Cum-Ex-Geschäfte:Bruchlandung für Schweizer Justiz

In Deutschland als Aufklärer gefeiert, in der Schweiz als Wirtschaftsspion angeklagt: Eckart Seith, Rechtsanwalt des Milliardärs Erwin Müller, muss nicht ins Gefängnis. Ihm reicht das nicht.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Sie hatten schon im Gefängnis gesessen, die beiden früheren Bankangestellten, in Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Wirtschaftsspionage. Als sie am Donnerstag erfahren sollten, dass sie nicht wieder in Haft müssen, saßen sie nicht einmal auf der Anklagebank. Nur ihre Anwälte hörten sich an, wie der Richter am Zürcher Bezirksgericht das Urteil gegen die beiden Deutschen verlas, die zusammen mit Eckart Seith angeklagt waren, dem Stuttgarter Rechtsanwalt des Drogerie-Milliardärs Erwin Müller. Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich hatte mehrjährige Gefängnisstrafen für die drei verlangt; sie sah es als erwiesen an, dass sie geheime Dokumente der Privatbank J. Safra Sarasin nach außen getragen haben.

"Wirtschaftlicher Nachrichtendienst", so heißt der Straftatbestand nach Schweizer Recht: In Deutschland als Aufklärer gefeiert im größten Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik, galten Seith und die beiden Ex-Banker der Schweizer Strafjustiz als Spione. Mithilfe der beiden soll sich Seith belastende Unterlagen aus dem Hause Sarasin besorgt haben, um für seinen Mandanten Müller in einem Zivilverfahren Schadenersatz von der Bank zu erstreiten. Der größte deutsche Steuerskandal gegen Schweizer Regeln zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen: Schon die Ermittlungen gegen die drei Männer waren ein Politikum.

Großrazzia wegen Steuerdeals

Beamte der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und der Steuerfahndung haben am Dienstag wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung 19 Wohnungen und Geschäftsräume in mehreren Bundesländern durchsucht. Betroffen waren Objekte in Hessen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Die Ermittlungen richten sich gegen sechs Männer und eine Frau im Alter zwischen 46 und 55 Jahren, allesamt Investoren oder frühere Bankangestellte, die systematisch in die Staatskasse gegriffen haben sollen. Der Steuerschaden beläuft sich nach Angaben der Ermittler auf zusammengerechnet etwa 51 Millionen Euro.

An dem Einsatz waren etwa 170 Steuerfahnder sowie elf Staatsanwälte beteiligt. Hintergrund der Maßnahmen sind sogenannte Cum-Ex-Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag, mit denen Investoren den Fiskus über Jahre um Milliardensummen an Steuern geprellt haben sollen, indem sie sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten ließen. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt in mittlerweile zehn Verfahrenskomplexen und hat im September 2017 eine erste Anklage gegen Verdächtige im Cum-Ex-Skandal vorgelegt, über die am Landgericht Wiesbaden noch nicht entschieden wurde. Jan Willmroth

Nun blieb von den massiven Vorwürfen am Ende nicht viel übrig. Das Gericht sprach Seith und einen der Mitangeklagten vom Vorwurf der Wirtschaftsspionage frei und verhängte Geldstrafen, die aber zur Bewährung ausgesetzt werden. Der dritte Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten auf Bewährung verurteilt nebst einer Geldstrafe, die ebenfalls ausgesetzt wird. Er habe sich der Wirtschaftsspionage schuldig gemacht, weil er ein internes Steuergutachten von Sarasin einem deutschen Journalisten ausgehändigt habe. Für die Staatsanwaltschaft ist dieses Urteil eine herbe Niederlage.

Eine technische Begründung bewahrt ihn vor einer Haftstrafe

Von Genugtuung aber ist Eckhart Seith weit entfernt. Sein Anwalt kündigte noch im Gerichtssaal Berufung an; nötigenfalls, so hatte Seith schon vor Prozessbeginn mitgeteilt, werde er bis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Nach dem Urteilsspruch ließ er seinen Ärger los, sprach von einem "schmutzigen Urteil nach einem schmutzigen Verfahren" und meinte: "An den Angeklagten sollte ein Makel hängen bleiben." Mit fadenscheinigen Begründungen habe das Gericht um einen Freispruch herumkommen wollen, um keine Entschädigung zahlen zu müssen. Im Übrigen sei die Existenz seiner Mitangeklagten zerstört worden.

Mithilfe der beiden Bankangestellten - einer von ihnen leitete seinerzeit die Compliance-Abteilung bei Sarasin - soll Seith widerrechtlich an Unterlagen gelangt sein, welche die Bank belasteten. Das Material machte er sich zunutze, als er den Drogerieunternehmer Erwin Müller vor Gericht vertrat. Als einer von mehreren illustren Sarasin-Kunden hatte Müller in Fonds investiert, die mit mutmaßlich strafbaren Tricks ihre Rendite per Griff in die Staatskasse erwirtschafteten. Solche Fonds, Banken und weitere Akteure ließen sich beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende eine nur einmal gezahlte Steuer mehrmals erstatten. So erzielten sie - bis der Staat 2012 eine gesetzliche Lücke schloss - hohe, risikolose Renditen.

Anwalt Eckart Seith freigesprochen

Eckart Seith (vorn im Bild) nach der Urteilsverkündung am Donnerstag: Der Stuttgarter Rechtsanwalt will weiter kämpfen.

(Foto: Walter Bieri/dpa)

Für Erwin Müller ging das mehrmals gut, bis er bei einem von Sarasin vermittelten Investment sein gesamtes Kapital verlor. Er will nichts vom Geschäftsmodell der Fonds gewusst haben. Mit internen Unterlagen erstritt Seith in einem jahrelangen Verfahren 45 Millionen Euro Schadenersatz von der Bank, erst beim Landgericht Ulm und dann beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart. Die Dokumente leitete er später an die Staatsanwaltschaft Köln weiter und brachte die Ermittlungen im Cum-Ex-Steuerskandal damit entscheidend voran. Die Strafverfolger in Zürich hielten den Weg, auf dem die Dokumente nach Deutschland gelangten, aber für Spionage; das Ganze erinnerte an frühere Verfahren, in denen Bankmitarbeiter Daten über Steuerhinterzieher nach Deutschland verkauft hatten und dafür ins Gefängnis mussten.

Das Urteil gegen Seith passt nicht mehr zu dieser harten Linie. In einer Mitteilung schrieb das Gericht zwar, der Sachverhalt habe sich im Wesentlichen so zugetragen wie angeklagt. "Die Voraussetzungen für den Straftatbestand des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes sind jedoch nicht gegeben", heißt es indes. Der Kläger im deutschen Zivilprozess - also Seith - sei der Endabnehmer der internen Dokumente gewesen. Ausländische Privatpersonen gehörten aber nicht zum Adressatensegment dieses Straftatbestandes. Eine technische Begründung, die Seith nun vor dem Gefängnis bewahrt.

Der Rechtsstreit dürfte mit seiner Berufung allerdings weitergehen, und damit auch die politische Debatte um diesen Fall. Und nicht zuletzt: Die Diskussion der Frage, ob bei den Eidgenossen Banken, die sich zweifelhaft verhalten, immer noch weitaus besser wegkommen als Bankangestellte, die Informationen über Missstände weitergeben oder auch verkaufen.

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