Showrooms:Wie all die Autos in die Fußgängerzone kommen

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Der Autohersteller Cupra am Münchner Odeonsplatz: Früher gab es hier Nymphenburger Porzellan, heute spanische Autos. (Foto: Stephan Rumpf)

Mitten in Innenstädten haben Automarken wie Cupra, Genesis, Lucid oder Polestar Filialen eröffnet und verändern das Bild der Einkaufsstraßen. Die Pandemie beschleunigt diesen Trend noch.

Von Michael Kläsgen

Der Mann mit dem grauen Haar und dem grauen Vollbart wirkt ganz jung und spritzig, weiß aber in diesem Moment noch nicht, dass ihn gleich eine kleine persönliche Schlappe erwartet. Worüber er aber natürlich lässig hinweggehen wird. Er verlässt gerade den Cupra-Showroom am Münchner Odeonsplatz und steuert den Programmatic Brand Experience Space von Mercedes gegenüber auf der anderen Straßenseite an.

So ist es leider, diese Begriffe, Showroom und Brand Experience Space oder einfach: Studio, sind nicht die einzigen Wortungetüme angelsächsischer Provenienz, die einem begegnen, wenn man verstehen will, was da gerade in vielen deutschen Innenstädten los ist. Es gibt da auch noch Pop-up-Stores oder sogar Flagshipstores, und ja, auch Destinations breiten sich etwas außerhalb der Zentren aus. Sie alle buhlen um Kunden und Käufer.

Jedes Format hat seine ganz spezifischen Merkmale, steht an unterschiedlichen Orten in der Stadt und bleibt dort für eine unterschiedlich lange Dauer. Deswegen auch die unterschiedlichen Namen. Alle Formate stehen in diesem Fall aber ausschließlich in Verbindung mit Automarken, meist mit jungen, neuen, hippen E-Auto-Marken, deren Aussprache auch noch nicht allen Passanten in den Innenstädten vollends geläufig sein dürften: Lucid, Genesis, Polestar, E.go, Lynk und wer weiß, was noch alles kommt?

"Was ist das denn?", fragt eine Fußgängerin ihren untergehakten Begleiter, den Finger auf den neuen Auto-Laden, Entschuldigung, Showroom, gerichtet. Der Hinguck- und Wow-Effekt ist dem Autohersteller Cupra in dem Fall gelungen. Von der Verödung der Innenstädte ist am Odeonsplatz nicht viel zu sehen.

Bisweilen kann es im Münchner Showroom der Seat-Tochter Cupra ganz schön voll werden. (Foto: Florian Peljak)

Die Sonne scheint, die Menschen flanieren nach dem langen Corona-Winter wieder über den Asphalt, und bisweilen kann es ganz schön voll werden drinnen bei Cupra. Bis zu 650 Besucher spazieren an einem Tag herein, sagt ein Mitarbeiter.

Und nicht nur in München ist das so, die Automobilindustrie zieht in die Citys der größten deutschen Städte. Die Hersteller expandieren in andere europäische Städte und Länder, sind längst in Italien und Spanien, Großbritannien, Skandinavien und anderswo. Stets drängen sie in die Bestlagen, im Fachjargon 1-a-Lagen oder Highstreet genannt, oder ganz dicht in die Nähe davon; das Innendekor ist nur vom Feinsten, und die Schaufenster sind teils groß wie Scheunentore. Wer durchschaut, sieht kein Nymphenburger Porzellan mehr, und auch keine in italienische Designerklamotten gehüllten Schaufensterpuppen, sondern ein Auto, präsentiert wie ein Diamantendiadem hinter Panzerglas im Museum: grell ausgeleuchtet, funkelnd, edel.

"Sind Sie bei Instagram?" "Nein." "Machen Sie Yoga?" "Nein."

Der Graubart stellt sich an der Ampel als Spross einer Großindustriellenfamilie vor, Rüstung, ganz groß im Dritten Reich. Die Offenheit jedenfalls ist sympathisch. Sein Name tut hier nichts zur Sache. Wohl aber die Tatsache, dass er offenkundig ein sehr überzeugter Mercedes-Fahrer ist. Fünf hat er schon gekauft, sagt er, wobei unklar bleibt, ob er meint, vergangenes Jahr oder insgesamt in seinem Leben.

Im Brand Experience Space seiner bevorzugten Automarke tut sich dann aber auch für ihn eine neue Welt auf. Rechts sitzen zwei junge Damen zwischen Grünpflanzen auf sehr weichen Sofas und haben dezidiert nichts mit Autos zu tun. Oh, nein, sie seien hier wegen des Coworking-Spaces, sagt die eine und nippt an der Kaffeetasse. Schon wieder so ein Anglizismus.

Die Organic Garden Eatery im Brand Experience Space von Mercedes in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Graubart hat sich inzwischen vorbeigearbeitet an der Organic Garden Eatery (hier gibt's was zu essen und zu trinken), an den Mischpulten auf silberglänzenden Kacheln und, ja, sogar an einem Auto, dessen Räder auf Inselchen von grünem Gras stehen. Botschaft: Autofahren ist so öko. Jetzt baut er sich vor mutmaßlich Bediensteten auf und bekundet sein Interesse für Autos. Doch damit erntet er nur mitleidiges Augenklimpern. "Sind Sie bei Instagram?" "Nein." "Machen Sie Yoga?" "Nein." Ehe das Gespräch entgleist, finden die Gesprächspartner zum Glück im Foto-Workshop, der hier stattfindet, dann doch einen Anknüpfungspunkt.

