Cum-Ex-Geschäfte:Warburg-Manager legt Teilgeständnis ab

Cum-Ex-Geschäfte: Schauplatz des dritten von noch vielen weiteren Prozessen um Cum-Ex-Aktiengeschäfte: das Landgericht Bonn.

Schauplatz des dritten von noch vielen weiteren Prozessen um Cum-Ex-Aktiengeschäfte: das Landgericht Bonn.

(Foto: Oliver Berg/picture alliance/dpa)

Große Überraschung im dritten Bonner Cum-Ex-Prozess: Der Angeklagte gibt Fehler zu und sieht eine Mitschuld bei sich. Damit bröckelt erstmalig die Verteidigungslinie der Warburg-Eigner.

Von Jan Diesteldorf und Nils Wischmeyer, Bonn

Der Angeklagte M. ist an diesem Tag wie ausgewechselt. Am vergangenen Montag hatte er noch versucht, sich im Kreuzverhör zu verteidigen. Doch diesen Mittwoch knickt der frühere Warburg-Manager überraschend ein und gesteht die Tatvorwürfe teilweise. Jahrelang habe er sich die Ereignisse "schöngeredet", um sein Handeln vor sich selbst, "vor anderen und auch der Justiz gegenüber zu rechtfertigen. Das war falsch", sagt der Mann mit Halbglatze und Hornbrille vor dem Landgericht Bonn.

Er habe die "Augen geschlossen" und aus "Sorge um meine Karriere" seine Bedenken zu den Deals zurückgestellt, wegen derer er heute angeklagt ist. Dann sagt er noch: "Ich bedauere zutiefst, dadurch eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung der hier behandelten Transaktionen und den dadurch verursachten immensen Steuerschaden geschaffen zu haben."

Diese Worte markieren eine spektakuläre Kehrtwende im aktuellen Cum-Ex-Prozess am Landgericht Bonn - und könnten weitreichende Folgen haben. Denn mit dieser Aussage schert erstmals ein ehemaliger oder aktueller Warburg-Mitarbeiter aus der bisher eisernen Linie der Warburg-Eigner rund um Christian Olearius und Max Warburg aus. Sie beide und die Bank bestreiten, jemals rechtswidrig gehandelt zu haben. Bislang standen alle im Fall Warburg Beschuldigten noch loyal zusammen; im ersten Prozess gegen einen früheren Warburg-Banker war die Verteidigung noch vollständig auf Konfrontation gepolt. Die Aussagen des Angeklagten Ex-Managers M. lassen die Verteidigungslinie nun erstmals bröckeln.

Mehr als 100 Millionen Euro mutmaßlicher Steuerschaden

Es ist der dritte Cum-Ex-Strafprozess am Landgericht Bonn, und zum dritten Mal steht die Hamburger Privatbank M. M. Warburg dabei im Fokus. Angeklagt ist M., der ehemalige Geschäftsführer von Warburg Invest, einer Tochtergesellschaft, die Investmentfonds auflegt und managt. Darunter waren in den Jahren bis 2010 auch solche Fonds, die für Cum-Ex-Deals genutzt wurden. Mit diesen haben Banker, Anwälte und ungezählte Finanzinstitute jahrelang Aktien vor und nach dem Dividendenstichtag gehandelt. Dabei ließen sie sich zuvor nicht gezahlte Kapitalertragsteuer erstatten und erleichterten den Fiskus damit insgesamt um schätzungsweise mehr als zehn Milliarden Euro.

Solche Cum-Ex-Deals waren strafbare Steuerhinterziehung, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) im Sommer 2021. Allein mit den beiden Fonds im aktuellen Prozess soll der Staat seinerzeit um mehr als 100 Millionen Euro geprellt worden sein.

