Die Warnung war dringlich und sie war beunruhigend: Kriminelle würden die Umstände der Corona-Pandemie "für Finanzbetrug" ausnutzen, und auch "Terroristen könnten die Gelegenheit nutzen, Geldmittel aufzutreiben". Veröffentlicht hat sie Anfang April die Financial Action Task Force, kurz FATF, das wichtigste internationale Gremium zur Bekämpfung und Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, in dem 35 Mitgliedstaaten und die EU-Kommission vertreten sind, darunter auch das Bundesfinanzministerium.
Nun hat Berlin in diesen Tagen im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise das größte Rettungspaket der bundesdeutschen Geschichte geschnürt, Umfang: 1,2 Billionen Euro. Mittelständler können nun sogar Kredite mit staatlicher Vollbürgschaft beantragen. Zwar dürfen formal nur gesunde und von Corona betroffene Firmen diese staatlichen Darlehen beantragen, zugleich aber sind die Geldhäuser auf Wunsch der Industrie- und Bankenverbände nun aus der Mithaftung für die Kredite entlassen worden und sollen ausdrücklich auf die sonst übliche Risikoprüfung verzichten. Alles soll möglichst schnell gehen. Für den rechtschaffenen Teil der Wirtschaft ist das Hilfe in höchster Not.
Für Geldwäscher und die organisierte Kriminalität bietet das schnelle Geld vom Staat aber auch eine Gelegenheit, ihre illegalen Geschäfte auszubauen. Die klare Warnung der FATF vor dem Missbrauch der Hilfen durch kriminelle Banden steht im Kontrast zu den lockeren Kontrollmaßnahmen bei der Mittelvergabe an die Firmen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat den Mitarbeitern der Hausbanken sogar empfohlen, bei der Prüfung der Förderkredite "ein bisschen Fünfe gerade sein" zu lassen.
Inzwischen hat auch die Finanzaufsicht Bafin, die dem Bundesfinanzministerium untersteht, die Prüfungspflichten zur Vermeidung von Geldwäsche gelockert - zumindest bei den Förderkrediten, die nun schnell und unbürokratisch vergeben werden sollen. "Es gibt vereinfachte Sorgfaltspflichten bei der Kreditvergabe", sagt Ingrid Hengster, die im Vorstand der bundeseigenen Förderbank KfW für die Corona-Hilfen zuständig ist. Sie meint damit "zum Beispiel eine spätere Identifizierung bei geringem Geldwäsche-Risiko". Auch die Bafin teilt mit, erst bei einem Verdacht seien "angemessene zusätzliche Maßnahmen zu geeigneter Zeit nachzuholen". Doch Geldwäsche und kriminelle Zahlungen sind oft ein Geschäft von Sekunden - und windige sowie schwer greifbare Strohleute schützen die kriminellen Hintermänner.
"Das alles ist ein Einfallstor für Geldwäscher und Kriminelle. Hier werden jetzt öffentliche Gelder ohne ausreichende Kontrolle ausgereicht, dabei müsste man bei Staatsgarantien prüfen, ob kreditsuchende Firmen zuletzt Steuern bezahlt haben, oder ob sie investiert haben", sagt der Anti-Geldwäscheexperte Andreas Frank. Strohleute könnten jetzt beispielsweise bestehende GmbHs nutzen, um Kredite zu erschleichen. Es gebe in Deutschland Tausende ruhende Vorratsgesellschaften, die auf Abruf bereit stünden. "Die erhaltenen Geldmittel aus den Krediten lässt man verschwinden, um danach die Firmen platzen zu lassen, analog zu den Stroh-GmbHs der Baubranche", befürchtet Frank.
Eigentlich sind Banken verpflichtet, zahlreiche Informationen ihrer Kunden zu dokumentieren. Nur so können sie ansatzweise verhindern, dass ihre Konten für Geldwäsche, Terrorfinanzierung oder andere Verbrechen missbraucht werden. Die Vorgaben gelten freilich nicht nur für Konten, sondern auch für die Kreditvergabe, denn auch hier ist Geldwäsche möglich: Man leiht sich zum Beispiel Geld bei der Bank und bietet dabei eine Immobilie als Sicherheit an, die der Mafia gehört - über Strohleute. Die Corona-Krise biete nun außerdem eine neue perfekte Gelegenheit für Kriminelle, bestehende GmbHs einfach pleite gehen zu lassen, sagt Mariola Marzouk, Expertin zur Verhinderung von Finanzkriminalität bei der Beratung BAE Systems Applied Intelligence.
"Know-Your-Customer" (KYC) heißt der Fachbegriff für die Identifizierung der Bankkunden. Und eigentlich verlangten die Aufseher in den vergangenen Jahren immer strengere Prüfungen der Klienten, denn den immer wieder neuen Ideen der Geldwäscher wurden sie oft nicht ausreichend Herr. Die dänische Danske Bank beispielsweise hat über viele Jahre hinweg die Geschäfte in ihrer estnischen Filiale kaum kontrolliert. So kam es zum größten bekannten Geldwäschefall in der Geschichte: Kriminelle schleusten Schwarzgeld im Volumen von rund 240 Milliarden Euro über die Danske Bank in die Europäische Union. Inzwischen plant die EU eine zentrale Geldwäscheaufsicht und einheitliche Regeln in allen EU-Mitgliedstaaten. Die - wenn auch temporäre - Aufweichung der KYC-Regeln durch Politik und Finanzaufsicht konterkariert nun diese Bemühungen.
Die Mafia kann kleinen Betrieben mit Krediten locken
Eine andere Gefahr der Corona-Krise ist die zunehmende Unterwanderung der Wirtschaft durch die organisierte Kriminalität. In Italien haben zuständige Staatsanwälte bereits gewarnt, dass die Mafia klammen Betrieben teure Kredite zum Überleben geben und damit dort die Kontrolle übernehmen könnte. Das könne auch in Deutschland passieren, heißt es in Polizeikreisen. "In Situationen, in denen Haushalten und kleinen Betrieben wichtiges Geld plötzlich fehlt, springt die Mafia mit ihrem Schwarzgeld ein", warnt ein Ermittler, der ungenannt bleiben möchte.
Auch junge Firmen und Existenzgründer, die derzeit nur schwer an Bankkredite kämen, seien gefährdet, solche Geldmittel anzunehmen. Auch die EU-Polizeibehörde Europol hat in ihrem aktuellen Corona-Bericht vor einer Zunahme der Kriminalität gewarnt. Schon seit einiger Zeit beobachte man Cybercrime-Attacken, mit denen wichtige Infrastrukturen der Länder lahmgelegt würden. In Tschechien musste nach einem solchen Angriff beispielsweise die IT eines Krankenhauses heruntergefahren werden. Darüber hinaus würden Kriminelle die Identitäten anderer Menschen und Firmen kapern, um so an Hilfskredite zu kommen oder Tarngeschäfte zu tätigen. Kunden würden dazu verleitet, beispielsweise medizinische Produkte im Internet zu bestellen und vorab zu bezahlen, ohne dass die Ware je geliefert wird.