Süddeutsche Zeitung

Crowdinvesting:Das Crowd-Kasino

Beim Crowdinvesting finanzieren Anleger gemeinsam junge Unternehmen. Jetzt erschüttern Millionen-Pleiten den Ruf der Branche - während vermeintlich seriöse Immobilienentwickler das Segment für sich entdecken.

Von Benedikt Müller und Lukas Zdrzalek

Das war's dann wohl. Nach gut zwei Jahren ist die große Vision schon gestorben, die drei junge Männer mit so viel Kraft zum Leben erweckt hatten. Martin Trink, Christoph Bauer und Usama Assi haben mit ihrem Start-up Freygeist ein elektrisch angetriebenes Fahrrad entwickelt, das leichter und schicker als bisherige E-Bikes ist. Drei junge Männer und ihr Frontalangriff auf eine gesamte Branche, 1,5 Millionen Euro hatten sie für ihren großen Plan bei gut 1000 Kleinanlegern eingesammelt. Fotos im Internet zeigen Trink, Bauer und Assi, sportliche, adrette Männer, wie sie lächelnd auf Fahrrädern strampeln. Inzwischen dürfte den drei Unternehmern und den Anlegern das Lachen vergangen sein: Vor Kurzem hat Freygeist Insolvenz angemeldet. Jetzt steht das Geld der Anleger auf dem Spiel - und der Ruf einer ganzen Anlageklasse.

Die Rede ist von Crowdinvesting, Schwarmfinanzierung, wenn sich Anleger im Internet zusammenschließen und ein Start-up wie Freygeist finanzieren. Seit gut fünf Jahren können deutsche Investoren ihr Geld in solche Gemeinschaftsprojekte stecken. Die Idee begeisterte viele: Crowdinvestments sollten die Start-up-Welt demokratisieren, die lange Zeit nur Großinvestoren offenstand. Nun sollten auch private Anleger von dem plötzlichem Reichtum erfolgreicher Gründer profitieren können. So wie jene, die sie sich in einer früher Phase Anteile an Facebook oder Google gesichert haben und dadurch zu Millionären wurden. Zu erzählen, wie sie die Welt revolutionieren werden und wie David gegen Goliath gewinnen kann, darin sind viele Gründer besonders gut.

Rund 150 Millionen Euro konnten Crowd-Projekte bisher anlocken. In den nächsten Jahrzehnten könnte der Markt sogar auf eine Milliarde Euro anwachsen, schätzt eine Studie im Auftrag des Bundesfinanzministeriums. Der Haken daran ist: das Misstrauen der Anleger wächst. Freygeist ist die größte Pleite bisher und die zweite Millioneninsolvenz binnen kürzester Zeit, zuvor waren bereits kleinere Projekte insolvent gegangen. "Wir rechnen vermehrt mit Beschwerden und Anfragen, ob und wie Kleinsparer ihr Geld wiederbekommen" sagt der hessische Verbraucherschützer Wolf Brandes.

Zu viele Pleiten

Statt über die Pleite-Firma Freygeist redet die Crowdinvestment-Branche lieber über Fälle wie den des Unternehmens "5 Cups and some sugar". Das Berliner Start-up sammelte 2013 die stolze Summe von 300 000 Euro über Companisto ein, eine von mehreren Crowdfunding-Plattformen im Internet. Dort können sich die jungen Firmen potenziellen Anlegern vorstellen, "5 Cups and some sugar" etwa stellt Teesorten nach Kundenwünschen zusammen. 2015 kaufte das Start-up die Crowd-Anteile für rund 450 000 Euro von den Anlegern zurück. Die Kleinsparer erzielten so einen Gewinn von rund 50 Prozent. Aber selbst diese hohe Rendite reicht nicht, um Verluste bei anderen Projekten auszugleichen.

Bei Start-ups ist die Gefahr der Insolvenz viel größer als bei etablierten Konzernen. Häufig ist das Geschäftsmodell nicht ausgereift, allzu oft gibt es zwischen den unerfahrenen Chefs Streit, so wie offenbar beim Fahrrad-Start-up Freygeist. So rechnen professionelle Investoren damit, dass von zehn Start-ups zwischen sechs bis acht pleitegehen. Investiert ein Anleger beispielsweise 1000 Euro zu gleichen Teilen in zehn Start-ups und gehen sechs insolvent, dann müssten die restlichen vier Start-ups jeweils 150 Prozent Rendite erzielen - sonst erhält ein Anleger nicht mal seinen Einsatz wieder. Bei acht insolventen Firmen müssen die verbleibenden zwei jeweils 400 Prozent Gewinn erzielen. "Selbst mancher Profi-Investor hat in Deutschland Schwierigkeiten, diese Renditen zu erzielen", sagt Peter Barkow, Unternehmensberater und Kenner der Branche.

Die Schwachstellen finden

Es erscheint unwahrscheinlich, dass Kleinsparer besser abschneiden als Profi-Investoren. Diese Geldgeber prüfen ein Start-up teilweise monatelang, bevor sie investieren, analysieren den Markt, checken die Bilanz. "Dadurch erkennen sie mögliche Schwachstellen viel eher als Laien", sagt Barkow. Kleinanleger haben in der Regel gar nicht die Zeit, sich so intensiv mit den jungen Firmen auseinanderzusetzen. Ein zusätzliches Risiko für Anleger ist: Crowdinvestments sind häufig Nachrangdarlehen. Geht die Firma pleite, sind die Schwarmanleger die letzten, die Geld aus dem Firmenvermögen erhalten - falls überhaupt noch etwas da ist, nachdem sich Kreditgeber wie Banken schon bedient haben. Crowd-Investitionen eignen sich deshalb nicht, um Vermögen aufzubauen, sagt Wolf Brandes, der bei der Verbraucherzentrale Hessen für das Marktwächter-Netzwerk arbeitet. "Anleger sollten nur Spielgeld investieren." Geld, mit dem Sparer nichts anzufangen wissen - und bei dem es sie keine Sekunde lang schmerzt, wenn sie es wie im Kasino verzocken.

