Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Wie die Warenversorgung gesichert werden soll

Politiker und Konzerne halten in der Corona-Krise vor allem den Transport für bedeutsam. Es darf zu keinem Stillstand auf Straßen, Schienen oder in der Luft kommen.

Von Markus Balser, Berlin

Selbst im größten deutschen Staatskonzern mit 300 000 Beschäftigten ist es ein einsamer Kampf geworden, die Dinge am Laufen zu halten. Sigrid Nikutta, die Chefin der Gütertochter der Deutschen Bahn, ist in diesen Tagen oft fast allein im Büro. In der Berliner Bahn-Zentrale am Potsdamer Platz greifen die Corona-Sicherheitsmaßnahmen. Die Mitarbeiter sollen sich seltener persönlich begegnen und auf Distanz bleiben. Viele arbeiten aus dem Home-Office, oder wenigstens in getrennten Teams.

Wenn Nikutta über die Züge spricht, klingt das trotzdem fast noch nach Normalverkehr. Vergangene Woche seien 2500 Züge am Tag unterwegs gewesen. Kaum weniger als sonst. Anders als auf der Straße habe es auf der Schiene auch im grenzüberschreitenden Verkehr nur wenige Einschränkungen gegeben. "Die Lokführer brauchen einige Papiere mehr. An der Grenze am Brenner und in Chiasso müssen die Loks gewechselt werden", sagt Nikutta. "Aber der Verkehr ist stabil."

Doch viele in Politik und Wirtschaft fragen sich: Wie lange noch? In Brüssel mahnte am Montag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in ganz Europa habe die Verbreitung des Virus' den Transport verlangsamt, teilweise sei er gar zum Erliegen gekommen. Das könne die Lieferung wichtiger Güter verzögern, warnte von der Leyen und mahnte: "Die wichtigsten Achsen sollten frei sein."

Das forderte am Montag auch der Logistik-Branchenverband BVL. Allerdings sieht man in der Wirtschaft noch ganz andere Probleme. Etwa, dass viele Lkw-Fahrer aus Osteuropa schlechter zum Arbeitsplatz kommen, dass wichtige Mitarbeiter in der Logistik oder bei der Bahn gleichzeitig erkranken könnten und gesunde, die unterwegs sind, keine Hotels mehr finden.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) macht deutlich, dass er alles daran setze, Stillstand zu verhindern. Er spreche ständig mit den Akteuren, sagt Scheuer. "ADAC, Bahn, Fluggesellschaften, Logistikverbände und Unternehmen, alle in der Verkehrswirtschaft und Logistik: Wir fragen ab, wo es konkret Probleme gibt und versuchen das zu lösen", sagt er der Süddeutschen Zeitung. "Wir arbeiten intensiv daran, eine stabile Grundversorgung sicher zu stellen." Für ihn persönlich heiße das derzeit: 14-Stunden-Tage in Telefonkonferenzen. Manchmal sei der Handyakku mittags schon leer. "Das Programm ist ziemlich straff", betont der Verkehrsminister.

Oft geht es derzeit noch um organisatorische oder rechtliche Details. Um etwa Versorgungsengpässe in der Corona-Krise zu verhindern, will Scheuer Logistikzentren länger offen halten. Sie sollen 24 Stunden lang aufbleiben können, damit die Belieferung von Filialen etwa bei Supermarktketten weiter gesichert werden kann. Dazu soll es eine Flexibilisierung der Arbeitszeit geben.

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Außerdem reden Ministerium und Kommunalverbänden darüber, wie sich die Nachtzulieferung von 22 Uhr bis 6 Uhr lockern lässt, um die Anlieferung zu erleichtern. Flughäfen sollten auf jeden Fall geöffnet bleiben, um etwa schnell Medikamente, Medizintechnik oder auch Impfstoffe einfliegen zu können, heißt es aus dem Verkehrsministerium. Man dürfe die Flughäfen nicht komplett schließen, sonst dauere es zu lange, sie bei Bedarf wieder zu aktivieren.

Ins Zentrum des Kampfs gegen die Krise aber rückt in diesen Tagen die Deutsche Bahn. Denn auf der Schiene werden viele Güter mit wenig Einsatz von Arbeitskräften transportiert. Gerade zeige sich der Vorteil der Schiene sehr deutlich, sagt Cargo-Chefin Nikutta. Ein Zug könne 52 Lkw ersetzen und sei derzeit das sicherste Transportmittel. Zwar leiden auch viele Bahn-Unternehmen unter der Krise, die Aufträge der großen Konzerne gehen zurück.

Gleichzeitig aber gehen bei der Deutschen Bahn derzeit ungewöhnliche Aufträge über Waren ein, die sonst mit dem Lkw transportiert wurden, weil der Straßenverkehr stets billiger war. "Wir fahren die Lieferung von Lebensmitteln hoch. Wir haben auch Kapazitäten für Hygieneprodukte, die chemische Industrie und Medikamente. Es müssen zum Beispiel Grundstoffe für Desinfektionsmittel in die Werke. Für Lebensmittelkonzerne bringen wir Nudeln und Konserven durch Europa", sagt Cargo-Chefin Nikutta.

Auch bei der Bahn sorgt das Virus für die ersten Probleme. Es gebe einige, wenige kranke Kolleginen und Kollegen, sagt Nikutta. Der Konzern aber habe Szenarien für alle Personalsituationen. In Leitstellen etwa säßen die Mitarbeiter mit maximaler Distanz. Auch im Personenverkehr bereitet sich die Bahn nach Angaben des Verkehrsminister weiter auf schwierigere Zeiten vor. "Die Bahn wird die Kapazitäten kontrolliert herunterfahren", kündigt Minister Scheuer an. "Es geht etwa darum, Reserveteams zu bilden, die einspringen können, wenn andere ausfallen."

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SZ vom 24.03.2020/mxh
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