Dass sich große Mischkonzerne aufspalten oder einzelne Sparten an die Börse bringen, entspricht einem Zeitgeist in der Wirtschaft: Wenn sich Unternehmen auf wenige Kerngeschäfte fokussieren, so der Gedanke, dann können sie schneller auf Probleme reagieren und sich ganz auf ihre Kunden und Investoren konzentrieren. Das klassische Konglomerat mit vielen verschiedenen Geschäften gerät hingegen zusehends aus der Mode.
Kaum ein Dax-Konzern hat diese Idee so radikal umgesetzt wie Bayer: Dass der Chemieriese seine schwankungsanfällige Kunststoffsparte in die eigenständige Firma Covestro ausgelagert und 2015 an die Börse gebracht hat, gilt bislang als die erfolgreichste Unternehmensabspaltung, die Deutschland in jüngster Zeit gesehen hat. Covestro ist vor knapp einem Jahr selbst in den führenden Aktienindex Dax aufgestiegen, der Börsenkurs hatte sich zwischenzeitlich mehr als verdreifacht.
Doch nun ist der Überschwang des Anfangs verflogen in Leverkusen: Covestro kann einige Produkte nicht mehr so teuer verkaufen wie zuletzt, der Betriebsgewinn ist im vergangenen Jahr um knapp sieben Prozent zurückgegangen, auf immer noch stattliche 3,2 Milliarden Euro. Doch für dieses Jahr prognostiziert der Konzern nur noch einen Gewinn von 1,5 bis zwei Milliarden Euro vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen - ein gehöriger Einbruch. An der Börse ist Covestro nur noch halb so viel wert wie vor einem Jahr, auch am Montag gab die Aktie nach.
Konkurrenten eröffnen neue Fabriken, die Nachfrage der Autoindustrie war zuletzt schwach
All das zeigt, dass dieses junge Unternehmen tatsächlich auf gehörig schwankenden Märkten unterwegs ist - und dass der einstige Mutterkonzern Bayer seine Covestro-Aktien zu sehr geschickten Zeiten verkauft hat: Bayer nahm mit der sukzessiven Trennung von der Kunststofftochter nach eigenen Angaben etwa 4,5 Milliarden Euro mehr ein als erwartet. Wenn die Weltwirtschaft nun etwas schwächer wächst als zuvor, dann bekommt das ein Werkstoffkonzern wie Covestro vergleichsweise früh zu spüren.
Das Unternehmen stellt zum einen feste Kunststoffe her, die beispielsweise in der Hülle von Autoscheinwerfern oder in Tennisschlägern stecken. Die Nachfrage nach solchen Leichtbauteilen steigt seit einigen Jahren. Doch ist der Wettbewerb nun intensiver geworden, auch Konkurrenten eröffnen neue Fabriken. Zum anderen produziert Covestro Schaumstoff-Vorprodukte, die etwa in Matratzen oder Autositzen Verwendung finden. In diesem Segment ist der Betriebsgewinn bereits im vergangenen Jahr zurückgegangen, da der Wettbewerb in Europa und Asien schärfer wird. Ferner stellt Covestro auch Lacke, Klebstoffe und einige Spezialchemikalien her.
"Die vergangenen beiden Jahre waren von außergewöhnlich hohen Margen geprägt", sagt Thomas Toepfer, seit knapp einem Jahr Finanzvorstand. Sie reden in Leverkusen gern von einer Welle, auf der man da geritten sei. Im vergangenen Sommer korrigierte der Konzern noch die Gewinnprognose nach oben. Doch just dann begannen die Probleme: Rohstoffe wurden teurer, Währungskurse standen ungünstig. Und wegen des niedrigen Rheinpegels musste Covestro eingespielte Lieferwege teuer umdisponieren.
"Im vierten Quartal hat sich die Marktlage geändert", sagt Vorstandschef Markus Steilemann. Da sei eben nicht nur die Konkurrenz härter geworden. Auch die Autoindustrie, wichtigste Kundengruppe von Covestro, habe weniger Kunststoffe nachgefragt; hiesige Hersteller kämpften etwa mit den Folgen strengerer Abgas-Messregeln. Grundsätzlich sei die Nachfrage nach den Kunststoffen der Leverkusener aber ungebrochen. "Wir halten das Jahr 2019 für einen Übergangszustand", sagt Steilemann. Der promovierte Chemiker aus dem Rheinland ist im vergangenen Juni an die Vorstandsspitze gerückt.
Trotz aller Unwägbarkeiten will Covestro den Aktionären in diesem Jahr eine Dividende von 2,40 Euro je Anteilsschein ausschütten, nach 2,20 Euro im Vorjahr. Auch will das Unternehmen mehr Geld in Wachstum investieren. Und Zukäufe seien "ein wichtiger Punkt" im laufenden Jahr, kündigt Finanzvorstand Toepfer an. "Wir suchen nach Opportunitäten." Gefragt seien Übernahmen, die Covestro weniger schwankungsanfällig machten. "Da reden wir eher über kleinere bis mittlere Akquisitionen", sagt Toepfer. Wobei es den neuen Männern an der Spitze wichtiger sei, den richtigen Zukauf zu finden, als möglichst flink mit irgendeinem Deal aufzuwarten.

Zudem wollen die Leverkusener, etwa in ihrer Verwaltungszentrale, ein paar der sprichwörtlichen Zöpfe abschneiden, die sie als Teil des großen Bayer-Konzerns geerbt haben. Covestro hat schon im Herbst angekündigt, dass die jährlichen Kosten bis 2021 um 350 Millionen Euro sinken sollen. Im Zuge dessen will das Unternehmen etwa 900 Stellen weltweit abbauen - nach eigenem Bekunden durch "sozialverträgliche Lösungen". Insgesamt hat Covestro knapp 17 000 Beschäftigte.
Unterdessen folgen immer mehr Konzerne hierzulande dem Zeitgeist der Fokussierung. So hat Siemens die Medizintechnik-Sparte unter dem Namen Healthineers an die Börse gebracht. Auch Deutschlands größte Energiekonzerne teilen ihre Geschäfte in diesem Jahr neu unter sich auf: Während RWE sich ganz auf Kraftwerke konzentrieren will, beschränkt sich Eon künftig auf das Geschäft mit Netzen, Strom- und Gaskunden. Und neuerdings tüftelt auch Thyssenkrupp daran, sich in zwei unabhängige Firmen zu zerteilen. Sie alle setzen auf das, was man bei Covestro "Power of Focus" nennt: ein spezialisiertes Unternehmen zu sein, das nicht von einer großen Konzernzentrale über sich abhängig ist.