Süddeutsche Zeitung

Cum-Ex-Skandal:"Ich kann die Entscheidung nicht nachvollziehen"

Im Hamburger Untersuchungsausschuss zur Affäre um die Privatbank Warburg wirft die ermittelnde Oberstaatsanwältin dem Fiskus schwere Versäumnisse vor. Der Ausschuss will herausfinden, ob es politische Einflussnahmen der SPD-Politiker Scholz und Tschentscher gab.

Von Peter Burghardt und Klaus Ott, Hamburg

Anne Brorhilker, Deutschlands führende Ermittlerin im Cum-Ex-Steuerskandal, ist für deutliche Worte bekannt. Und so hat sich die Kölner Oberstaatsanwältin jetzt auch in dem Hamburger Untersuchungsausschuss geäußert, der klären will, ob es in der Hansestadt politische Einflussnahmen zugunsten der dortigen Privatbank Warburg gab. Sie könne nicht nachvollziehen, dass der Hamburger Fiskus auf eine Steuernachforderung bei Warburg verzichtet habe, sagte Brorhilker am Freitag als Zeugin im U-Ausschuss. Sie wundere sich, "dass da so eine zögerliche Haltung an den Tag gelegt" worden sei. Brorhilkers Unverständnis über den Hamburger Fiskus erhöht die politische Brisanz des Falles erheblich.

Es geht in dem U-Ausschuss um die Frage, warum Hamburgs Finanzbehörde Warburg 2016 zunächst mutmaßliche Steuerschulden in Höhe von 47 Millionen Euro erließ und 2017 vom Bundesfinanzministerium angewiesen werden musste, weitere 43 Millionen Euro einzufordern. Und es geht um Olaf Scholz, der nächste Woche zum Bundeskanzler gewählt werden soll. Der SPD-Politiker war in jener Zeit Hamburger Bürgermeister. Sein Nachfolger als Bürgermeister, Peter Tschentscher, ebenfalls SPD, war damals Finanzsenator.

Der Schaden durch den Cum-Ex-Handel soll insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro betragen

Scholz und Tschentscher streiten politische Einflussnahme in der Causa Warburg ab. Scholz hatte sich 2016 und 2017 mehrmals mit dem Warburg-Miteigner Christian Olearius getroffen, einer hanseatischen Größe, und einmal offenbar auch mit ihm telefoniert. Nach Erkenntnissen des U-Ausschusses riet Scholz im November 2016 Olearius, ein Schreiben der Bank an das zuständige Finanzamt an Tschentscher weiterzuleiten.

Wenige Tage später beschloss die Hamburger Finanzverwaltung, auf Forderungen fürs Erste zu verzichten. Inzwischen hat die Warburg nach Gerichtsurteilen 155 Millionen Euro an den Fiskus gezahlt. Den Vorwurf, man habe den Fiskus betrügen wollen, weist die Privatbank aber zurück. Warburg will sich die 155 Millionen Euro auf dem Klagewege von den "Initiatoren, Abwicklern und Profiteuren" der betreffenden Geschäfte zurückholen.

Brorhilker kennt viele dieser Profiteure. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt bundesweit und international gegen mehr als 1000 Beschuldigte aus Banken, anderen Finanzfirmen und Anwaltskanzleien. Zahlreiche Banken und deren Geschäftspartner haben sich beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende eine nur einmal gezahlte Steuer von trickreich getäuschten Finanzämtern mehrmals erstatten lassen. Das war sozusagen Steuerdiebstahl; der juristische Vorwurf lautet Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen. Der Schaden für den deutschen Staat soll insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro betragen.

"Das ist keine Raketenwissenschaft"

Eines der vielen Ermittlungsverfahren in Köln betrifft die Privatbank Warburg, weshalb der U-Ausschuss Brorhilker jetzt als Zeugin hörte. So etwas wie beim Hamburger Fiskus habe sie noch nie erlebt, so die Kölner Oberstaatsanwältin. Warburg hatte bei den Hamburger Finanzbehörden zunächst erfolgreich eingewandt, der Fall sei noch nicht vollständig ermittelt. Außerdem wäre, so Warburg damals, im Falle einer Rückzahlung die Zukunft der Bank gefährdet. Brorhilker hingegen war nach einer Durchsuchung bei Warburg und weiteren Ermittlungen frühzeitig überzeugt davon, dass es um illegale Geschäfte gehe.

"Ich kann gar nicht nachvollziehen, dass man da Zweifel haben kann", sagte sie. "Das ist keine Raketenwissenschaft." Da seien über Scheinrechnungen riesige Profite verschoben worden, zweistellige Millionenbeträge. So etwas kenne sie sonst nur vom Bau, "dem Gerüstbau". Nach Ansicht von Brorhilker hätte der Hamburger Fiskus schon 2016 Geld von Warburg zurückfordern können. 2017 sei die "Beweislage noch viel besser" gewesen.