Jetzt kommen die Häuslebauer

Unterdessen wandelt sich die Crowd-Branche: Immer mehr Immobilienprojekte werben auf den Schwarm-Plattformen um Anlegergelder. Mal geht es etwa um den Neubau eines Studentenwohnheims einer privaten Hochschule. Ein anderes Mal um die Sanierung eines Luxushotels an der holsteinischen Ostseeküste. Was soll da schon schiefgehen, fragen sich so manche Sparer, denen Immobilien als absolut sicher erscheinen, diese zum Betongold hochstilisierte Anlageklasse.

Crowdinvesting-Plattformen berichten, dass sie im vergangenen Jahr gut 36 Millionen Euro bei Schwarmanlegern eingesammelt haben, die nun den Neubau oder Umbau von Gebäuden finanzieren. Damit sind Immobilien-Crowdinvestments gegenüber 2015 um 60 Prozent gestiegen. "Gerade im vergangenen Jahr hat dieses Geschäftsmodell einen Boom erlebt", sagt Frank Noé, Geschäftsführer der Crowdfunding-Firma Zinsbaustein.

Über seine Plattform oder Wettbewerber wie Exporo oder iFunded können Sparer bis zu 10 000 Euro in einzelne Immobilienprojekte investieren. Das Geld ist für etwa zwei Jahre fest gebunden. Danach bekommen die Anleger ihr Investment zurück, samt fünf Prozent Zinsen oder mehr. Das klingt verlockend in Zeiten niedrigster Sparzinsen, birgt aber entsprechende Risiken: Wenn sich der Bau verzögert, kommen die Anleger später an ihr Geld. Und bringen die fertigen Gebäude doch nicht so viel ein wie erhofft, könnte der Schwarm leer ausgehen. "Anleger beteiligen sich direkt an dem unternehmerischen Risiko", sagt Maximilian Degenhart, Rechtsanwalt der Münchner Kanzlei Beiten Burkhardt, "und zwar überproportional, weil sie ihr Geld als Nachrangdarlehen verleihen."

Der Grund für den Immobilien-Boom im Crowdfunding ist simpel: Früher waren Projektentwickler es gewohnt, dass sie etwa zehn Prozent der Baukosten als Eigenkapital mitbrachten, die restlichen 90 Prozent gab die Bank als Kredit. Doch in den vergangenen Jahren sind Grundstückspreise und Baukosten gestiegen, zudem verlangen die Banken mehr Eigenkapital. Wenn die Kreditinstitute nur noch 80 Prozent Fremdkapital anbieten, der Projektentwickler aber keine 20 Prozent Eigenkapital aufbringen kann oder will, kann der Schwarm die Lücke mit Nachrangdarlehen füllen, die als Eigenkapital gelten.

"Für Projektentwickler hat die Schwarmfinanzierung große Vorteile", sagt Anwalt Degenhart. Sie machten sich unabhängiger von den Banken. "Zudem ist die Crowd anonym und aufgrund des Nachrangdarlehens ohne jegliche Mitspracherechte." Darüber hinaus sei die Schwarmfinanzierung ein geschicktes Marketinginstrument: Anleger werden auf die Neubauprojekte aufmerksam, beispielsweise in der eigenen Umgebung, erzählen ihren Bekannten davon - oder kaufen sogar selbst.

Wenn die Blase platzt

Ob viele Anleger von der Schwarm-Baufinanzierung profitieren werden, ist unklar. Im aktuellen Boom, da viele Menschen Immobilien kaufen und neue Wohnungen in den Ballungszentren gebraucht werden, hat die Crowd-Branche viele Erfolgsgeschichten zu erzählen. Über die Plattform Exporo etwa haben Schwarm-Anleger die Kernsanierung einer alten Villa in Leipzig mitfinanziert. Sie sollten 5,5 Prozent Zinsen pro Jahr bekommen, 18 Monate sollte das Projekt dauern. Doch schon nach neun Monaten waren die neuen Wohnungen fertig verkauft, die Crowd bekam die volle Rendite - viel früher als gedacht. Doch sobald die Stimmung auf dem Immobilienmarkt kippt, sobald ein Neubau weniger Geld einbringt als erwartet, drohen den Anlegern Totalausfälle.

Ratschläge für Anleger

Experten raten Sparern grundsätzlich dazu, ihr Vermögen breit zu streuen, um das Risiko eines Verlusts zu verringern. Den Großteil der Ersparnisse sollte man deshalb in Anleihen- und Aktienfonds anlegen. Immobilien-Investments können einen kleineren Teil ausmachen. Gleichsam sollten Sparer mit dem nötigen Spielgeld in mehrere Crowd-Projekte investieren. Wer risikoloser im Immobiliensektor anlegen will, kann sein Geld in bestehende offene Immobilienfonds stecken, die das Geld von Anfang an über mehrere Projekte hinweg verteilen.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2017
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