Cum-Ex-Geschäfte:Tricks und Täuschung
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350 Millionen Euro. Um diese Summe soll ein Anlagefonds den Fiskus betrogen haben. Bei sogenannten Cum-Ex-Deals lassen sich Aktienhändler einmal bezahlte Abgeltungsteuern mehrfach rückerstatten. Es handelt sich um den bisher größten Verdachtsfall in Deutschland.
Von Klaus Ott, München
An diesem Fall ist alles groß. Die Anzahl der Aktien, die hin und her geschoben wurden. Die dabei eingesetzten Geldsummen. Die bei einer Razzia wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung beschlagnahmten Datenmengen. Und der Betrag, um den der Fiskus geschädigt worden sein soll: knapp 350 Millionen Euro. Es ist der größte bisher bekannte Fall in Deutschland, in dem wegen Cum-Ex-Aktiendeals zulasten des Fiskus ermittelt wird. Das Verfahren, das bei der Münchner Staatsanwaltschaft läuft, richtet sich nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR gegen einen Kapitalanlagefonds. Fünf heutige und frühere Verantwortliche mehrerer Fondsgesellschaften stehen unter dem Verdacht, gegen Recht und Gesetz verstoßen zu haben. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, dann drohen ihnen mehrere Jahre Gefängnis. Keine schöne Perspektive. Der Fonds bestreitet die Vorwürfe.
Die Fondsbetreiber haben, ebenso wie viele Banker und Börsianer, in großem Stil Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividendenanspruch gehandelt. Das Finanzamt München und das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn sollen mit Tricks und Täuschungsmanövern dazu verleitet worden sein, so der Verdacht, eine nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer mehrmals zu erstatten. Auf diese Weise seien dem Fiskus mal zehn Millionen Euro, mal hundert Millionen Euro und mal andere Beträge abgeluchst worden, glauben die Ermittler, zusammengerechnet fast 350 Millionen Euro. Die Münchner Staatsanwaltschaft bestätigt auf Anfrage, dass ein Cum-Ex-Verfahren laufe, nennt aber wegen des Steuergeheimnisses keine Details. Ein Fonds-Anwalt widerspricht den Vorwürfen. Die Steuer-Erstattungen seien "ohne Rückfragen und Beanstandungen" erfolgt, die Finanzbehörden nicht getäuscht worden.
Einmal zahlen, aber mehrmals abkassieren - kann das legal sein?
Insgesamt soll der deutsche Fiskus bei solchen Geschäften über Jahre hinweg um einen zweistelligen Milliardenbetrag geschädigt worden sein. Der Hypo-Vereinsbank wird vorgeworfen, den Fiskus zusammen mit Partnern um 200 Millionen Euro erleichtert zu haben. Bei der Landesbank Baden-Württemberg sollen es 150 Millionen Euro gewesen sein, bei der HSH Nordbank mehr als 100 Millionen Euro. Alle drei Banken haben die strittigen Beträge bereits ganz oder teilweise an die Finanzbehörden zurückgezahlt. Und nun der neueste, noch größere Fall bei der Staatsanwaltschaft München I. Um was genau es hier geht, ist aus der Cum-Ex-Szene zu erfahren, in der sich Banker, Händler und Anwälte über Ermittlungen in ganz Deutschland auf dem Laufenden halten.
Die Münchner Strafverfolger untersuchen frühere Geschäfte des Kapitalanlagefonds, bei denen fast eine Million Aktien vor allem von Dax-Konzernen gehandelt worden sein sollen. Der Wert der Transaktionen: offenbar mehrere zehn Milliarden Euro. Die betreffenden Fondsgesellschaften sollen eine Bank im Inland und eine im Ausland dazu benutzt haben, über Erstattungsanträge beim Fiskus mit teils falschen, teils unvollständigen Angaben systematisch hohe Gewinne einzustreichen, auf Kosten der Steuerzahler. Eine erst 2012 endgültig geschlossene Gesetzeslücke sei ausgenutzt worden. Dieses Schlupfloch machte es möglich, dass bei sogenannten Leerverkäufen von Aktien und mithilfe ausländischer Banken von Finanzinstituten gleich mehrere Bescheinigungen über "abgeführte Kapitalertragsteuern" ausgestellt wurden, obwohl die Abgabe tatsächlich nur einmal entrichtet worden war.
