Cum-Ex-Affäre:Staatsbank nahm den Staat aus

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Symbolischer Abschied von der West-LB: Nicht nur die ehemaligen Mitarbeiter trauern, auch den Steuerzahlern droht ein teures Erbe. (Foto: Alexander Stein/Imago)

Die West-LB gibt es nicht mehr, ihre dunkle Vergangenheit aber ist sehr präsent: Sie soll Hunderte Cum-Ex-Millionen an den Fiskus zurückzahlen.

Von Klaus Ott, Meike Schreiber, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, Frankfurt

Die West-LB war eine Skandalbank, sie stand für Misswirtschaft, Selbstbedienung und politischen Filz im lange Zeit SPD-regierten Nordrhein-Westfalen. Und selbst heute ist die einstige Staatsbank, die nach Verlusten in Milliardenhöhe längst nicht mehr existiert, ein Fall für Staatsanwälte, Steuerfahnder und Kriminalbeamte. Nach Erkenntnissen der Ermittler machte das staatseigene Institut kräftig mit beim wohl größten Steuerdiebstahl in Deutschland: Um gleich 454 Millionen Euro soll die West-LB den Fiskus von 2005 bis 2007 bei Cum-Ex-Geschäften erleichtert haben. Jetzt wollen die Finanzbehörden in Nordrhein-Westfalen ihr Geld zurück. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten Geschäftsbericht der Portigon AG hervor, der Nachfolgerin der Landesbank.

454 Millionen Euro - das ist einer der höchsten bislang bekannten Beträge, den eine einzelne Bank im Zuge dieses Skandals aus der Staatskasse gestohlen haben soll. Behörden in halb Deutschland untersuchen mehr als 400 verdächtige Geschäfte mehrerer Dutzend Banken mit einem Gesamtschaden in Höhe von 5,4 Milliarden Euro. Grob gerechnet soll jeder zwölfte Euro auf die West-LB entfallen.

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Ausgerechnet eine Staatsbank - die West-LB war Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen und der Sparkassen - gehörte offenbar zu den Hauptübeltätern bei den Aktiendeals zulasten der Staatskasse. Erst mit einer für einen Millionenbetrag von einem Insider erworbenen CD mit geheimen Cum-Ex-Daten schaffte es das Land NRW, sein eigenes Geldinstitut zu entlarven. Das geschah unter dem damaligen Finanzminister und heutigen SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Dessen Steuerfahnder entdeckten auf der CD nämlich auch jede Menge Geschäfte der West-LB. Die war für ein paar Tage sogar mal größter Einzelaktionär des damaligen Autokonzerns Daimler-Chrysler, aber offenbar nur deshalb, weil beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende riesige Mengen bewegt werden mussten, um den Fiskus auszunehmen. Banken, Hedgefonds und deren Helfer ließen sich dabei Kapitalertragsteuern erstatten oder anrechnen, die sie nie gezahlt hatten.

Sollte die Portigon den von der West-LB offenbar verursachten Schaden jetzt begleichen müssen, dann ist wohl auch das Land NRW gefordert: Durch die Geschäfte der West-LB ist dem Fiskus ein Loch entstanden, das Portigon nun stopfen soll - und das dadurch entstehende Loch in der Portigon-Bilanz geht womöglich wieder zulasten des Steuerzahlers. Der Schaden an der Staatskasse würde aus der Staatskasse beglichen - ein Irrwitz.

Laut Geschäftsbericht stehen bislang 302,5 Millionen Euro an "Nachzahlungen" aus Cum-Ex-Geschäften der West-LB in den Jahren 2006 und 2007 fest. Hinzu kommen wohl noch 151,5 Millionen Euro für das Jahr 2005. Diese Summe gehe aus einem "vorläufigen Berichtsentwurf" der Finanzverwaltung hervor, schreibt die Portigon. Was noch an möglichen Zinsforderungen hinzukomme, hänge vom weiteren Verlauf des Verfahrens ab, teilte ein Sprecher auf Anfrage von SZ und WDR mit. Das Institut bestreitet die Höhe des Betrags für 2005 und hält diese Forderung für verjährt. Gegen den Rest der Summe hat das Institut nach eigenen Angaben Widerspruch eingelegt. Womöglich steht also ein Rechtsstreit am Finanzgericht darüber bevor.

Der Landesbankensektor hat insgesamt Schlimmes hinterlassen

Die Portigon ist als Rechtsnachfolgerin der West-LB Staatseigentum und hat nach eigener Darstellung die Aufgabe, "weiteren Rückbau der ehemaligen West-LB gemäß den Vorgaben der EU-Kommission sicherzustellen". Sprich, die Hinterlassenschaften der früheren Landesbank gewissermaßen abzuwickeln. Nun hat der Landesbankensektor insgesamt Schlimmes hinterlassen: Die Bayern-LB, die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die einstige Sachsen-LB und die HSH Nordbank glaubten einst, international expandieren und spekulieren zu müssen und haben Milliardenbeträge verzockt, zum Schaden der Steuerzahler und unter Aufsicht ihrer Eigentümer. Mehrere Landesbanken halfen zudem bei der Steuerhinterziehung auf Schwarzgeldkonten im Ausland. Und dann auch noch Cum-Ex. In diesen Steuerdiebstahl sollen auch die LBBW und die HSH Nordbank verwickelt sein. Sie haben schon vor Jahren jeweils mehr als 100 Millionen Euro vorläufig zurückgezahlt. Doch das größte Skandalinstitut war, einmal mehr, vermutlich die West-LB.

Neben den Steuerrückforderungen gibt es ein strafrechtliches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Köln hat das Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen ehemalige West-LB-Mitarbeiter im Mai 2020 von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf übernommen; auch das ist Thema im Geschäftsbericht. Portigon kooperiere bei der Sachverhaltsaufklärung, heißt es da. Ein Sprecher der Kölner Behörde teilte mit, man ermittle im Zusammenhang mit einer "in Düsseldorf ansässig gewesenen Bank" gegen eine Zahl von Beschuldigten "im mittleren zweistelligen Bereich", nannte aber keine Namen von Personen oder Firmen. Ein Verfahrensabschluss sei "mit Blick auf den beachtlichen Umfang und die Komplexität der Ermittlungen noch nicht absehbar". Es dauert also alles. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass noch so mancher frühere Staatsbanker auf der Anklagebank landet.

© SZ vom 25.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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