Warburg und die Eigentümer der Bank wehren sich seit Beginn der Ermittlungen gegen den Vorwurf, vorsätzlich Steuern hinterzogen zu haben. Auch der Angeklagte M. vertrat das lange so. Und noch bis einschließlich Montag war diese Wendung nicht zu erwarten: Vor Gericht trug der Mann zunächst vor, er habe Mathematik studiert, sich das Programmieren angeeignet und eigentlich schon früh promovieren wollen. Als das an seinem Professor scheiterte, ging er in die Privatwirtschaft, war zunächst in der IT beschäftigt, bevor es ihn rund um die Jahrtausendwende zur Warburg Invest verschlug. Im Laufe der Jahre stieg er dort zum Geschäftsführer auf. Der Richter bezeichnete den gelernten Mathematiker M. als "Risikoanalytiker". Wenn er Mails verschickte, die er vorher angekündigt hatte, schrieb er offenbar gern: "wie angedroht".

M. stritt vor Gericht immer wieder ab, gewusst zu haben, was damals vor sich ging. Von Absprachen zwischen Händlern, Bankern und anderen Beteiligten zum Beispiel - die aus heutiger Sicht elementar für die Cum-Ex-Geschäfte waren - habe er keine Ahnung gehabt, sagte er noch zwei Tage vor seiner Kehrtwende. Die Richter in diesem dritten Strafprozess aber waren mit der Aussage des Angeklagten unzufrieden.

"Erzählen Sie uns doch einfach mal, wie es war"

In einer Fragerunde zerpflückten sie die Aussagen des Fondsprofis und zeigten mehrere Ungereimtheiten auf, darunter auch zu Absprachen und zu seinem Wissensstand in den wichtigen Jahren 2009 und 2010. Als die Erklärungsversuche des Angeklagten ihm nicht genügten, wurde der Vorsitzende Richter Roland Zickler deutlich: Er warf M. mit Nachdruck vor, seine Aussagen seien nicht plausibel, die Rolle des Ahnungslosen passe nicht zu ihm, er solle aufhören, das Gericht für naiv zu halten. "Erzählen Sie uns doch einfach mal, wie es war", forderte Zickler ihn auf.

Seine Worte haben offenbar gewirkt. Die Nachfragen des Gerichts, so sagt es der Angeklagte, hätten bei ihm noch einmal zur Reflexion der Vorgänge ab 2009 geführt. Offenbar hat er selbst entschieden, diese neue Sicht vor Gericht vorzutragen, und nicht sein vierköpfiges Anwaltsteam.

Und so revidiert er diesen Mittwoch viele vorherige Aussagen. Tatsächlich habe er schon früh ein Störgefühl gehabt, das er weggedrückt habe. Aber er habe nicht gehandelt, sagt er. Das sei zum einen dem Druck der beratenden Anwälte geschuldet gewesen, zum anderen aber auch dem Druck innerhalb der Warburg-Gruppe. Immerhin habe die Geschäftsbeziehung zwischen Hanno Berger und Paul Mora erheblich zum Ergebnisertrag der Bank beigetragen, ergänzt der Angeklagte. Berger gilt heute als eine treibende Kraft hinter den Deals, Mora wird wegen solcher Cum-Ex-Geschäfte international gesucht. Beide bestreiten die gegen sie erhobenen Vorwürfe.

Mehr als nur eine Überraschung

Er habe aus Sorge um seine Karriere seine Bedenken zu den steuergetriebenen Geschäften zurückgestellt, betont M., auch, weil er schon früher schlechte Erfahrungen mit gegensätzlichen Meinungen innerhalb der Warburg-Gruppe gemacht habe. In der Folge seien die Geschäfte über die Fonds nicht nur 2009, sondern auch noch 2010 gelaufen. Er sei daran beteiligt gewesen und habe durch seine Arbeit unter anderem zur "Verschleierung" beigetragen. Das bedauere er heute, sagt M. am Mittwoch.

Diese neuen Aussagen haben offenbar Eindruck gemacht. Nachdem der Vorsitzende Richter Zickler am Montag den Angeklagten noch scharf angegangen war, zeigt er sich nach dessen Aussage am Mittwoch milde gestimmt. Eine vermutlich harte neue Fragerunde vertagt er mit Blick auf die neuen Aussagen und sagt direkt an den Angeklagten M. gewandt: "Sie haben sich selbst einen der größten Gefallen getan, den ein Mensch sich tun kann."

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