Das sei in diesem Fall ausgeschlossen, entgegnet ein Fonds-Anwalt. Die Aktiendeals seien unter "völliger Anonymität" beteiligter Händler abgelaufen, der Fonds habe nicht einmal deren Anzahl und Tätigkeit gekannt und auch gar nicht wissen können, ob es sich um Leerverkäufe handele. Das Gesetzesproblem sei im Übrigen dem Bundesfinanzministerium schon 2002 bekannt gewesen und 2007 nur teilweise behoben worden, so der Fonds-Anwalt. Inzwischen streiten andere verdächtige Cum-Ex-Akteure und deren Verteidiger mit Steuerfahndern und Staatsanwälten, ob das Ausnutzen dieser Lücke legal oder illegal gewesen sei. Einzelne Profiteure sagen, das Strafrecht dürfe nicht dazu benutzt werden, politisches Versagen im Nachhinein zu korrigieren.
Ermittler entgegnen, wer eine nur einmal gezahlte Steuer mehrmals zurückverlange und dann auch kassiere, der mache sich strafbar. Solch ein Geschäftsmodell sei genauso illegal wie bei kriminellen Umsatzsteuer-Karussellen. Klären lässt sich das wohl nur in einem Musterprozess, der in Frankfurt ansteht. Die dortige Generalstaatsanwaltschaft untersucht die Causa Hypo-Vereinsbank (HVB). Die HVB war schon Ende 2012 gefilzt worden, das Verfahren ist weit fortgeschritten. 2015 ist mit einer Anklage gegen heutige und frühere HVB-Beschäftigte und weitere Beschuldigte zu rechnen.
Geschäftszweck: Ausnutzen von Steuerlücken
In München sind die Ermittler erst am Anfang. Insider berichten, bei der Durchsuchung der Fondsfirmen seien jede Menge E-Mails, Kontoauszüge, Protokolle, Handelspapiere und vieles mehr konfisziert worden. Das Material werde nach Beweisen für Absprachen zulasten des Fiskus gesichtet. Der Fonds weist via Anwalt alle Vorwürfe zurück. Es habe keine derartigen Absprachen gegeben. Das habe dem Fonds sogar eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestätigt, obwohl solch eine Maßnahme gesetzlich gar nicht vorgeschrieben sei. "Die Geschäfte waren zu jedem Zeitpunkt rechtens." Insofern sei auch keine Rückzahlung an den Fiskus erfolgt oder geplant, "da kein erstattungsfähiger Steuerschaden verursacht wurde".
Wer in diesem Fall recht hat, die Ermittler mit ihrem Verdacht oder die Beschuldigten mit ihren Dementis, bleibt abzuwarten. In manch anderen Verfahren ist die Justiz inzwischen überzeugt, dass bestimmte Cum-Ex-Deals einzig und allein den Zweck hatten, den Fiskus auszunehmen. Zum Beispiel das Landgericht in Ulm, bei dem Deutschlands Drogeriekönig Erwin Müller auf Schadensersatz gegen die Schweizer Bank Sarasin klagt, weil er sich bei einer Kapitalanlage getäuscht sieht. Sarasin habe ihm verschwiegen, woher der versprochene Gewinn habe kommen sollen. Vom Finanzamt eben. Die Sache werde in Deutschland verhandelt, entschied das Landgericht in einem Zwischenurteil und machte deutliche Anmerkungen. Das Geschäftsmodell der von Sarasin vermittelten Kapitalanlage habe letztlich darin bestanden, mit "Cum-Ex-Transaktionen" eine mehrmalige Erstattung einmal abgeführter Steuern zu erreichen.
Es sei darum gegangen, notierte das Landgericht, inzwischen behobene "Fehler der deutschen Steuergesetzgebung" auszunutzen. Das sei ein "Vorgehen zulasten des deutschen Fiskus" gewesen. Sarasin äußert sich dazu nicht. Eines ist aus Sicht der Landgerichts allerdings noch offen: ob solche Geschäfte nun illegal gewesen seien oder nicht.