Covestro:"Super-Plastik" aus Franken

Klingt wie Metall, ist aber ein neuer Kunststoff: Der Chemiekonzern Covestro startet die Massenproduktion eines Werkstoffs, der Laptops und Autos leichter machen soll.

Von Benedikt Müller, Leverkusen

Patrick Thomas schnipst mit dem Finger gegen den grauen Kunststoff. Doch es hört sich an, als hätte er eine kleine Glocke geläutet. "Der neue Werkstoff klingt wie Metall, ist aber deutlich leichter", sagt der Chef der Chemiefirma Covestro. "Und er übertrifft Aluminium in seiner Leistungsfähigkeit." In seinen Händen hält Thomas ein Stück CFRTP: eine Kombination aus vielen kleinen Karbonfasern und dem Kunststoff Polycarbonat. Covestro bringt dieses neue "Super-Plastik" weltweit als einziger Hersteller auf den Markt. Damit tritt die frühere Bayer-Tochter an, Laptops und Smartphones, aber auch Autoteile oder Rennräder in Zukunft noch leichter zu machen.

Den neuen Werkstoff wird Covestro aus Markt Bibart in die Welt liefern, einer 2000-Seelen-Gemeinde zwischen Würzburg und Nürnberg. Dort in Franken hatte die frühere Bayer-Kunststoffsparte vor drei Jahren die Firma "Thermoplast Composite" übernommen - mitsamt zehn Beschäftigten, die den Werkstoff erfunden und die Patente angemeldet hatten. Am 8. März soll die Massenproduktion in Markt Bibart anlaufen - mit 50 Beschäftigten, wie Covestro-Chef Patrick Thomas ankündigt. Mittelfristig seien 70 Arbeitsplätze in der neuen Fabrik geplant.

Die Neuentwicklung zeigt beispielhaft, von welchem Trend die frühere Bayer-Tochter profitiert: Nicht nur die Elektronik-Industrie fragt Kunststoffe nach, die gut aussehen und dennoch robust sein sollen. Auch Autohersteller ersetzen immer mehr schwere Stahlteile durch leichtere Kunststoffe. Denn vor allem Elektroautos kommen mit einer Batterie-Ladung umso weiter, je leichter die Karosserie ist. Auch deshalb sind Covestros Werke derzeit nahezu voll ausgelastet. Das M-Dax-Unternehmen erwirtschaftet etwa ein Viertel seines Umsatzes mit Polycarbonaten. Diese festen Kunststoffe stecken nicht nur in Laptops und Autoteilen, sondern etwa auch in Brillengläsern oder Tennisschlägern.

Bayer Cross,Covestro

Am Stammsitz Leverkusen haben sich Bayer und Covestro zweigeteilt, bleiben aber Nachbarn. Nun gilt die frühere Kunststoff-Tochter selbst als Dax-Kandidat.

(Foto: OH)

In sein neues Produkt CFRTP hat das Leverkusener Unternehmen einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investiert. Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Seit einem halben Jahr verkauft Covestro Pilot-Produkte. "Mehrere Elektronik-Hersteller verwenden den Werkstoff bereits", sagt Thomas. Das robuste Material umfasst nun etwa Militär-Notebooks. "Laptop-Gehäuse können damit 15 Prozent leichter hergestellt werden als bislang", sagt der Covestro-Chef. "Das ist in der Industrie sehr gefragt." Bald könnte der neue Werkstoff auch Smartphones und Notebooks privater Nutzer umhüllen. Bisher sind hierfür beispielsweise Legierungen aus Magnesium und Aluminium üblich.

Die Geschichte des Unternehmens Covestro zeigt, wie erfolgreich Aufspaltungen sein können. Der Pharma- und Chemiekonzern Bayer hat seine Kunststoff-Tochter im Jahr 2015 als eigenständiges Unternehmen an die Börse gebracht, für 24 Euro je Aktie. Heute ist Covestro mehr als dreimal so viel wert . Analysten nennen das Unternehmen derzeit als aussichtsreichsten Kandidaten, im Sommer in den Dax aufzusteigen, den Index der 30 größten börsennotierten Konzerne in Deutschland. Diese Chance treibt den Kurs weiter in die Höhe, weil viele Anleger gezielt in Firmen investieren, die in einem Index wie dem Dax vertreten sind.

Zwar sind Spaltungspläne oft umstritten, zumal sich Bayer mit seiner Kunststoff-Sparte von einem jahrzehntelangen Geschäft getrennt hat. Auch haben hundert Beschäftigte die Spaltung über viele Monate vorbereitet; das kostet viel Geld. Doch Bayer ist dem Zeitgeist gefolgt, wonach sich Unternehmen lieber auf ein Kerngeschäft spezialisieren sollten, als einen sogenannten Gemischtwarenladen zu betreiben. Bereits im Jahr 2004 gliederte der Konzern Chemiegeschäfte in die Tochter Lanxess aus, sodass sich Bayer heute auf Gesundheit und Pflanzenschutz konzentriert. Viele Konzerne folgen dem Trend. Demnächst will etwa die Deutsche Bank ihre Vermögensverwaltung an die Börse bringen, Siemens seine Gesundheitstechnik.

WIR

Derzeit hält Bayer noch 14 Prozent der Aktien seiner früheren Kunststoff-Tochter. Mittelfristig will der Konzern aber sämtliche Anteile verkaufen. "Wir freuen uns, wie super Covestro sich entwickelt hat", sagte Bayer-Chef Werner Baumann am Dienstag bei der Bilanzvorlage. Dank des gestiegenen Kurses hat der Dax-Konzern mit dem Verkauf der Anteile vier Milliarden Euro mehr eingenommen als erwartet. Bayer kann das Geld gut gebrauchen, um die geplante Übernahme des Saatgutherstellers Monsanto zu finanzieren.

"Es ist uns gelungen, das Potenzial von Covestro immer mehr freizusetzen", sagte Vorstandschef Thomas bei seiner Bilanzvorlage im Februar. Das Unternehmen muss beispielsweise, wenn es investieren will, nicht mehr um das nötige Geld des Mutterkonzerns betteln. Zudem sitzen Covestro nun Investoren gegenüber, die sich gezielt für die Geschäfte der Leverkusener Firma interessieren. Neben den festen Polycarbonaten sind das vor allem Schaumstoffe, die zum Beispiel in Matratzen und Autositzen stecken oder Gebäude dämmen. Zudem stellt Covestro Beschichtungen und Klebstoffe her.

Für das "Super-Plastik" CFRTP setzt Thomas nun auf weitere Auftraggeber, auch jenseits der Elektronik-Branche. "Unser neuer Werkstoff eröffnet der Autoindustrie eine neue Möglichkeit, das Gewicht zu reduzieren", sagt der Brite. "Erste Hersteller experimentieren bereits damit." Innerhalb der nächsten drei Jahre könnte die Kombination aus Plastik und Karbon-faser erste Autoteile aus Stahl ersetzen, hofft Thomas. Der Vorstandschef könnte sich - neben Markt Bibart - demnächst auch ein CFRTP-Werk in China vorstellen. Denkbar sei auch, dass Covestro eines Tages anderen Herstellern Lizenzen für die Entwicklung aus dem Frankenland erteile.

Der neue Werkstoff klingt übrigens nicht nur wie Metall, er fühlt sich auch ähnlich kalt an. Das ist in der Elektronik-Industrie wichtig, seitdem vor allem Apple mit seinen Aluminium-Gehäusen die Nutzer hochwertiger Smartphones und Tablets hieran gewöhnt hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: