Kommentar:Die Schere geht auseinander

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Helmut Martin-Jung (Foto: Bernd Schifferdecker)

Bei der Digitalkompetenz der Deutschen wird die Kluft zwischen Alten und Jungen, zwischen niedrig und höher Gebildeten größer. Das muss sich ändern.

Von Helmut Martin-Jung

Eine Datei, die ist doch gelöscht, wenn ich sie auch aus dem Papierkorb entfernt habe? Es sind solche Fragen, die den Unterschied machen. Zwischen Menschen, die Computer, Smartphones zwar nutzen, aber nicht verstehen, was dahintersteckt. Und jenen, die über dieses Wissen verfügen und damit in der heutigen Welt deutlich bessere Voraussetzungen haben. Oder, wie es der Brandenburger Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger ausdrückt: Medienkompetenz versus Wischkompetenz.

Rüdiger kommt zu Wort in der Studie der Initiative D21, die sich dem "Digital Skills Gap" widmet, der Lücke also zwischen IT-Verstehern und Menschen, die sich dabei schwertun. Wäre es nicht so traurig, könnte man das Ergebnis leicht als ziemlich erwartbar abtun: Ältere und Menschen mit niedrigem Bildungsniveau hängen digital hinterher, ja geraten in Gefahr, abgehängt zu werden.

An der Wischkompetenz fehlt es dabei nicht: Sogar vier von fünf Menschen über 70 sagen, sie könnten Fotos oder Texte von ihrem Smartphone aus an andere versenden. Auch im Netz nach einem Thema zu suchen, ist für die meisten mittlerweile eine Selbstverständlichkeit geworden. Bei den Jüngeren ist das ohnehin kaum noch eine Frage.

Woran es fehlt, sind Fähigkeiten, die etwas tiefer reichen. Etwa die Frage nach Quellen für eine Information. Immer, wenn es über das bloße Benutzen von Apps und Co. hinausgeht, treten die Unterschiede zutage. Das Geschlecht spielt dabei wenig überraschend eine geringe Rolle, auf die Bildung kommt es an und wo man arbeitet. Büroangestellte kennen sich mit Office-Programmen natürlich besser aus als etwa Bauarbeiter. Und sie schauen auch eher gezielt nach mehreren Quellen, um nicht auf einseitige Informationen hereinzufallen.

Die Studie, die vom Wirtschafts- und vom Familienministerium gefördert wurde, bringt all das ans Licht. Sie ist allerdings äußerst sparsam bei Vorschlägen, wie dem denn nun zu begegnen sei. Eigentlich, und das ist das Traurige, legt sie nur die Versäumnisse der vergangenen Jahre und Jahrzehnte bloß. Genauso wie es nicht gelungen ist, Deutschland fit zu machen für die Digitalisierung, ist es eben auch versäumt worden, die digitale Spaltung wirksam zu bekämpfen.

Dass Ältere sich schwerer tun, sich in der Welt der Computer und Smartphones zurechtzufinden, ist seit vielen Jahren bekannt. Und auch dass es nicht reicht, wenn man bloß Oberflächen bedienen kann, aber nicht einen blassen Schimmer davon hat, was sich darunter abspielt, ist keine neue Erkenntnis. Über die Digitalisierung wird neuerdings zwar mehr geredet als früher, aber wirklich passiert ist viel zu wenig. Was etwa die öffentliche Verwaltung abliefert, ist eines modernen Industrielandes wie Deutschland einfach unwürdig.

Ein Sammlung von Versäumnissen

Mag sein, dass die Volksvertreter da eben genauso träge waren wie viele Bürger, die gerne am Bewährten festhalten. Aber wenn, wie der Branchenverband Bitkom erfragt hat, nur neun Prozent von Gründern technischer Start-ups finden, Digital-Staatsministerin Dorothee Bär tue am meisten für sie, sollte das dem Regierungspersonal doch zu denken geben. Oder eben die D21-Studie, die eine Sammlung von Versäumnissen ist.

Die nächste Regierung muss hier deutlich besser werden, die Ausrede von Neuland gilt nicht mehr. Digitalkompetenz muss in die Lehrpläne schon in der Grundschule. Für Ältere und gering Gebildete müssen niedrigschwellige Angebote geschaffen werden, um ihre Digitalkompetenz zu erhöhen. Was Hänschen nicht gelernt hat, kann Hans immer noch lernen. Und Gretel auch. Auch die Unternehmen sollten ihren ohnehin vorhandenen Auftrag zur Weiterbildung der Mitarbeiter ernst nehmen - es ist auch zu ihrem eigenen Vorteil. Es fehlen ja jetzt schon die Fachkräfte.

Wenn mehr Verständnis für Zusammenhänge in die Breite dringt, dann sind auch solchen Frage wie die vom Anfang kein unlösbares Rätsel mehr. Die Antwort lautet: Nein, Daten sind nicht gelöscht, wenn sie aus dem Papierkorb geworfen wurden. Sie sind bloß zum Löschen markiert, können aber mit speziellen Programmen wiederhergestellt werden.

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