Daimler:Aufstand der Anleger

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Muss sich vorwerfen lassen, dass Daimler in allen wichtigen Bereichen ein schwaches Bild abgibt: Konzern-Chef Ola Källenius. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Ola Källenius muss auf seiner ersten Hauptversammlung als Konzern-Chef mit viel Kritik rechnen. Wichtige Aktionärsvertreter wollen Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Daimler-Chef Ola Källenius ist aktiver Rennsport-Fan. Insofern darf man unterstellen, dass es der 51-Jährige genießt, wenn ihm eine steife Brise ins Gesicht bläst. Aber den Mittwoch könnte sich der Schwede vielleicht mit ein bisschen weniger "Headwinds" wünschen, ein Wort, das Källenius in seinem smarten Business-Denglisch oft wiederholt. Mit heftigem Gegenwind muss er auf seiner ersten Hauptversammlung als Vorstandsvorsitzender rechnen, auch wenn sie nur virtuell per Videokonferenz stattfindet. So will die Fondsgesellschaft Union Investment sowohl dem Vorstand als auch dem Aufsichtsrat die Entlastung verweigern. "Daimler ist ein Sanierungsfall", sagt Janne Werning von Union.

Auch Deka Investment kündigt an, den Aufsichtsrat nicht zu entlasten. Und selbst Glass Lewis, Berater von institutionellen Anlegern, empfiehlt den Anteilseignern, sich bei der Abstimmung zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu enthalten. Die Liste der Gründe für die Unzufriedenheit der Aktionärsvertreter ist lang.

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"Wohin man auch schaut", schreibt Union-Experte Werning, Daimler gebe "ein schwaches Bild" ab: "Aktienkurs, operatives Geschäft, Elektromobilität, CO₂-Emissionen, Effizienz, Marge". Mercedes habe den Wandel zur Elektromobilität "verschlafen". Mit 138 Gramm CO₂-Ausstoß pro Kilometer sei Daimler bei den Flottenemissionen "Schlusslicht in Europa", Werning spricht von einem "Armutszeugnis".

Auch die nach wie vor ungeklärte Frage nach Diesel-Manipulationen ärgert ihn: "Entgegen aller Beteuerungen, man sei beim Dieselskandal nicht dabei, musste Daimler im abgelaufenen Geschäftsjahr eine Rückstellung von 1,9 Milliarden Euro für laufende behördliche und gerichtliche Dieselverfahren bilden", kritisiert Werning, "die weiße Weste hat Flecken."

"Wir blicken auf ein verlorenes Jahr für Daimler und seine Aktionäre."

Die zahlreichen Ermittlungen in diversen Ländern gegen Daimler nennt auch Aktionärsberater Glass Lewis als Grund, warum er den Anteilseignern bei der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat eine Enthaltung empfiehlt.

"Wir blicken zurück auf ein verlorenes Jahr für Daimler und seine Aktionäre", sagt Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka. "Drei Gewinnwarnungen zeigen das Ausmaß der Krise und die Anfälligkeit des Geschäftsmodells. In den guten Jahren wurde falsch investiert." Er spricht von "Aufräumarbeiten der Ära Zetsche", die jetzt nötig seien. Hierfür spreche er dem jetzigen Management "einen hohen Vertrauensvorschuss" aus. Dies sei ihm zwar "nicht leichtgefallen", weil Källenius als ehemaliger Vorstand für Forschung und Entwicklung für die "derzeitige miserable Lage mit verantwortlich" sei. Aber immerhin zeige das neue Management "mehr Realitätsbezug".

Speich will also den Vorstand entlasten und "nur" dem Aufsichtsrat die Entlastung verwehren. Grund: Die Aufseher hätten die Strategie des alten Vorstands "zu lange mitgetragen und nicht die nötigen Konsequenzen gezogen". Dass Ex-Vorstandschef Zetsche 2021 nach zweijähriger Abkühlphase wie geplant neuer Aufsichtsratschef wird, lehnt Speich ab: Zetsche sei ungeeignet, weil die vielen offenen Rechtsverfahren "für ihn ohne Interessenkonflikt nicht zu lösen" seien. Zudem komme Zetsche "aus der Verbrennerwelt" und stehe "für einen viel zu späten Wandel hin zum Elektrozeitalter." Speich: "Die gute alte Zeit ist vorbei und wird auch nicht wiederkommen, dem kann sich der Aufsichtsrat auch nicht entziehen."

