Cyberangriffe:Unheimlicher Pakt auf See

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Piraten und Hacker machen Versicherern das Leben schwer.

(Foto: Mohamed Dahir/AFP)

Cyberkriminelle attackieren neuerdings neben Reedereien auch Häfen. Das wird für die Versicherer zum Problem.

Von Patrick Hagen, Köln

Die Piraten im Golf von Aden vor Somalia und vor der Westküste Afrikas sind für Reedereien ein lästiges Übel. Sie entführen Schiffe, stehlen die Ladung und nehmen Besatzungen als Geisel. Jetzt haben die somalischen Piraten einen neuen Weg gefunden, um die Ziele für Ihre Überfälle auszuwählen. Sie beauftragen Hacker, die in die IT-Systeme von Schifffahrtsunternehmen einbrechen. Dort sollen sie Schiffe finden, die wertvolle Ladung an Bord haben und nur minimale Sicherheitsvorkehrungen treffen - also keine Wachleute an Bord haben. Mindestens ein Schiff soll bereits über diesen Weg ausgewählt und von Piraten entführt worden sein, berichtet die kanadische Regierung an die Weltschifffahrtsorganisation IMO.

Hackerangriffe auf Schiffe oder Häfen machen auch den Versicherern große Sorgen. Der weltweit größte Schiffsversicherer Allianz Global Corporate & Specialty, ein Teil der Allianz-Gruppe, sieht darin ein großes Risiko. Sven Gerhard, Experte für Schiffsversicherungen bei dem Münchner Versicherer glaubt, dass Hacker in der Branche in Zukunft gewaltige Schäden verursachen könnten. Ein Grund: Die Mannschaften verlassen sich bei der Steuerung von Schiffen mittlerweile fast nur noch auf elektronische Navigationshilfen. "Ein Cyberangriff auf die Technik an Bord, insbesondere auf die elektronischen Navigationssysteme, könnte zu einem Totalverlust führen oder sogar mehrere Schiffe einer Reederei betreffen", sagt Gerhard.

Auch Markus Wähler vom Rückversicherer Munich Re sieht in der Manipulation der Navigationshilfen eine Gefahr. Der ehemalige Kapitän arbeitet für die Gesellschaft als Schifffahrtsexperte. So könnten Hacker Kollisionen verursachen oder dafür sorgen, dass ein Frachter auf Grund läuft. Die Folge wären hohe Schäden für Schiff, Ladung und Bergung - für die Versicherer aufkommen müssen. "Vor allem in viel befahrenen Seegebieten wie in Südostasien ist das ein Risiko", sagt Wähler. Wie leicht es möglich ist, mit gefälschten GPS-Signalen die Richtung eines Schiffes zu ändern, haben Forscher der Universität Texas bereits im Juli 2013 im Test mit einer Großyacht gezeigt. Bislang steht diese Gefahr bei den Reedern aber noch nicht allzu weit oben auf der Agenda. "Ich habe das Gefühl, dass das Thema noch stiefmütterlich behandelt wird", sagt Wähler von der Munich Re. Niemand weiß genau, wie viele Cyber-Angriffe es schon gab. Betroffene Unternehmen scheuen sich, darüber zu berichten.

Auch Häfen gehören zu den Zielen von Hackern. Vor zwei Jahren wurde bekannt, dass ein Ring von Drogenschmugglern mit Hilfe von Computerhackern Kokain und Heroin nach Europa geschleust hat. Dafür infizierten sie die IT von Logistikfirmen, die auf dem Antwerpener Hafen angesiedelt sind und konnten so Informationen über den Standort von bestimmten Containern mit Schmuggelware abgreifen. Komplizen transportierten sie dann ab.

Solche Fälle könnten in Zukunft häufiger werden. "Cyberrisiken mögen in dieser Branche noch ganz am Anfang stehen, künftig könnten Schiffe und Häfen jedoch zu verlockenden Zielen für Hacker werden", sagt der Allianz-Risikoexperte Rahul Khanna. Ein großes Risiko besteht auch für die Energiebranche. Hacker haben bereits eine Ölbohrplattform lahm gelegt. Sie brachten diese durch einen externen Eingriff in die Steuerung so stark in Schräglage, dass sie zeitweise außer Betrieb war, berichtete die kanadische Regierung. Kanada sieht in diesen Vorfällen eine ernste Bedrohung und setzt sich bei der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) dafür ein, Cybersicherheits-Richtlinien für die Schifffahrt zu entwickeln.

Sorgen bereiten den Versicherern neben den Cyber-Risiken auch die neuen Mega-Schiffe, die Reedereien zurzeit in Dienst stellen und die höhere potenzielle Schäden bedeuten. "Die Branche sollte sich für die Zukunft auf Großschäden von über einer Milliarde Dollar einstellen, insbesondere wenn große Containerschiffe oder schwimmende Offshore-Anlagen betroffen sind", sagt Allianz-Schifffahrtsexperte Gerhard.

Neue Containerschiffe sind in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Der neue Rekordhalter, die MSC Oscar der schweizerisch-italienischen Reederei MSC, kann mehr als 19 000 Standardcontainer transportieren. Sie ist rund 400 Meter lang und 58 Meter breit. Die Zahl der Container, die solche Schiffe transportieren können, hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent erhöht. Branchenexperten rechnen damit, dass die Schiffe in Zukunft noch größer werden.

Läuft ein solcher Koloss auf Grund und muss geborgen werden, stellen sich ganz neue Probleme. "Es gibt noch keine Bergungskräne, die groß genug dafür sind", sagt Munich Re-Experte Wähler. "Um die Ladung von Bord zu bringen, müsste man vermutlich Helikopter einsetzen." Das wäre um ein Vielfaches teurer, als die Container mit einem Kran von Bord zu heben.

Grundsätzlich wird die Schifffahrt aber immer sicherer. "Die Zahl der Totalverluste sinkt trotz einiger Ausreißer seit Jahren", sagt Wähler. Das zeigen auch Zahlen der Allianz. Gab es im Jahr 2005 noch 149 Totalschäden bei Schiffen, waren es im vergangenen Jahr nur 75. Das Risiko für Großschäden steigt aber.

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