in allen Bereichen von der Forschung und Entwicklung, der Produktion bis hin zur Planung unter der Arbeitszeitverkürzung mit entsprechenden Lohneinbußen. Alle arbeiten am Kapazitätslimit", klagt Erich Klemm und sieht beim besten Willen keine weiteren Sparmöglichkeiten.

Die Mitarbeiter im größten Werk Sindelfingen sind ohnehin vergrätzt, seit der Vorstand Ende letzten Jahres auch noch entschied, die Produktion der C-Klasse von 2014 an nach Bremen und in die USA zu verlagern. Allerdings rang der Betriebsrat der Geschäftsführung dafür den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2020 ab.

Die Zukunft liegt im Premiumsektor

So langsam scheint Mercedes wieder in die Spur zu kommen - die Charmeoffensive am Golf und zuvor im Werk Rastatt sollten das beweisen. In Rastatt kündigte Zetsche höchstpersönlich an, dass 600 Millionen Euro ins A-Klasse-Werk investiert würden, obwohl die Einsteigermodelle A- und B-Klasse künftig auch in Ungarn produziert werden.

Aber die Zukunft des traditionellen Herstellers renditestarker Luxusautos liegt nicht auf dem margenschwachen Kleinwagensektor. Zetsche, der nicht nur Konzern-, sondern zugleich Mercedes-Chef ist, hat erkannt: "Der Premiumkunde sucht weniger lauten und exhibitionistischen Luxus, sondern eine subtilere Art, sich auszudrücken."

Also bekommt er zum Beispiel mit dem S 400 Hybrid das umweltfreundlichste Auto der Luxusklasse, zu dem es das Umweltinstitut Öko-Trend soeben erkoren hat. Oder den S 500 Plug-in, der nur 3,2 Liter verbrauchen soll, wenn er in frühestens zwei Jahren auf den Markt kommt. Gar nicht zu reden von 16 neuen Modellvarianten der bestehenden Pkw-Palette, die den Absatz bis 2015 auf 1,5 Millionen Autos hochschrauben sollen.

Kaum Zweifel an der Verlängerung

Verstummt sind jedenfalls die vielen Unkenrufe der letzten Monate, die den verblassten Glanz des Mercedes-Sterns, wenn nicht den Niedergang der Marke und seines vorübergehend verstummten obersten Repräsentanten Zetsche gleich mit heraufbeschworen. Inzwischen bestehen kaum Zweifel daran, dass Zetsches Vertrag in einigen Wochen verlängert wird.

In der globalen Autokrise kann man getrost behaupten, dass es Daimler besonders hart erwischt hat, weil der Konzern die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte mit ganz anderen, energiezehrenden Dingen beschäftigt war als mit zukunftsträchtigen und umweltfreundlichen Mobilitätstechniken. Erst mit Edzard Reuters Visionen vom "integrierten Technologiekonzern", dann mit Jürgen Schrempps grandios gescheiterter Welt- AG, deren Trümmer Zetsche seit 2006 erst einmal wegräumte.

Über alldem ist nicht nur dem Management, sondern auch den Beschäftigten aus dem Auge geraten, wofür sie sich eigentlich ins Zeug legen sollen. Wenn man sich in diesen Tagen unter Entwicklungsingenieuren umhört, ertönt eins ums andere Mal die Klage, es fehle die klare Vision, wo Daimler in den nächsten fünf, zehn Jahren stehen will.

"Das Beste oder nichts"

Zetsche hat auch dieses Thema "klar adressiert" und kramte in Abu Dhabi das alte Gottlieb-Daimler-Motto "Das Beste oder nichts" hervor, das sich der Konzern wieder ans Revers geheftet habe. Beim Marken- und Vertriebschef Joachim Schmidt hört sich das so an: "Wir trimmen unsere Organisation total auf Kundenorientierung."

Und dann wird Zetsche ganz konkret und stellt in Aussicht, dass Mercedes alsbald seinen so griffigen wie visionären Slogan vorstellen werde. "Das Auto" heißt er bei Volkswagen, "Freude am Fahren" bei BMW und "Vorsprung durch Technik" bei Audi. "Die Zukunft des Automobils" lautete er einst bei Mercedes, bis das Motto unter Schrempp abgeschafft wurde. So etwas brauche man nicht, hieß es. "Das", so Zetsche, "war wohl ein Fehler."

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