Auto-Analyst Frank Schwope von der Nord LB ist gleicher Meinung: "Es wäre schon sehr wichtig, dass nächstes Jahr frischer Wind in den Aufsichtsrat kommt." Daimlers Rückstand zum US-amerikanischen Elektroauto-Hersteller Tesla habe sich zuletzt eher vergrößert als verkleinert, sagt Schwope: "Während Tesla seine Produktion massiv hochfährt und in zwei Jahren die Millionen-Schwelle knacken wird, ist es immer noch fraglich, wann Daimler nennenswerte Stückzahlen erreichen wird." Der Konzern hat eine große Elektro-Offensive angekündigt, kommt dabei aber nur im Schneckentempo vom Fleck: Zuletzt musste er vorübergehend den Verkauf der E-Modelle Smart und A-Klasse stoppen, weil die Produktion der Nachfrage nicht nachkam. Parallel kämpft Källenius gegen die Folgen der Corona-Krise. Kaum Absatz, kaum Produktion, kaum Gewinne.

"Der Vorstand will an die Strukturen ran."

Angesichts dieser Verschärfung der ohnehin schon angespannten Lage schlug der Daimler-Betriebsrat in einem Rundschreiben an die Beschäftigten Alarm. "Selbst wenn die Kurzarbeit wieder rückläufig sein wird, beabsichtigt der Vorstand die Fixkosten zu reduzieren und Abläufe zu ändern", schreibt Betriebsrats-Chef Michael Brecht, "deshalb will der Vorstand auch an die Strukturen ran." Schon vor Corona hatte Källenius der molligen Verwaltung ein massives Sparprogramm verordnet. Dieses könnte nun auch auf die Werke erweitert werden, befürchtet Brecht - nicht zuletzt, weil sich die Menschen auch nach Corona mit Autokäufen wohl zurückhalten werden. Je nach Entwicklung der Nachfrage sei "nicht auszuschließen", schreibt Brecht, dass sich die Personalmaßnahmen "auch auf die Produktionsbereiche ausweiten können".

Dazu passt, dass Källenius in dieser Woche auf einer Online-Veranstaltung der IG Metall generell "drastische" Lohnkürzungen in der Autoindustrie angekündigt hat: "Die Nachwirkung von Covid wird zu schmerzhaften Anpassungen führen", sagte er. Die Pandemie werde alle Hersteller zu massiven Restrukturierungen zwingen. Ein Gehaltsverzicht sei nötig, um die Finanzsituation der Konzerne zu schützen und die Investitionen in Zukunftstechnologien zu sichern. Das klingt so, als würde er zusätzliche Einschnitte bei den 300 000 Mitarbeitern planen und diese vorbereiten. Das Sparprogramm "Move" sah bisher vor, dass bis 2022 "mindestens 10 000" Mitarbeiter gehen und 1,4 Milliarden Euro Personalkosten eingespart werden.

14 Monate nach seinem Amtsantritt ist Källenius unermüdlich dabei, den Konzern umzubauen. Die vergangenen zwei Wochen machten das deutlich: Da legte er die Zusammenarbeit mit BMW am Autonomen Fahren auf Eis und verkündete bald darauf den neuen Partner Nvidia. Dann meldete er den Einstieg beim Batteriezellen-Hersteller Farasis. Und noch am selben Tag setzte er die Verkaufspläne für das Werk im französischen Hambach drauf. So zeigt er den Aktionären immerhin, dass er vieles tut, um das lahmende Dickschiff Daimler wieder auf Kurs Richtung Zukunft zu bringen.

Aber trotz aller Manöver bewegte sich der Aktienkurs seit Källenius' Amtsübernahme nach unten - zusätzlich angetrieben von Corona. Die Dividende wurde gar von 3,25 Euro auf 90 Cent zusammengestrichen. Wer meint, dass dies die Aktionäre verärgert, täuscht sich allerdings. Wenn es nach Janne Werning von Union Investment ginge, sollte der Konzern sogar komplett auf eine Ausschüttung verzichten: "Das Geld sollte Daimler lieber in umweltfreundliche Antriebe investieren."

© SZ vom 08.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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