Cum-Ex-Skandal:Vorlesen aus den Tagebüchern

Media Reports Weigh On Finance Minister Olaf Scholz Over Cum-Ex Scandal

Zentrale der M.M. Warburg in Hamburg: Der frühere Generalbevollmächtigte der Privatbank steht wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung vor Gericht.

(Foto: Morris MacMatzen/Getty Images)

Notizen des Warburg-Mitinhabers Christian Olearius sollen im Bonner Cum-Ex-Prozess die Bank und den angeklagten Ex-Finanzchef entlasten.

Von Klaus Ott, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, Bonn/München

Turbulent geht es am Landgericht Bonn zu, an diesem Dienstag, an dem ohne Pandemie im Rheinland alle Karneval gefeiert hätten. Statt Kamelle hat Alexandra Schmitz, die Verteidigerin im aktuellen Cum-Ex-Strafprozess, gleich fünf Beweisanträge dabei. Sie sollen ihren Mandanten vor einer Verurteilung bewahren. Die Anwältin von Christian S., dem früheren Generalbevollmächtigten der Privatbank M.M. Warburg, schaltet auf Angriff gegen die Staatsanwaltschaft und gegen deren Kronzeugen.

Mit einem weiteren, schon im Januar eingereichten Antrag macht die Verteidigung außerdem die Tagebücher von Ex-Warburg-Chef Christian Olearius zum Thema im Prozess - ein Politikum. Erst hatten die Notizen des hanseatischen Privatbankiers im vergangenen Jahr den Verdacht genährt, die Hamburger Finanzverwaltung habe Warburg in Sachen Cum-Ex schonen wollen. Und jetzt sollen die Tagebücher den Angeklagten S. und die Warburg-Bank entlasten. Denn an bestimmten Einträgen zeige sich, dass sich die Privatbanker über den wahren, angeblich kriminellen Charakter ihrer Geschäfte gar nicht im Klaren gewesen seien. Neun Einträge von Olearius will die Verteidigung an einem der nächsten Prozesstage verlesen lassen.

Michael Frenzel, Axel Gedaschko, Christian Olearius, Wolfgang Peiner, Klaus Michael Kuehne

Persönliche Treffen protokolliert: Christian Olearius (Archivbild).

(Foto: Joerg Sarbach/AP)

Angeklagt ist Warburgs Ex-Generalbevollmächtigter S. wegen Steuerhinterziehung in 13 besonders schweren Fällen zwischen 2006 und 2013; unter seiner Beteiligung soll den Ermittlern zufolge ein Steuerschaden von 325 Millionen Euro entstanden sein. Ursprünglich sollte gegen insgesamt vier Warburg-Manager gleichzeitig verhandelt werden. Das Verfahren gegen den 77-jährigen S. wird nun zuerst und coronabedingt getrennt geführt.

Seit Prozessbeginn im Herbst hatte das Gericht unter anderem einen Kronzeugen der Staatsanwaltschaft gehört, der bereits im ersten Cum-Ex-Prozess ausgesagt hatte. Schon das sei merkwürdig, trägt Anwältin Schmitz in Bonn vor: Der Kronzeuge S. sei schließlich gar kein Zeuge, sondern ein Beschuldigter im "Epizentrum" des Geschehens. Er habe entsprechend ein Interesse daran, andere zu belasten, um selbst besser wegzukommen. S. soll, so trägt Schmitz vor, in mindestens einer Sache falsch ausgesagt haben. Das beschädige "seine Glaubwürdigkeit insgesamt erheblich." Der Kronzeuge verschaffe sich außerdem "prozessuale Vorteile", indem er einfach immer das aussage, was gerade passe, behauptet Schmitz.

Zugleich geht die Verteidigerin die Strafverfolger direkt an. Besonders die Ermittlungen eines damals mit Warburg befassten Staatsanwalts macht sie zum Thema: Dieser habe zwischen 2016 und 2017 mehrmals mit dem zuständigen Finanzamt in Hamburg gesprochen. Dabei habe er immer wieder bekundet, er sei einverstanden mit den Entscheidungen dort, zunächst kein Cum-Ex-Geld von Warburg zurückzufordern. Der Staatsanwalt habe, so trägt es Schmitz aus Aktenvermerken des Finanzamts in Hamburg vor, von schleppenden Ermittlungen berichtet und davon, dass ein hinreichender Tatverdacht fehle. Wie habe ihr Mandant wissen können, dass all diese Geschäfte vorsätzlich falsch gewesen seien, wenn selbst Ermittler bis 2017 nicht davon überzeugt waren?

Der Staatsanwalt soll zudem einer Finanzbeamtin erklärt haben, dass er ein Vorgehen gegen die Deutsche Bank, die als Depotbank tätig war, für nicht klug halte. Das könnte seinen Fall "kaputtmachen". Denn dadurch würde der "Vorsatz" bei Warburg womöglich nicht mehr existieren. Daraus lasse sich schließen, dass die Staatsanwaltschaft "einseitig" ermittelt habe. Das widerspreche einem fairen Prozess für ihren Mandanten, eine Einstellung des Verfahrens sei unumgänglich.

Und dann sind da noch die Tagebücher von Olearius. Der frühere Warburg-Chef schildert darin mehrere persönliche Treffen mit dem damaligen Ersten Bürgermeister Hamburgs und heutigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in den Jahren 2016 und 2017. Hintergrund der Gespräche waren den Aufzeichnungen zufolge mögliche Steuerrückforderungen wegen Cum-Ex in zweistelliger Millionenhöhe.

Darüber hatte die SZ vor knapp einem halben Jahr berichtet. Scholz hat anschließend zu diesen Treffen erklärt, er habe keinerlei Zusagen gemacht und auch nie "Einfluss in der Steuersache ausgeübt". Die Warburg-Gruppe erklärte, es habe von ihrer Seite "keine unzulässige Einflussnahme auf Politik oder Verwaltung" gegeben. Ein von der Hamburger Bürgerschaft auf Initiative von CDU und Linken eingesetzter Untersuchungsausschuss soll nun klären, ob es Einflussnahmen und Eingriffe gab, oder nicht. Warburg hatte 2020 mit Zahlungen an den Fiskus in Höhe von 155 Millionen Euro Cum-Ex-Steuerschulden beglichen.

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