Der Steueranwalt Hanno Berger ist nicht für seine ausgeprägte Reisetätigkeit bekannt, und fortan muss er sich gut überlegen, ob er seine Wahlheimat Zuoz in den Schweizer Bergen überhaupt noch verlassen sollte. Denn er ist nicht mehr nur an zwei deutschen Gerichten wegen schwerer Steuerhinterziehung angeklagt, sein Name findet sich jetzt auch auf Fahndungslisten der Polizei: Das Landgericht Wiesbaden hat einen Haftbefehl gegen Berger erlassen, bald acht Jahre, nachdem er sich in die Schweiz abgesetzt hat. Nach Informationen von SZ und WDR ist er bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben, ein internationaler Haftbefehl dürfte folgen. Und auch ein Auslieferungsantrag an die Schweiz.
Von Januar an sollte Berger wegen Aktiengeschäften zu Lasten der Staatskasse in Wiesbaden vor Gericht stehen. In der drei Jahre alten Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ist von mehr als 113 Millionen Euro an hinterzogenen Kapitalertragsteuern die Rede. Geld, das damalige Banker der Hypo-Vereinsbank und ein inzwischen verstorbener Investor mittels komplizierter Aktiengeschäfte unter Bergers Anleitung aus der Staatskasse gestohlen haben sollen. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich Berger entgegen früheren Ankündigungen dem Verfahren entziehen wolle - was Bergers Anwalt Kai Schaffelhuber bestreitet: "Herr Berger hat bisher keinen Zweifel daran gelassen, dass er dann nach Deutschland kommt." Er gehöre aber der Covid-19-Risikogruppe an und habe dem Gericht Atteste vorgelegt: coronabedingt könne er nicht kommen.
Das reicht dem Landgericht aber offenbar nicht aus. Laut Strafprozessordnung kommt Untersuchungshaft dann infrage, wenn ein Beschuldigter "flüchtig ist oder sich verborgen hält". Vor drei Jahren hatte das Gericht einen Haftantrag der Generalstaatsanwaltschaft noch abgelehnt. Nun ließ sich Berger erst wegen Corona entschuldigen und vermied es dann, sich auf Wunsch des Gerichts in Freiburg untersuchen zu lassen. Bergers Anwalt Schaffelhuber sagt, es sei absurd, zur Untersuchung einer Reisefähigkeit ein paar hundert Kilometer zu reisen. Verborgen hält sich Berger nicht, seine Adresse im Oberengadin ist bekannt. Aber flüchtig ist er nach Ansicht der Strafkammer offenbar schon. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, sich "zu laufenden Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen" nicht zu äußern.
Berger, Ex-Finanzbeamter, dann erfolgreicher Steueranwalt und einer der Hauptverdächtigen im Cum-Ex-Steuerskandal, bestreitet, sich strafbar gemacht zu haben. Die Geschäfte, um die es geht, hätten ganz andere Zwecke gehabt als von Ermittlern vermutet. Es geht um eine spezielle Form des Aktienhandels mit (cum) und ohne (ex) Dividende, laut Ermittlern von vielen Banken und Börsenhändlern so organisiert, dass der Fiskus nicht gezahlte Kapitalertragsteuer erstattete. Ein Schaden von insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro soll so bis 2012 entstanden sein.
Auch in NRW soll ein Haftbefehl gegen Berger erfolgen
In fast 1000 Seiten Anklageschrift am Landgericht Wiesbaden wird Berger als derjenige dargestellt, der sich etliche Deals ausgedacht habe. "Spiritus rector", führender Geist, solcher Deals sei er gewesen, und auch eine treibende Kraft. Berger hat auch das stets bestritten.
So wie er die neuerlichen Vorwürfe gegen ihn bestreitet, die jetzt das Landgericht Bonn beschäftigen. Dort könnte gegen Berger im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Privatbank M.M. Warburg verhandelt werden. Auch die Staatsanwaltschaft Köln hat Anklage gegen den 69-Jährigen eingereicht. In einem ersten Cum-Ex-Strafprozess in Bonn erging im März ein Urteil gegen zwei Hedgefonds-Manager, das sich in Teilen liest wie eine Verurteilung Bergers. Auch in NRW soll ein Haftbefehl folgen.
Nun bleibt die Frage, ob es einen Auslieferungsantrag geben wird und ob die Schweiz diesem stattgäbe. Um gegen Berger wegen aller angeklagten Delikte prozessieren zu können, müsste ein zweiter Haftbefehl des Landgerichts Bonn in den Antrag mit einfließen. Und: Bei einfachen Steuerdelikten liefert die Schweiz nicht aus; das geht nur "in besonders schweren Fällen". Was aus deutscher Sicht klar ist, wird in der Schweiz oft anders gesehen.