Süddeutsche Zeitung

Dachausbau:Für ein Cabriolet-Gefühl

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Wenn Wohnhäuser aufgestockt werden, sind Fenster und Schiebetüren besonders wichtige Elemente. Diese lassen sich vertikal oder horizontal öffnen. Worauf es beim Aus- und Umbau von Dachwohnungen ankommt.

Von Ingrid Weidner

Eine Wohnung mit Terrasse hoch über den Dächern einer Großstadt bleibt für viele ein unerfüllter Traum, denn Dachwohnungen mit ungewohnten Ausblicken, beeindruckenden Lichtverhältnissen und Privatheit im Stadtzentrum sind begehrt. "Viele Käufer in München suchen gerade diese besondere Wohnsituation als Alternative zum Eigenheim am Stadtrand", sagt Markus Wassmer von 4Architekten aus München.

Ein leerer Speicher sei ideal, um eigene Ideen umzusetzen, meint der Architekt. Doch solche Objekte sind in Großstädten rar. Deshalb interessieren sich Bauherren auch für Immobilien mit bereits ausgebauten, aber in die Jahre gekommenen Mansarden, selbst wenn diese aufwendig rück- und umgebaut werden müssen. Auch in Wohnanlagen der Nachkriegszeit werden Interessenten oft fündig.

Manchmal erlaubt es das Baurecht, Objekte aufstocken. "Gerade in München wurden nach den Zerstörungen des Krieges viele Dächer einfacher rekonstruiert", sagt Wassmer. Wer im Bauarchiv recherchiert, findet in alten Plänen manchmal Argumente, das Baurecht auszuschöpfen und das Dach großzügiger auszubauen. Auch den Denkmalschutz sollten Bauherren im Blick haben, da auch Dachlandschaften, Ensembles oder Häuser neben einem Baudenkmal besondere Auflagen beachten müssen.

"Ein Dachausbau ist wie eine Operation am offenen Herzen."

Knifflig kann die Logistik der Baustelle werden. "Ein Dachausbau ist wie eine Operation am offenen Herzen", sagt Wassmer, da müsse alles Hand in Hand gehen, um ideale Witterungsverhältnisse abzupassen und die Geduld der Nachbarn nicht über Gebühr zu strapazieren.

Begehrt an Dachwohnungen sind private Außenräume. Wassmer empfiehlt für Dacheinschnitte oder Dachterrassen großflächige Schiebetüren, die moderne Raumbeziehungen zwischen innen und außen schaffen. Auch für Dachflächen gibt es Schiebefenster, die sich vertikal oder horizontal öffnen lassen. "Damit entsteht ein Cabriolet-Feeling unterm Dach", sagt Wassmer. Viele der speziellen Fenstersysteme für den Dachausbau sind aus Aluminium und Holz gefertigt. Eine Dreifach-Verglasung ist sinnvoll, um extremen Witterungsverhältnissen zu trotzen.

Denn auch das ist besonders an einer Dachwohnung - wechselnde Wetterlagen machen sich unmittelbar bemerkbar. Knifflig für Architekten und Bauherren ist der Hitzeschutz, denn das sei das größere Problem, meint Markus Wassmer. "Wenn das Dach nicht gut gegen Kälte gedämmt ist, merken sie das nur an ihrer Heizkostenabrechnung." Fehle aber ein guter, außen liegender Sonnenschutz und eine hochwertige Dämmung, werde die Dachwohnung im Sommer unbewohnbar.

Viele Schrägen suggerieren zwar Geborgenheit, doch damit sich verwinkelte Räume auch optimal nutzen lassen, braucht es klug geplante Möbel, Stellflächen und Stauräume. Oftmals empfiehlt es sich, maßgeschneiderte Einbauten vom Schreiner anfertigen zu lassen, um die Räume optimal zu nutzen. Hier lohnt es sich, einen Planer auch beim Innenausbau zu Rate zu ziehen, denn wenn eine Küche nicht an die Schrägen angepasst wird, holt sich der Hausherr beim Abspülen schnell eine Beule.

Holz zählt beim Dachausbau zu den beliebten Materialien, denn es trägt große Lasten und lässt sich gut verarbeiten. Oftmals werden Gauben vorproduziert und als Bauelemente direkt verbaut, das spart Zeit und Kosten. Viele Planer nutzen Stahl als statische Unterstützung vom Holzbau. "Ein Dachausbau ist wie ein Maßanzug, die komplexe Geometrie kommt nur dann zur Geltung, wenn es dem Planer gelingt, ein harmonisches, räumliches Ganzes zu schaffen", sagt Wassmer.

Bauherren, die ein Dachgeschoss kaufen und nach ihren Vorstellungen umbauen, müssen nicht unbedingt einen Fahrstuhl installieren, denn oftmals gelte Bestandsschutz. Doch es erleichtert das Leben unterm Dach, besonders wenn die Eigentümer ihr neues Domizil auch im Alter nutzen wollen. Die Auflagen für den Brandschutz sind kompliziert, aber lösbar, wenn etwa der zweite Rettungsweg nicht über eine Gaube möglich ist.

Neuen Wohnraum auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern zu schaffen, beschäftigt Bauherren und Städteplaner in Großstädten und Ballungsräumen. In einer Studie der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts Hannover kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass sich so 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen bauen ließen. Sie fanden heraus, dass es etwa 580 000 geeignete Mehrfamilienhäuser gibt, die zwischen den Jahren 1950 und 1990 gebaut wurden und die in Gegenden mit einem angespannten Wohnungsmarkt stehen. Diese ließen sich der Studie zufolge um eine oder zwei Etagen aufstocken, und es entstünden 1,12 Millionen neue Wohnungen mit einer Wohnfläche von rund 85 Quadratmetern. Rechnet man noch die geeigneten, vor 1950 errichteten Wohngebäude dazu, könnten weitere 420 000 Wohnungen entstehen, so die Hochrechnungen.

Die Argumente für eine Aufstockung liegen auf der Hand: Die Suche nach neuen Grundstücken entfällt, es werden weniger Flächen versiegelt. Außerdem existieren in den Gebäuden bereits Infrastrukturleitungen für Wasser, Strom und Heizung. Anders als bei einem Neubaugebiet entfallen die Erschließungskosten für Straßen und Nahversorgung. Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln fordert, gesetzliche Vorgaben wie die Zahl an Stellplätzen und den Bau von Aufzügen zu lockern, um es Bauherren zu erleichtern, ungenutzte Dächer auszubauen. Staatliche Hilfen für diese Baumaßnahmen sind seiner Meinung nach nicht nötig, denn gerade in attraktiven Lagen ließen sich die Kosten über die späteren Mieteinnahmen finanzieren.

Alle Bedenken und Zweifel macht die besondere Lage und die ungewohnte Aussicht später wett. Auch wenn die Planungen etwas komplizierter und die Baukosten nicht unerheblich sind, wissen die Bauherren spätestens bei der Einweihungsfeier, dass sich der Aufwand gelohnt hat.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2017
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