Cum-Ex-Prozess:Warten auf den "geistigen Vater"

Am Landgericht Wiesbaden hat der Prozess um Cum-Ex-Geschäfte begonnen. Die Hauptperson lässt sich entschuldigen - mit einer erstaunlichen Erklärung.

Von Jan Willmroth, Wiesbaden

Der Ideengeber fehlt, er wird nicht kommen, auch wenn er das einst ganz anders angekündigt hat. Um zwei Minuten nach elf eröffnet die Vorsitzende Richterin Kathleen Mittelsdorf an diesem Donnerstag den Prozess um Cum-Ex-Aktiengeschäfte am Landgericht Wiesbaden. Außenstelle Grundweg, eine Leichtbauhalle auf dem Kirmesgelände in Biebrich, durch die geöffneten Türen weht ein leichter Wind. Zwischen Plexiglaswänden sitzen die verbliebenen Angeklagten neben ihren Verteidigern. Zwei sind es noch, sie waren mal Banker, jetzt stehen sie vor Gericht: wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung, achteinhalb Jahre nach Beginn der Ermittlungen, dreieinhalb nach Anklageerhebung. Der Steueranwalt Hanno Berger, die Hauptfigur, ist nicht da.

"Wir teilen mit, dass Herr Dr. Berger nicht erscheinen kann und wird", liest Bergers Verteidiger Sebastian Gaßmann vor. Er sei erstens nicht ordentlich geladen worden: In dem Schreiben des Gerichts würden Berger, der in der Schweiz wohnt, Zwangsmaßnahmen angedroht. Das verletze die Souveränität der Schweiz, sagt der Anwalt, schon die Androhung von Zwangsmaßnahmen eines anderen Staats sei nach Schweizer Recht strafbar. Zweitens liege Berger seit dem 18. März im Krankenhaus. Die Strafkammer trennt das Verfahren gegen Berger kurzerhand ab, seine Anwälte verlassen die Bühne.

Ursprünglich hätte es ein Musterprozess werden sollen

Jahrelang haben Verfahrensbeteiligte und Öffentlichkeit auf diesen Tag gewartet. Darauf, dass über diese 950 Seiten starke Anklage endlich verhandelt wird. Es war die erste überhaupt in Sachen Cum-Ex in Deutschland, und Hanno Berger sollte als Schlüsselperson zuerst an der Reihe sein. Wegen Geschäften mit einem reichen Investor und der Hypo-Vereinsbank (HVB), die Berger eingefädelt haben soll: ein Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende mit dem Ziel, sich Steuern anrechnen zu lassen, die niemand zuvor gezahlt hatte. 113 Millionen Euro Schaden für den Fiskus. Die angeklagten Fälle stehen beispielhaft für Bergers Leistung, die bei Banken schon lange bekannten Cum-Ex-Deals als Produkte für vermögende Investoren zu vertreiben. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hält ihn für den geistigen Vater eines kriminellen Geschäftsmodells. Berger bestreitet, dass das strafbar gewesen sei.

Ursprünglich sollte es in Wiesbaden einen Musterprozess mit sechs Angeklagten geben. Das Verfahren gegen den von Interpol gesuchten Ex-Banker Paul Mora aus Neuseeland wird längst gesondert geführt. Kurz vor Prozessbeginn trennte das Gericht auch das Verfahren gegen zwei weitere Ex-HVB-Banker ab, die in Irland und Gibraltar wohnen. Um unter dem Eindruck der Pandemie überhaupt verhandeln zu können. Berger hatte einst stets erklärt, sich einem Verfahren in Deutschland "selbstverständlich" zu stellen.

So hätte er die Chance, endlich vor einer Strafkammer all das vorzutragen, was er bislang auf anderen Wegen verbreitet: Die Justiz in Deutschland irrlichtert angeblich flächendeckend, Cum-Ex-Geschäfte seien grundsätzlich legal gewesen und die ganze Idee einer Strafbarkeit völlig abwegig. Vielleicht ist er sich - mit zwei Haftbefehlen und neuerdings auch einem Auslieferungsantrag wegen bandenmäßigem Betrugs konfrontiert - seiner Sache doch nicht mehr so sicher?

Die verbleibenden Angeklagten spielten untergeordnete Rollen. Wie viel wussten sie über die Deals?

An der Anklageschrift aus Frankfurt kann das kaum liegen. Die darin geschilderten Darstellungen hat Berger von Beginn an bestritten: erst die Aktiendeals, später falsche Erklärungen an das Finanzamt. Die Ermittler beschreiben, wie Berger im Jahr 2006 auf den Investor zugegangen sei und auf die Hypo-Vereinsbank. Wie er zusammen mit Aktienhändlern der Bank die Geschäfte auf den Weg gebracht haben soll. Wie kleinteilig diese geplant gewesen seien, festgehalten in Präsentationen und Excel-Tabellen, Jahr für Jahr Milliardenumsätze mit Dax-Aktien.

Die Verteidiger der beiden Angeklagten verlesen am Nachmittag noch jeweils kompakte Erklärungen, wonach ihre Mandanten nun zu unrecht im Fokus stünden. Der erste Angeklagte, ein früherer Wertpapierhändler der HVB in München, sei nur "Befehlsempfänger" gewesen und habe eine "objektiv völlig untergeordnete Rolle gespielt", erklärt dessen Anwalt. Über die Einzelheiten der Geschäfte sei er überhaupt nicht im Bilde gewesen.

So ähnlich klingt das auch beim letzten verbleibenden Angeklagten, dem früheren Kundenberater des inzwischen verstorbenen Investors bei der HVB. Mit einer Erklärung seines Verteidigers endet der erste Verhandlungstag. "Es ist fast so wie mit dem Flughafen in Berlin", sagt er. "Keiner hat mehr an die Eröffnung geglaubt, und jetzt, mitten in Zeiten der Pandemie, wird eröffnet. Aber es sind keine Passagiere mehr da."

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