Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftskriminalität:Die vergebliche Warnung des Herrn B.

  • Die in den Cum-Ex-Skandal verwickelte, lange Zeit staatliche Bank HSH hat die dubiosen Börsengeschäfte intern untersuchen lassen.
  • Das Ergebnis des lange unter Verschluss gehaltenen Berichts ist niederschmetternd.
  • Demnach hatte sich trotz vieler Eingeweihter nur ein Mitarbeiter gegen die Deals ausgesprochen.

Von Klaus Ott, Hamburg, und Jan Willmroth, Frankfurt

Der geheime Untersuchungsbericht, der tiefe Einblicke gewährt in die Abgründe einer Staatsbank und einer ganzen Branche, ist nach dem römischen Gott Saturn benannt. Eine treffende Wahl. Schließlich war im Saturntempel im alten Rom der Staatsschatz aufbewahrt worden. Und tief in die Staatskasse gegriffen haben zwei Jahrtausende später in Deutschland viele Geldinstitute, mit sogenannten Cum-Ex-Aktiengeschäften. Cum-Ex gilt als der größte Steuerskandal hierzulande. Sogar die lange Zeit staatliche HSH Nordbank ist in den Skandal verwickelt. Als die Cum-Ex-Deals schließlich aufflogen, ließ die HSH ihre dubiosen Börsengeschäfte unter dem Projektnamen Saturn intern untersuchen. Das bislang unter Verschluss gehaltene Ergebnis fiel niederschmetternd aus.

Die Bank hat jetzt einen neuen Namen. Manager von damals machen woanders Karriere

Gleich 13 Beschäftigte bis hin zu einem Vorstandsmitglied seien mit dem Thema Cum-Ex befasst worden oder befasst gewesen. Aber offenbar nur einer, ein Börsenhändler namens B., hatte sich gegen diese Aktiendeals ausgesprochen. Hatte intern Bedenken geäußert und selbst nicht mitgemacht. Aber auf B. hatte niemand hören wollen. Was damals in der HSH geschehen war, zeigt der Untersuchungsbericht, den die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Anwälten der Kanzlei Clifford Chance hatten im Auftrag der HSH etliche Beschäftigte der Bank zu den Cum-Ex-Deals befragt; darunter eben auch B., einen der Börsenhändler der damaligen Staatsbank. Die in einem 12-seitigen Protokoll notierten Aussagen von B. sind aufschlussreich und irritierend zugleich.

Ausgerechnet die HSH bereicherte sich demnach am Fiskus. Und das noch dazu in einer Zeit, in der die Bank von ihren Haupteigentümern, der Hansestadt Hamburg und dem Land Schleswig-Holstein, nach schief gelaufenen Spekulationsgeschäften mit Steuergeldern in Milliardenhöhe gerettet worden war. B. empfand das, was die HSH dann machte, als zutiefst unanständig. Der Börsenhändler gab zu Protokoll, die HSH sei eine Bank gewesen, die gerade durch die öffentliche Hand vor dem "Ertrinken" gerettet worden sei. Das habe er damals einem Vorgesetzten gesagt. Während man die rettende Hand ergreife, greife man durch die Cum-Ex-Geschäfte "in die Tasche der Retter." Damit habe er ein "moralisches Problem" gehabt, da habe er nicht dabei sein wollen. B. gab weiter zu Protokoll, er habe darum gebeten, "nicht weiter als möglicher Händler für diese Geschäfte vorgesehen zu werden." Seinem Wunsch sei entsprochen worden.

Dass da einer nicht mitmachte, dürfte selten vorgekommen sein in der Finanzbranche. Viele Banken und Börsenhändler hatten sich beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende von trickreich getäuschten Finanzbehörden eine nur einmal gezahlte Steuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten lassen. Steuerfahnder schätzen den Schaden auf mehr als zehn Milliarden Euro. Die inzwischen privatisierte HSH hat schon vor Jahren inklusive Zinsen rund 126 Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt. Das ist bekannt.

