Süddeutsche Zeitung

Steuerskandal:Mehr Ermittler gegen Cum-Ex-Verdächtige

Lesezeit: 2 min

Von Nils Wischmeyer, Düsseldorf

Mehr Personal für den größten Steuerskandal der Geschichte der Bundesrepublik: Weil die Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte so aufwendig ist, verdoppelt das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen die Zahl der zuständigen Staatsanwälte.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach sagt, er wolle damit signalisieren, dass man "nichts unversucht lasse", den Cum-Ex-Skandal aufzuklären. Deshalb habe er das Ganze nun zur "Chefangelegenheit" erklärt. Allerdings wird es auch Zeit, die Behörden stehen unter Druck - denn einige der Fälle könnten bald verjähren.

Über Jahre hinweg hatten Investoren, Banken und Leerverkäufer sich eine einmalig gezahlte Steuer mehrfach erstatten lassen. Möglich war das, weil sie rund um den Dividendenstichtag große Aktienpakete mit (cum) und ohne (ex) Dividende so schnell handelten, dass die Finanzbehörden nicht mehr hinterherkamen, was wohin gehörte. Sicher war nur: Der Staat erstatte die Steuern mehrmals. Der Schaden für die Steuerzahler beläuft sich nach Schätzungen von Fahndern auf mehr als zehn Milliarden Euro allein in Deutschland, in ganz Europa geht es um noch wesentlich mehr Geld. Zurzeit läuft in Bonn das erste Strafverfahren gegen zwei Angeklagte. Dieses Verfahren soll klären, ob die Cum-Ex-Geschäfte überhaupt strafbar waren oder ob dabei nur eine Gesetzeslücke ausgenutzt wurde.

Nordrhein-Westfalen spielt in dem Skandal und in der Aufklärung eine besondere Rolle. In Bonn sitzt das bei vielen Cum-Ex-Geschäften zuständige Zentralamt für Steuern. Die Staatsanwaltschaft in Köln führt einen Großteil der Verfahren, mit rund 400 Beschuldigten und zurzeit 56 Ermittlungskomplexen. Jedes einzelne Verfahren ist dabei so umfassend wie die bisher größten deutschen Wirtschaftsverfahren. Ermittler müssen sich teilweise Jahre einarbeiten, um die Materie zu verstehen.

Es ist deshalb nicht das erste Mal, dass mehr Personal für die Cum-Ex-Aufarbeitung benötigt wird: 2013 ermittelte in Köln eine Staatsanwältin allein, bis 2018 wurden es 4,7 Stellen. Die Staatsanwaltschaft und auch das Justizministerium verweisen darauf, dass das "auskömmlich" gewesen sei. Erst nach einigen Jahren habe man erkannt, welche Dimension die Cum-Ex-Geschäfte hatten und daraufhin reagiert.

Kritiker bemängeln, dass das zu spät geschehen sei. Immerhin können mehr Menschen schneller arbeiten und so möglicherweise effektiver verhindern, dass einige der Fälle verjähren. Doch die Oberstaatsanwälte Joachim Roth und Torsten Elschenbroich sind überzeugt, dass das Vorgehen richtig war. Lange Zeit, so erklärt Roth, sei es erst einmal ums Verstehen der komplexen Fälle gegangen. Es hätte daher nichts gebracht, wenn zehn Staatsanwälte Akten gewälzt hätten, ohne zu wissen, wonach sie suchen sollten. Deshalb sei eine Staatsanwältin zu Anfang genauso geeignet gewesen wie zehn oder 100, ergänzt Elschenbroich. Nun, da man die Materie verstanden habe, sei das etwas anderes.

Um die Materie zu verstehen, braucht es gute Kenntnisse im Englischen, bei Finanzen und in der IT

Im Juli dieses Jahres gab es deshalb Verhandlungen darüber, mehr Planstellen zu schaffen. Am Ende genehmigte das Justizministerium in NRW vier neue Stellen, eine weitere wird innerhalb der Staatsanwaltschaft Köln verschoben. Eine der insgesamt fünf Stellen ist bereits besetzt, drei weitere sollen im Herbst dieses Jahres und die verbleibende Anfang 2020 folgen.

Die Frage, ob das Personal für die Aufklärung der Cum-Ex-Geschäfte ausreicht, wurde für die Landesregierung in NRW zuletzt immer drängender. Vor etwa einem halben Jahr zeigten Medienberichte, dass die Ermittlungen an vielen Stellen stockten, weil Personal in den entsprechenden Abteilungen fehlte. So arbeiteten offenbar nur 15 Steuerfahnder in der Ermittlungsgruppe "Stopp", fünf weitere sollen beim Landeskriminalamt in der Einheit "Tax" tätig gewesen sein. Auch das Wissen der Ermittler sei nicht immer ausreichend gewesen, berichteten Insider.

Denn um die Materie zu verstehen, braucht es gute Kenntnisse im Englischen, bei Finanzen und auch in der IT. Nur so lassen sich die hochkomplexen Strukturen bei den Cum-Ex-Aktiengeschäften durchschauen. Diese Kenntnisse fehlten Ermittlern teilweise, berichteten Insider. Die Landesregierung dementierte die Berichte. Dass ein Cum-Ex-Fall durch die lange andauernden Ermittlungen verjährte, sei bisher noch nicht passiert, sagt Oberstaatsanwalt Joachim Roth. Aber: "Für die Zukunft kann ich das nicht ausschließen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4604110
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.