Cum-Ex-Prozessauftakt:Ein Strafverfahren, das in die Geschichte eingehen wird

  • In Bonn hat am Mittwoch der große Prozess gegen die Ex-Banker Martin S. und Nick D. begonnen.
  • Sie sollen mit Cum-Ex-Geschäften einen Schaden von 447,5 Millionen Euro für den Fiskus mitverursacht haben.
  • Der Verlauf und das Urteil werden wegweisend für alle weiteren Strafprozesse in Sachen Cum-Ex sein.

Von Nils Wischmeyer und Jan Willmroth, Bonn

Als die Formalia zu Beginn dieses großen Strafprozesses geklärt sind und alle Übersetzer vereidigt, hat Anne Brorhilker ihren ersten großen Auftritt. Das Gericht erlaubt ihr, sitzen zu bleiben, sie müsste sonst mehre Stunden lang stehen. Mit sonorer Stimme liest sie vor, woran sie über Jahre gearbeitet hat: 55 Seiten aus der ersten zum Prozess zugelassenen Anklageschrift im Cum-Ex-Steuerskandal.

Es ist der Auftakt zu einem großen Strafverfahren, das in die Geschichte eingehen wird. Und Brorhilker, schlank, Acetatbrille mit runden Gläsern, blonde Haare bis zur Schulter, führt ihren Kampf gegen einige der größten Steuertrickser der Geschichte erstmals öffentlich.

Auf der anderen Seite des Saals sitzen die Angeklagten, neben ihnen jeweils drei Verteidiger, Simultandolmetscher übersetzen jedes Wort ins Englische. Dahinter haben noch einmal neun Anwälte Platz genommen, als Vertreter der fünf am Verfahren beteiligten Finanzdienstleister. Vor den Augen von mehr als 100 Journalisten und Prozessbeobachtern hören sich Nick D. und Martin S. die längst bekannten Vorwürfe gegen sie an.

Sie hören, wie sie sich "spätestens ab 2006" mit weiteren Beschuldigten zu einer Bande zusammengeschlossen haben sollen, um "Cum-Ex-Geschäfte mit deutschen Aktienwerten zu tätigen", erst als Händler bei der Hypo-Vereinsbank, später bei der auf Aktiengeschäfte zulasten des Fiskus spezialisierten Fondsfirma Ballance. "Es handelt sich dabei lediglich scheinbar um einen gewinnorientierten Handel mit Aktien", trägt Brorhilker vor, "da der Profit dieser Geschäfte nicht über Marktchancen generiert wird, sondern auf der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern basiert."

Martin S., 41, ein stattlicher Mann mit beigefarbenem Pullover und weißem Hemd unter dem Sakko, und Nick D., 38, die Haare zur Seite gegelt, die blau-rot-weiß gestreifte Krawatte akkurat gebunden, haben nach langen Ermittlungen beschlossen, auszusagen. Beide sind Briten, S. wohnt mit Familie in Dublin, D. mit Frau und Kindern in London. Der Vorwurf der Anklage lautet auf schwere Steuerhinterziehung in 33 Fällen, in einem weiteren Fall soll es beim Versuch geblieben sein.

447,5 Millionen Euro soll der Schaden für den Fiskus betragen, den die Angeklagten mitverursacht haben sollen. Mehr als 650 Seiten umfasst die Anklage der Staatsanwaltschaft, 28 Aktenordner füllt der Fall bereits, der 29. ist schon angelegt. Um alle auf den neuesten Stand zu bringen, teilt das Gericht zu Beginn eine CD-Rom mit den bis dato noch nicht verteilten Akten aus. Ausdrucken will das niemand mehr.

Die Anklageschrift zeigt, wie komplex die Aufarbeitung dieser teils 13 Jahre alten Taten sein wird: Allein der erste Fall, in dem die Privatbank M.M. Warburg an Ballance herangetreten sein soll, ist in der Beschreibung der Beteiligten und ihrer Rollen so vielschichtig, dass Außenstehende die Handlungsmuster kaum durchblicken können. Der Schaden von etwa 37,4 Millionen Euro zulasten deutscher Steuerzahler, der in diesem ersten Fall entstanden sein soll, ist dagegen unmissverständlich.