Der jung gebliebene ältere Herr versteht jedoch immer noch nicht so recht. Er habe neulich erst ein Cabrio dieser hochgeschätzten Marke gekauft. Und an diesem Standort koste doch der Quadratmeter 20 000 Euro, schätzt er. "Wer bezahlt das dann alles?" Schon in der Frage schwingt die Antwort mit, die er fürchtet und auch erhält: "Das wird mit Ihrem Cabrio-Geld bezahlt."

"Hersteller werden immer mehr zu ihren eigenen Markenbotschaftern."

Mercedes hatte sich hier, sozusagen an der Hauptschlagader des Herzens der BMW-Stadt, schon länger festgesetzt. Aber die Inszenierung als Programmatic Brand Experience Space ist dann doch relativ neu. Überhaupt kam spätestens mit Übersiedlung der IAA von Frankfurt nach München im vergangenen Jahr einiger automobiler Schwung in die Einkaufsstraßen der Bayern-Metropole. Von den vier südkoreanischen und chinesischen Herstellern (Genesis, Aiways, MG Motor und Lynk), die sich hier allein 2021 niederließen, suchten mindestens zwei die exklusive Innenstadtlage: Genesis mit seinem, na klar, Showroom nicht weit von Mercedes an der Theatinerstraße, und Lynk mit einem Pop-up-Store am Viktualienmarkt, wo auch schon Tesla zeitlich befristet aufgepoppt war.

Die Strategie heißt, wenig verwunderlich auf Englisch: Go-to-Market. Rein in den Markt, da wo die potenziellen Autokäufer sind, und dann nichts wie Brand-Building, den Markennamen bekannt machen, die Marke aufbauen, den direkten Kundenkontakt suchen. "Hersteller werden immer mehr zu ihren eigenen Markenbotschaftern", sagt Lars Jähnichen, Geschäftsführer der IPH-Handelsimmobilien-Gruppe. Für die Automarken, egal ob Newcomer oder Etablierte, gelte dann: Lieber "eine Premium-Fläche in A-Lage" anstatt einer Vielzahl dezentraler, kleinerer Flächen, die über das Stadtgebiet verteilt sind.

Mehr als 500 000 Menschen sind laut VDA auf die sogenannten Open Spaces in der Innenstadt geströmt, hier der Stand von Polestar auf dem Königsplatz. (Foto: Florian Peljak)

Alexander Lutz, Deutschland-Chef von Polestar, dem Joint Venture von Volvo und Geely, sagt es so: "Unsere Autos kann man nur online kaufen. Die Spaces in den Innenstädten dienen dazu, die Marke für eine möglichst breite Masse von Menschen erlebbar und erfahrbar zu machen." Bei Polestar sind sie davon überzeugt, dass statt der Technik in Zukunft das Design der Fahrzeuge immer öfter über den Kauf entscheiden wird.

Hinter dieser Aussage steckt ein ziemlicher Umbruch in der Art, wie Autos verkauft werden. Noch in den Siebzigerjahren präsentierten sich viele Automobilhersteller, vertreten durch mittelständische Händler, eher zentrumsnah. Im Münchner Motorama fanden sich verschiedene Marken sogar unter einem Dach. In den Achtziger- und Neunzigerjahren zogen sie, so erzählt es Handelsexperte Joachim Stumpf, an die Ausfallstraßen der Städte und übernahmen viele mittelständische Händler, um direkt zu verkaufen. Anfang der 2000er-Jahre bauten sie dann neue großflächige, teils architektonische Ikonen wie die BMW-Welt in München. In Frankreich bauten die französischen Hersteller in der Zeit Flagshipstores, große, glitzernde Repräsentationstempel auf den Champs-Élysées in Paris.

Drei Trends machen es möglich, oder sollte man sagen: drei Krisen?

Im Zuge der Digitalisierung schrumpfen die Flächen nun wieder. Die Hersteller gehen davon aus, dass die Kunden das erste Mal ins Internet schauen, ehe sie sich näher für ein Auto interessieren. Die Läden in den Innenstädten sind dafür da, dort individuelle Vorlieben der Kunden virtuell am Bildschirm zu konfigurieren und eine bessere Idee von der Marke zu vermitteln. Ob man dort auch direkt ein Fahrzeug kaufen kann, ist von Anbieter zu Anbieter verschieden. Bei Cupra geht das, im Brand Experience Space von Mercedes nicht. Die Stuttgarter haben in München eine der größten Verkaufsstellen überhaupt und ein breites Netz an Vertragshändlern. Die neuen Marken haben diese Altlasten nicht. Cupra, sagt ein Mitarbeiter, will allein in dem Laden am Odeonsplatz 500 Fahrzeuge pro Jahr verkaufen.

An den beiden Filialen von Cupra und Mercedes zeigt sich exemplarisch auch: Der Einzug der Autoindustrie in die Fußgängerzonen markiert das Zusammentreffen dreier Entwicklungen oder auch Krisen: einmal der Trend zu Elektrifizierung, der die Autoindustrie umwälzt. Dann die Abkehr der jüngeren Generation vom Auto als Fortbewegungsmittel, auch aus ökologischen Gründen. Etablierte Hersteller müssen jetzt mit Yoga-Kursen für sich werben. Und schließlich kommen noch Corona und die Verwerfungen hinzu, die die diversen Lockdowns für den Mietmarkt von Handelsimmobilien hatten.

Cupra wäre ohne Corona jedenfalls nicht dort gelandet, wo früher einmal Nymphenburger Porzellan seine Vorzeige-Filiale hatte. Nebenan zieht bald Lucid ein, eine kalifornische Automarke. Noch ein Angebot. Der Graubart könnte aber trotz aller Verlockungen bei seiner alten Liebe Mercedes bleiben. Er hat sich im Experience Brand Space inzwischen in ein intensives Gespräch mit einer jungen Mitarbeiterin vertieft.

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