Doch was genau geschehen war in der Staatsbank in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts, als immer mehr Institute den Fiskus hintergingen, blieb bislang verborgen. Auch deshalb, weil die Hamburger Staatsanwaltschaft sich die Vorgänge in der HSH zwar angeschaut, aber nie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Anders als die Strafverfolger in Köln, Frankfurt und München, die wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen gegen Dutzende Banken und Hunderte Bankmanager und Börsenhändler vorgehen, bis hin zu drei Ex-Vorstandsmitgliedern der Deutschen Bank.

In Hamburg wird erst jetzt deutlich, wie tief die Abgründe waren in der Zeit, in der Dirk Jens Nonnenmacher erst Vorstandsmitglied und dann Vorstandschef der HSH gewesen war. Jener Nonnenmacher, der nach hohen Verlusten bei fehlgeschlagenen Geschäften wegen des Vorwurfs der Veruntreuung von Bankvermögen vor Gericht gestanden hatte und schließlich mit 1,5 Millionen Euro Geldauflage davonkam. Nonnenmacher gilt als eines der Gesichter der Finanzkrise, in deren Verlauf der Staat etliche Banken mit Milliardenbeträgen gerettet hatte; darunter eben auch die HSH.

Mit Cum-Ex aber war Nonnenmacher in seiner Bank den Ergebnissen des Projekts Saturn zufolge nicht befasst gewesen. Sein Name taucht in dem als "vertraulich" eingestuften Untersuchungsbericht der HSH im einschlägigen Kapitel 3.4.1. ("Maßgeblich beteiligte Personen") nicht auf.

Anders als Nonnenmachers damaliger Kollege Joachim Friedrich, der als Kapitalmarktvorstand für den Eigenhandel der HSH an der Börse zuständig war und laut Untersuchungsbericht "punktuell" mit Cum-Ex befasst gewesen sei. Friedrich will sich seinem Anwalt zufolge nicht äußern. Die Bank selbst belässt es bei wenigen Sätzen. Man habe 2014 von sich aus den Sachverhalt prüfen lassen und dem Fiskus die möglicherweise "zu Unrecht" kassierten Steuererstattungen zurückgezahlt. "Aus Sicht der Bank ist das Steuerverfahren damit erledigt." Für die nach dem Verkauf an Finanzinvestoren in "Hamburg Commercial Bank" (HCoB) umgetaufte Bank ist der Fall abgeschlossen. Auch alles andere ist erledigt. Es gibt keine Ermittlungen gegen jene Beschäftigten, die bei der HSH der Untersuchung zufolge "in die Vorbereitung und Umsetzung der Geschäfte maßgeblich involviert" waren; darunter immerhin mehrere Abteilungsleiter.

Den Anwälten von Clifford Chance, die das trübe Treiben der HSH durchleuchtet hatten, war einiges aufgefallen. Unterlagen der Bank zufolge habe es mehrmals "Stopps" für die Cum-Ex-Deals gegeben. Teils vom Vorstand, teils von unteren Ebenen. Am Ende seien die Geschäfte jedoch immer wieder weitergegangen. Weil eben nur einer nicht mitmachte? B. gab bei der Untersuchung zu Protokoll, das Ganze hätte "nach doppelter Steueranrechnung" gerochen. So habe er das auch jedem gesagt, mit dem er darüber gesprochen habe. Seine Kollegen hätten das auch verstanden. Den Vorgesetzten von B. hat das nicht geschadet. Teilweise haben sie bei anderen Banken weiter Karriere gemacht.

Irgendwie erinnert dies an das alte Rom. Dort hatte der Volkstribun Tiberius Gracchus den Hauptraum des Saturntempels versiegeln lassen, um seinen politischen Gegnern den Zugriff zum Staatsschatz zu verwehren. Gracchus wollte die Republik reformieren und für einen besseren Ausgleich zwischen Reich und Arm sorgen. Er wurde schließlich erschlagen.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2019/bepe
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