Abgelaufen sind die Taten nach dem immer gleichen Muster

Cum-Ex-Geschäfte waren über Jahre hinweg möglich, weil das Steuerrecht entsprechende Lücken aufwies. Händler wie S. und D. hatten Wege gefunden, Aktien so zu handeln, dass der Staat am Ende mehr Kapitalertragsteuern erstattete, als er zuvor eingenommen hatte. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass sie sich in zahlreichen Fällen mit Banken und anderen Beschuldigten abgesprochen haben und die Taten gemeinschaftlich mit mehreren Anwälten geplant haben; mit mündlichen Absprachen und mit Excel-Tabellen, in denen sie die am Handel Beteiligten wie bei einem Puzzle miteinander verbanden. Bis einschließlich 2011 soll das gelaufen sein. Erst zu Beginn des Jahres 2012 hatte der Gesetzgeber die Lücke beseitigt.

Abgelaufen, das zeigen diverse Dokumente und belegen Aussagen der Angeklagten, sind die Taten stets nach dem gleichen Muster: Rund um den Stichtag einer Dividendenzahlung handelten die beschuldigten Banken, Händler und Investoren die Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Recht auf Dividende schnell hin und her und ließen sich am Ende mehrfach die Kapitalertragssteuer erstatten. Gezahlt hatten sie die aber nur einmal. Den entsprechenden Gewinn sollen sie dann nach einem vorher festgelegtem Plan unter sich aufgeteilt haben. Der Schaden, der dem deutschen Fiskus durch die mehrfache Erstattung insgesamt entstand, soll bei mehr als zehn Milliarden Euro liegen, schätzen Steuerfahnder heute.

Ob es ein Musterprozess sein wird, ist unter Strafverteidigern umstritten

Den nun gestarteten Prozess gegen Martin S. und Nick D. machen bereits die Summe und der Umfang bedeutend. Vor allem aber werden der Verlauf und auch das Urteil wegweisend für alle weiteren Strafprozesse in Sachen Cum-Ex sein. Immerhin wird sich erstmals klären, ob bestimmte Cum-Ex-Deals strafbar waren. Ob es ein Musterprozess sein wird, wie manche Beobachter glauben, ist unter Strafverteidigern allerdings umstritten.

Die beiden Angeklagten S. und D. haben den Griff in die Staatskasse längst zugegeben, zumal er objektiv nicht mehr zu bestreiten ist. Sie und mehrere weitere Beschuldigte gelten als Kronzeugen. Sie haben in zahlreichen Vernehmungen umfassend ausgesagt und dabei andere Akteure schwer belastet. In der Hoffnung auf ein relativ mildes Urteil nach ihrer umfassenden Kooperation haben die Angeklagten entschieden, sich offen auf das Verfahren einzulassen. Schon jetzt gilt fast als sicher, dass dieses Verfahren irgendwann vor dem Bundesgerichtshof landet.

Das Urteil in erster Instanz dürfte indes nicht nur für die Angeklagten interessant sein, sondern im gleichen Maße auch für die Banken: Als Nebenbeteiligte sind immerhin fünf Finanzdienstleister geladen, darunter die Hamburger Privatbank M.M. Warburg oder die Hansainvest. Prüfen wird das Landgericht, ob und in welcher Höhe die Institute den entstandenen Schaden ersetzen müssen. Möglich macht das ein relativ neuer Paragraf im Gesetzbuch.

Der Ex-Arbeitgeber von Nick D. und Martin S. muss sich im Prozess hingegen nicht verantworten. Die Hypo-Vereinsbank hat den ihr angelasteten Schaden längst ersetzt, ein Bußgeld gezahlt und damit früh reinen Tisch gemacht. Für sie scheint der Skandal abgeschlossen. Für Nick D. und Martin S. ist er das noch nicht. Vorerst sind 32 Prozesstage bis Mitte Januar 2020 festgesetzt.

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