Die Kölner Ermittlerin hatte für den U-Ausschuss noch eine weitere Überraschung parat. Brorhilker berichtete, Hamburgs Steuerfahndung habe sich geweigert, mit den nordrhein-rheinwestfälischen Ermittlern zusammenzuarbeiten. Brorhilker war auch überrascht, dass das Bundesfinanzministerium 2017 von Hamburg verlangen musste, von Warburg Geld einzutreiben. "Machen Sie den Sack zu", habe das Bundesfinanzministerium die Hamburger angewiesen. Brorhilker hatte dem Bundesfinanzministerium zuvor den Stand der Ermittlungen erläutert.

Mit ihrem Auftritt als Zeugin in Hamburg nimmt das Thema noch mal Fahrt auf. Der U-Ausschuss geht zurück auf Berichte in der Süddeutschen Zeitung und anderen Medien (NDR, Zeit) vom September 2020 über mehrere Treffen von Warburg-Mitinhaber Olearius mit Scholz. Nach Erkenntnissen des Ausschusses hatte Olearius den damaligen Bürgermeister Scholz am 7. September 2016 aufgesucht und auf die Cum-Ex-Steuerprüfung bei Warburg angesprochen, er soll dabei auch auf die angeblich schlechte Finanzlage seiner Bank verwiesen haben. Scholz sagte später vor dem U-Ausschuss aus, er habe nichts versprochen. Er soll aber gesagt haben, Olearius könne sich wieder melden.

Scholz sagte, er könne sich nicht an ein Telefonat erinnern

Auf 26. Oktober 2016 war Olearius erneut bei Scholz. Den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses zufolge informierte der Privatbankier den Bürgermeister über den Verlauf des Steuerfalls und die Position von Warburg. Scholz will dazu laut seiner Aussage keine Stellung bezogen haben. Zwei Wochen später, am 9. November 2016, meldete sich Scholz bei Olearius auf seinem Handy. Seinem Kalender zufolge kam das Gespräch auf Wunsch des Bürgermeisters zustande.

Scholz berichtete das später im U-Ausschuss in Hamburg und sagte, er selbst habe keine Erinnerung an das Telefonat. Olearius bekam offenbar, so notierte es der Warburg-Bankier jedenfalls, von Scholz den Hinweis, er möge ein Schreiben von Warburg an das Finanzamt für Großunternehmen ohne weitere Bemerkungen auch an Finanzsenator Tschentscher schicken. Scholz sagte dazu im U-Ausschuss, er habe keinen Grund, an der Darstellung von Olearius zu zweifeln. Er nehme an, er habe Olearius an die zuständige Behörde verweisen und sicherstellen wollen, dass nirgendwo der Anschein erwecke werde, "dass ich mir seine Auffassung zu eigen mache".

Olearius schickte Tschentscher noch am selben Tag eine Kopie eines Briefes an das Finanzamt für Großunternehmen. Tschentscher soll das Schreiben mit einer Bitte um Sachstand versehen haben. Laut Manager Magazin und Spiegel soll er am Tag zuvor, dem 8. November 2016, mit Scholz telefoniert und zwei Tage nach Eingang des Schreibens, dem 11. November, einen Termin mit der Amtsleiterin der Finanzbehörde gehabt haben. Gut eine Woche später entschied der Hamburger Fiskus, aktuell nicht gegen Warburg vorzugehen, da dies lediglich auf Indizien und Vermutungen beruhe und der Sachverhalt noch nicht aufgeklärt sei. Das war weitgehend die Sichtweise von Warburg. Die Finanzbehörde erklärt dazu später, alles sei korrekt zugegangen.

Dass Brorhilker so intensiv ermitteln kann, unter anderem bei Warburg, geht auch auf die frühere rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zurück. Der damalige Finanzminister und spätere SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans hatte zusammen mit Innenminister Ralf Jäger (ebenfalls SPD) eine engere Zusammenarbeit von Steuerfahndung und Landeskriminalamt (LKA) in NRW ermöglicht. Anfang 2015 war eine neue Ermittlungsgruppe "Organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung" geschaffen worden. Finanzminister Walter-Borjans erklärte damals, "unsere Steuerfahndung geht jedem Verdacht nach - ohne Ansehen der Personen oder Geldhäuser". Banken sollten nicht darauf setzen, dass das "systematische Ausplündern der Staatskasse unentdeckt bleibt". Zu einzelnen Fällen äußerte sich Walter-Borjans nicht.

Die Kölner Oberstaatsanwältin Brorhilker hat inzwischen beim Landgericht Bonn erste Urteile gegen Cum-Ex-Beschuldigte erwirkt, darunter gegen den früheren Generalbevollmächtigten von Warburg. Er wurde Anfang Juni 2021 zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In einem anderen von Brorhilker vor Gericht gebrachten Fall, in dem es um zwei frühere Aktienhändler der Hypo-Vereinsbank ging, hat der Bundesgerichtshof Cum-Ex-Deals zulasten der Staatskasse inzwischen höchstrichterlich als kriminell eingestuft.

Die damalige Sorge des Hamburger Fiskus vor wirtschaftlicher Schieflage der Warburg-Bank hält die Kölner Oberstaatsanwältin für ein seltsames Argument, um von einer Steuerforderung Abstand zu nehmen. Brorhilker sagte im U-Ausschuss: "Es wäre mir neu, wenn ein Finanzamt darauf Rücksicht nehmen würde, dass jemand seine Einkommensteuer nicht bezahlen kann, weil er gerade im Urlaub war."

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