Daimler-Chef Zetsche:"Wir erwarten die Zukunft nicht in Dunkelgrau"

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Daimler-Chef Zetsche über das Leid seiner Branche, lange Lieferzeiten trotz Kurzarbeit - und warum die Autozukunft nicht düster ausfällt.

D. Deckstein u. M. Kuntz

Dieter Zetsche, 56, ist seit vier Jahren Chef von Mercedes-Benz und seit mehr als dreieinhalb Jahren Vorstandsvorsitzender der Daimler AG. Er befreite den deutschen Traditionskonzern vom amerikanischen Verlustbringer Chrysler. Die Absatzkrise trifft Daimler besonders hart. Große Autos, auch die von Mercedes, sind derzeit wenig gefragt. Noch hilft Kurzarbeit.

Daimler-Chef Dieter Zetsche: "Auch wir müssen Beschäftigung und Nachfrage in Balance halten." (Foto: Foto: ddp)

SZ: Die Automobilindustrie wird weltweit immer weniger von ihren Managern beherrscht, sondern zunehmend von Regierungen. Ist das ein Problem?

Dieter Zetsche: In der Finanzwirtschaft musste der Staat eingreifen, um den drohenden Kollaps zu verhindern. Diese Notwendigkeit hat bei der Automobilindustrie nicht bestanden. Denn die ist nicht systemisch relevant. Sie gibt aber vielen Menschen Arbeit, ist daher auch emotional besetzt und steht stark im nationalen Bewusstsein vieler Volkswirtschaften. Das bringt Regierungen dazu, sich hier zu engagieren - was dann sinnvoll ist, wenn es zur temporären Unterstützung von Unternehmen ist, die in der Substanz gesund sind und eine Perspektive haben. Manchmal tun sie es aber auch jenseits jeder wirtschaftlichen Logik. Wenn dadurch die strukturelle Weiterentwicklung der Industrie verhindert wird, dann ist das weder für die Unternehmen noch für die Volkswirtschaft gut.

SZ: ... und dann gibt es keinen Wettbewerb mehr?

Zetsche: Ja, so ist es. Für die Automobilindustrie sind weltweit 90 Milliarden Euro bereitgestellt worden - und das natürlich in keiner Weise gleich verteilt.

SZ: Nach Auslaufen der Abwrackprämie, so fürchten viele, fällt die Branche in ein noch tieferes Loch. Wie viele Arbeitsplätze wird das Mercedes kosten?

Zetsche: Sicher ist für eine Reihe Hersteller durch die Prämie künstlich und vorübergehend Entlastung geschaffen worden. Die Kehrseite wird sich sicher noch zeigen. Wir bei Mercedes haben wenig davon profitiert und sind deshalb auch vom Auslaufen kaum betroffen. Was die Personalsituation angeht, so haben wir uns bisher mit der Kurzarbeit sehr gut an die Lage angepasst, aber eine Lösung für zehn Jahre ist das auch nicht. Natürlich müssen auch wir unsere Produktivität weiter steigern, auch wir werden die Absatzzahlen von 2007 nicht schon nächstes Jahr wieder erreichen. Auch wir müssen Beschäftigung und Nachfrage in Balance halten.

SZ: Heißt das, dass Sie angesichts der Autokrise demnächst massiv Personal abbauen müssen? Angeblich soll es um 20.000 oder gar 25.000 Stellen gehen, die Daimler zu viel hat.

Zetsche: Wir sind wie gesagt mit den bisherigen Maßnahmen gut zurechtgekommen und planen derzeit kein Personalabbauprogramm.

SZ: Sie selbst sprechen vom Darwin-Jahr der Automobilindustrie. Wer überlebt?

Zetsche: Um sich als Autohersteller zu behaupten, muss man kein weltweit tätiger Vollsortimenter sein. Größe garantiert noch keine großen Gewinne. Entscheidend ist die optimale Umsetzung des jeweiligen Geschäftsmodells. Man muss hochattraktive Fahrzeuge, die in die Umwelt und in die Gesellschaft passen, zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten können.

SZ: Gerät die bevorstehende Messe IAA zur Trauerfeier einer Industrie, die zu viele, zu große und zu teure Autos herstellt - die auch noch zu viel vom knappen Erdöl verbrauchen?

Zetsche: Wir gehen durch eine schwierige Phase, es gibt Überkapazitäten. Und ja, die Industrie muss sich noch mehr anstrengen, die Emissionen massiv zu verringern. Richtig ist aber auch, dass individuelle Mobilität eine der wertvollsten Errungenschaften für die Menschen darstellt. Transport ist Voraussetzung für jedes Wirtschaften. Allein wegen der starken Dynamik in den Bric-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China haben wir Autohersteller weltweit erhebliche Wachstumspotentiale. Deshalb erwarten wir die Zukunft nicht in Dunkelgrau.

SZ: Wie kann es angesichts der Krise eigentlich sein, dass ein Kunde, der gerade eine A-Klasse bestellt hat, darauf ein halbes Jahr warten muss?

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Zetsche: Das scheint auf den ersten Blick absurd und kommt auch nur bei wenigen Modellen vor. Aber: Alle Hersteller hatten das Problem, dass sie wegen der abrupt gefallenen Nachfrage auf einer Überproduktion von Autos sitzenblieben. Das heißt, sie müssen die Produktion erst einmal herunterfahren - und zwar noch unter die Nachfrage, um ausreichend Bestände an den Kunden zu bekommen. Wer ein spezielles Modell bestellt hat, muss dann unter Umständen länger darauf warten.

SZ: Sie haben angekündigt, Daimler wolle das Auto neu erfinden. Wie weit sind Sie damit?

Zetsche: Wir kommen mit riesigen Schritten voran. Auf der IAA stellen wir eine S-Klasse mit Plug-in-Hybrid vor, die kann man an der Steckdose aufladen. Damit zeigen wir eine komplett ausgestattete S-Klasse, deren Motor 380 PS leistet und nur 3,2 Liter verbraucht. Auch ich als Techniker hätte das noch vor nicht allzu langer Zeit ins Reich der Fabeln verwiesen.

SZ: Wann kann man so ein Auto kaufen?

Zetsche: Wenn die neue S-Klasse kommt, also in etwa vier bis fünf Jahren.

SZ: Das ist ein herkömmliches Auto. Welche Mobilitätskonzepte braucht die Welt morgen?

Zetsche: Es gibt nicht eine Lösung für alle und alles. In Ballungsgebieten werden andere Fahrzeuge gebraucht als für die Überwindung von größeren Distanzen. Es wird noch lange keine flächendeckende Infrastruktur geben für Elektroautos und Wasserstofffahrzeuge. Deshalb wird es ein Nebeneinander von konventionellen Antrieben und einer zunehmenden Elektrifizierung geben. Die reicht von der Start-Stopp-Automatik über den Hybrid bis hin zum reinen Elektrofahrzeug mit Batterie oder Wasserstoffspeicher. Dieses Elektrofahrzeug wird dann zusätzlich einen Verbrennungsmotor für lange Strecken haben.

SZ: Die Menschen wollen und können aber nicht fünf verschiedene Autos für fünf verschiedene Zwecke kaufen.

Zetsche: Das müssen sie auch nicht. Dafür arbeiten wir an neuen Mobilitätskonzepten. Unser Pilotprojekt Car2go in Ulm zum Beispiel hat alle unsere Erwartungen übertroffen. 200 Smarts fahren bereits durch die Stadt, stehen an den unterschiedlichsten Stellen zur Verfügung und können für 19 Cent pro Minute beliebig lange genutzt werden. Viele Metropolen interessieren sich für dieses Projekt, und das nächste große Pilotprojekt wird im Oktober in Austin/Texas gestartet. Da zeichnet sich ein Riesenmarkt ab für Kombinationen zwischen Autobesitz und -nutzung.

SZ: Sie wollen schon seit geraumer Zeit mit BMW enger kooperieren, aber da geht nichts voran. Warum nicht?

Zetsche: Wir haben ganz praktisch schon vieles miteinander aufgesetzt, das beiden Herstellern Nutzen bringt. Dabei geht es vor allem um den gemeinsamen Einkauf von Teilen und Komponenten. In unseren Gesprächen kommen wir gut voran, auch wenn es nicht gerade schlagzeilenträchtig ist. Je mehr wir gemeinsam tun und je weniger darüber gesprochen wird, umso besser. Das ist eigentlich der ideale Zustand.

SZ: Es heißt, Sie wollen zusammen mit BMW ein Teilewerk in den USA bauen. Wann wird das stehen?

Zetsche: Wir haben ein gemeinsames Getriebewerk als Möglichkeit auf unserem Themenplan, aber das ist weder entschieden noch gibt es einen Termin für das Projekt.

SZ: Ihnen wird vorgeworfen, nach Ihren dreieinhalb Jahren im Amt herrsche inzwischen ein Vakuum, keiner wisse so recht, wofür Daimler steht. Wofür steht Daimler denn?

Zetsche: Daimler steht mehr denn je für die besten Lösungen im Automobilbau, für die attraktivsten Fahrzeuge, und zunehmend für Fahrzeuge, die besonders umweltverträglich sind. Dass in einer Krise wie dieser grundsätzliche Fragen gestellt werden wie die, ob künftig überhaupt noch jemand Luxusautos kaufen will, ist verständlich und akzeptabel. Solche Fragen darf man auch nicht vom Tisch wischen. Aber, wie ich schon sagte, es gibt nach wie vor nicht das eine, alleinseligmachende Autokonzept für alle - und wir erwarten eher noch ein breiteres Spektrum bei den Kunden von Premiumfahrzeugen.

SZ: Es hat sich aber der Eindruck verfestigt, dass Audi beim Markenimage und BMW in Sachen Umweltfreundlichkeit Daimler davongefahren sind.

Zetsche: Wir haben nach wie vor die stärkste Marke in der Automobilindustrie. Zudem liegen wir, was Energiesparen angeht, derzeit an der Spitze. Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, dass andere uns voraus waren, gehört das sicher der Vergangenheit an.

SZ: Sind Sie traurig, dass Sie Porsche nicht bekommen haben?

Zetsche: Nein und die Frage stellte sich auch gar nicht.

SZ: Hätten Sie eine Verwendung für Wendelin Wiedeking?

Zetsche: Ich glaube, dass sein Interesse an einer Teilaufgabe im Konzern nicht besonders ausgeprägt wäre. Aber das ist rein spekulativ, es gibt keinerlei Erwägungen in dieser Hinsicht.

SZ: Wie hat denn auf Sie als Porsche-Nachbar die erbitterte Übernahmeschlacht gewirkt?

Zetsche: Einerseits war sie sicherlich ein Segen für die gesamte Medienbranche. Andererseits war sie weniger segensreich für die Autoindustrie.

© SZ vom 09.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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