Nun auch Evonik. Am Freitag kündigte Europas größter Spezialchemiekonzern an, Geschäftsbereiche zu verkaufen, in denen 5000 der 32 000 Beschäftigten weltweit arbeiten. Bereits im Frühjahr hatte das M-Dax-Mitglied aus Essen mitgeteilt, bis Ende 2026 2000 Jobs streichen zu wollen, davon 1500 in Deutschland. Was Evonik macht, ist symptomatisch für die ganze Chemieindustrie. Der Wandel von Industriezweigen verläuft nicht linear, sondern in Schüben. Solch einen erlebt gerade die Chemieindustrie, ausgelöst durch den Angriff Russlands auf die Ukraine, weil Energie seitdem nicht mehr so billig ist wie früher. Firmen legen Anlagen still, verlagern Produktion, es gibt Insolvenzen. Die gesamte deutsche Industrie befinde sich in einer „schweren Rezession“, sagte Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), am Freitag auf der Jahrespressekonferenz der Lobbygruppe in Frankfurt. Er fordert Reformen. „Wir können uns als Land keinen kollektiven Burn-out leisten.“ Für Steilemann läuft die Deindustrialisierung in Deutschland bereits. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie schrumpfe wie „ein Bratapfel im Ofen“. Erste Anlagen seien dauerhaft geschlossen worden, weitere würden folgen. „Jedem sollte klar sein: Was weg ist, ist weg.“ Noch sei die Beschäftigungslage stabil, einen Stellenabbau schließt Steilemann aber nicht aus. Manches, worüber Firmenchefs schon lange klagen, etwa die Lasten der Bürokratie, wiege jetzt schwerer. „Eine hyperaktive EU-Kommission reguliert Europa in den Stillstand“, sagt Steilemann. Die Politik rede zwar von Entlastung. In der Realität nehme diese jedoch zu. Es sei ja schon fast kabarettistisch, dass für die Bürokratieentlastung ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz geschaffen werde. Für die Chemie- und Pharmaindustrie nähere sich ein weiteres schwieriges Jahr dem Ende. Schon Mitte November hat der VCI seine Prognose für 2024 nach unten revidiert. Statt eines leichten Wachstums prognostizierte er beim Umsatz ein Minus von zwei Prozent auf 221 Milliarden Euro. 2025 werde der Umsatz insgesamt stagnieren und die Produktion um ein halbes Prozent zulegen, erwartet Steilemann: „Aufträge waren in diesem Jahr Mangelware, und sie fehlen weiterhin.“
Deindustrialisierung:Sparen in der Chemieindustrie: „Was weg ist, ist weg“
Lesezeit: 4 Min.
Die Chemieindustrie steckt in einer tiefen Krise: Anlagen werden dauerhaft stillgelegt, Jobs abgebaut. Es gibt Übernahmen, Insolvenzen und Sparprogramme – so wie bei Evonik.
Von Michael Bauchmüller, Elisabeth Dostert und Björn Finke, München/Düsseldorf/Frankfurt
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Das M-Dax-Mitglied streicht Jobs, verkauft Sparten – und befördert Frauen in Top-Jobs. Für den Welthandel sieht der Firmenchef schwarz.
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