Süddeutsche Zeitung

Crowdfunding:Geld aus vielen Töpfen

Trotz niedriger Zinsen etabliert sich die Schwarmfinanzierung bei kleinen Betrieben als Finanzierungsmodell.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Als Thomas Michel, Eigentümer der Edelmond Chocolatiers, letztes Frühjahr die Vorbestellungen für das Herbst- und Weihnachtsgeschäft sichtete, war ihm eines rasch klar. Diesen Auftragsbestand würde der Brandenburger Familienbetrieb nur mit einer deutlichen Produktionsausweitung stemmen können. Das Kapital für den benötigten 70 000 Euro teuren Kühltunnel zur Endfertigung der Bioschokolade wollte er bei der Hausbank aufnehmen. "Die Bank hat zwar klar Ja gesagt, mir aber eine endgültige Entscheidung erst in sechs bis acht Wochen in Aussicht gestellt", sagt Michel. Zeit, die er und seine neun Mitarbeiter angesichts der sechswöchigen Lieferdauer der Maschine nicht hatten. Im Internet machte der Unternehmer sich auf die Suche nach Alternativen. "Crowdfunding war mir ein Begriff. Ich dachte, da schaust du mal und schickst ein paar Mails raus. Meine Erwartungshaltung war nicht groß", sagt Michel. Zwei Tage später kam ein Anruf der Kreditplattform Funding Circle mit der Zusage.

Die Crowd kann Finanzierungen möglich machen, wenn Banken zaudern

Crowdfunding, zu Deutsch Schwarmfinanzierung, etabliert sich zunehmend. Wobei Crowdfunding als Überbegriff für sämtliche Schwarmfinanzierungsformen gilt. Wird Kapital durch eine Vielzahl privater Geldgeber über eine Plattform in Firmen investiert, spricht man von Crowdinvesting. "Wir sehen hier steigende Volumina, die sich aber im Vergleich zu den Bankfinanzierungen auf einem niedrigen Niveau bewegen. Letztlich wird sich der Erfolg dieser Plattformen erst in den kommenden Jahren zeigen, wenn vermehrt Engagements auslaufen", sagt Cornelia Schulz, Sprecherin des Bundesverbands der Volksbanken und Raiffeisenbanken.

Deutschlandweit betrug 2017 die Kreditvergabe an Firmen durch den Schwarm 200 Millionen Euro. Zum Vergleich, das Neugeschäft der Banken lag bei 885,73 Milliarden Euro. Bis März haben Fintechs wie Kapilendo, Lendico oder Funding Circle bereits 53 Millionen Euro vergeben, trotz billigem Geld von Banken und guter Eigenkapitalausstattung der Betriebe. "Ein Unternehmen mit 30 Millionen Euro Umsatz hat in Deutschland kein Problem mit Finanzierungen. Der Finanzvorstand macht die Tür auf, und zehn Banker spazieren hinein, die ihre Geldkoffer gleich mitbringen", sagt Thorsten Seeger, Geschäftsführer von Funding Circle Deutschland. Bei Kleinbetrieben schaue es hingegen anders aus. Kredite unter 100 000 Euro seien aufgrund der Kapitalanforderungen der Banken bereits ab einem Euro Bearbeitungskosten unprofitabel. Ohne entsprechende Sicherheiten gibt es kein Kapital. Chocolatier Michel blieb der Grundschuldeintrag auf die Immobilie samt Notariatskosten durch das Schwarmdarlehen erspart.

"Der Schwarm ist empathisch und emotional involviert, im Unterschied zur Bank, die das Geschäft rein nach ihren Finanzkennzahlen beurteilt", sagt Michael Gebert, Berater und Vorsitzender des Crowdsourcing-Verbandes. Statt Diskretion suchen die Kapitalwerber mit den Projekten die Öffentlichkeit. Plattformen wie Companisto, Kapilendo, Funding Circle und Lendico stellen nach Prüfung der Bonität und Investition kurze Porträts und Filme ins Netz, um eine Beziehung zwischen Anleger und Unternehmen herzustellen. Ganz ohne Eigenmittel läuft eine Kampagne meist nicht. "Es ist unter Start-ups ein weit verbreiteter Irrtum, dass ich mit Crowdfunding viel Geld bekomme, ohne selbst Geld zu investieren. Die Vorbereitung einer guten Kampagne dauert mehrere Monate und bedarf einer Infrastruktur für PR und Social-Media-Strategie", sagt Gebert.

Um Gründer dabei zu unterstützen, hat die Stadt München als erste Kommune eine Crowdfunding-Förderung aufgelegt. Planungssicherheit durch schnellen Kapitalzugang ist, wie das Beispiel der Schoko-Manufaktur zeigt, der große Wettbewerbsvorteil. Das Geld für die Kühlmaschine hatte Michel binnen Wochenfrist nach der Vertragsunterzeichnung auf dem Konto. Insgesamt 96 private Anleger aus ganz Deutschland haben dem Luckauer Betrieb mit 540 000 Euro Umsatz den Kredit mit fünf Jahren Laufzeit finanziert. Diesen zahlt Michel, der die Kakaobohnen selbst von einer Fair-Trade-Farm in der Dominikanischen Republik importiert, lieber mehr "als einer großen Bank, bei der das Geld in irgendwelchen Töpfen auf der Welt landet".

Und das war auch nötig, denn Schwarm-finanzierungen sind deutlich teurer als Bankkredite. Für Letztere lag der Preis bis einer Million Euro laut Banken-Bundesverband Ende 2017 im kurzfristigen Bereich bei 2,5 Prozent und langfristig bei 1,8 Prozent. "Im Vergleich zu Hypothekendarlehen sind unsere linear amortisierenden Ratenkredite deutlich teurer, zu einem Kontokorrentkredit sind unsere Preise aber durchaus vergleichbar", sagt Ex-Banker Seeger. Aus den Firmendaten berechnet Funding Circle die Kreditausfallswahrscheinlichkeit und die Finanzierungskosten. Der durchschnittliche Zinssatz liegt bei neun Prozent. "Ohne den Kühltunnel hätten wir das Weihnachtsgeschäft nicht bedienen können und auf rund 80 000 Euro Umsatz verzichtet. Das muss man auch mit dem höheren Zinssatz gegenrechnen", so Michel. Eine Kalkulation, die bei planbarem Geldfluss wie der Auftrags- und Warenvorfinanzierung aufgehen kann, als Kontokorrent-Ersatz ist Schwarmkapital ungeeignet.

Experten raten, die Finanziers als Ergänzung zu sehen. "Crowdinvesting als einzige Finanzierungsquelle zu nutzen, ist schlichtweg zu teuer. Gerade in der aktuellen Zinslage empfehle ich Firmen eine Mixtur aus neuen und alten Finanzierungsformen. Mit Kapital aus dem Schwarm können Betriebe wieder gestärkt zur Bank gehen", sagt Gebert. Eine gute Richtgröße der Kalkulation: Das Schwarmkapital soll den direkten Projektkosten entsprechen.

Schlimmstenfalls hat der Unternehmer einen Imageverlust und steht ohne Kapital da

Geld gibt es bei einigen Plattformen nur, wenn die Zielsumme erreicht wird. Daher ist die Auswahl des Partners entscheidend. "Die Schwarmfinanzierung ist letztlich auch nicht für jeden Bedarf zielführend, da am Anfang der Kapitalsammlung über eine Plattform meist nicht absehbar ist, ob das gewünschte Finanzierungsvolumen zustande kommt", sagt Schulz. Schlimmstenfalls steht der Unternehmer mit Kapitalengpass sowie Zeit- und Imageverlust da. "Sollte es passieren, dass eine Kreditsumme über den Privatanlegermarkt nicht erreicht wurde, wird sie durch institutionelle Investoren aufgestockt", sagt Seeger, der im März zehn Millionen Euro ausreichte. Unter den Anlegern sind auch Banken, die ihr Kapital gewinnbringend anlegen wollen.

Edelmond ist in seinem Umfeld Vorreiter. "Die Kleinbetriebe in meinem Bekanntenkreis konnten gar nicht glauben, dass die Finanzierung wirklich klappt. Sie gehen eigentlich immer den langwierigen Weg über die Hausbank", sagt Michel.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2018
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