Wenn die Menschen in den sozialen Netzwerken eh schon seit Wochen darüber diskutieren, wie ihre Unternehmen die Sache mit dem Home-Office organisieren, dann lohnt es sich bestimmt, genauer nachzufragen. Das dachte sich Laura Dornheim, Bundestagskandidatin der Grünen, und rief via Twitter und dem Hashtag #MachtBuerosZu die Leute dazu auf, von ihren Erfahrungen zu berichten. Wo läuft es gut mit der Home-Office-Strategie? Und wo gibt es unglückliche Mitarbeiter, die ins Büro müssen, obwohl sie sich damit sehr unwohl fühlen?
Dornheim bekam mehr als 500 Zuschriften von Beschäftigten, die offenbar in durchaus vorbildlichen Unternehmen arbeiteten. Ein Bahn-Mitarbeiter etwa schrieb: "Wir haben alles auf digital umgestellt, von total oldschool auf 2020. (...) Wenn wir das schaffen, kann das jede Firma!" Jede Firma? Von wegen.
Dornheim bekam auch Post von Menschen, die davon berichteten, wie sie weiterhin, gegen ihren Willen, ins Büro zitiert werden. Und so entstand eine Negativliste mit rund 100 Arbeitgebern - vom mittelständischen Betrieb und der kleinen Büro-Klitsche über die kommunale Verwaltung bis hin zu großen Krankenversicherern. Die Süddeutsche Zeitung hat daraufhin einige der genannten Arbeitgeber mit den Schilderungen der anonymen Hinweisgeber konfrontiert - zum Beispiel den Süßwarenhersteller Storck. Ein Tippgeber hatte geschildert, das Unternehmen tue "alles, damit Home-Office nur die absolute Notlösung bleibt".
Storck bestätigt auf Anfrage, dass auch in den nicht-produzierenden Verwaltungsbereichen weiterhin Mitarbeiter in der Zentrale präsent seien - im November waren das nach Angaben des Unternehmens rund ein Drittel der Beschäftigten. Wenn beispielsweise Markenrechte über beglaubigte Kopien von Urkunden nachgewiesen werden müssten oder ein Marketing-Mitarbeiter neue Produktverpackungen bewerten solle, dann sei "ein Verzicht auf Präsenz im Büro mitunter nicht generell möglich". Die Führungskräfte seien aber aufgefordert, in solchen Fällen wechselnde Teams zu bilden.
Wär bloß die Technik nicht so kompliziert
Und die Techniker Krankenkasse teilte mit, dass es zwar grundsätzlich in jedem Geschäftsbereich möglich sei, von zu Hause aus zu arbeiten - "wenn auch noch nicht an jedem Arbeitsplatz". Das habe damit zu tun, "dass viele Abteilungen bei der TK mit hochsensiblen Sozialdaten arbeiten und eine Übertragung ins häusliche Umfeld nicht ohne Weiteres möglich ist." Man arbeite allerdings "intensiv" daran, das zu ändern. Was wohl nichts anderes bedeutet, als: Man würde ja schon gerne. Aber die komplizierte Technik halt.
Während ein Großteil aller Schüler und Studenten schon wieder seit Wochen zu Hause sitzt, Geschäfte und Kultureinrichtungen geschlossen haben, das Land sein öffentliches Leben weitgehend heruntergefahren hat, gibt es auch das: Das kleine Architekturbüro in Münchner Bestlage, wo junge Mitarbeiter ohne Maske nebeneinander sitzen und arbeiten. Den kleinen Lieferservice an der Ecke, wo drei Pizzabäcker ohne Maske eng zusammen vor dem Ofen stehen.
Es gibt große Unternehmen, für die die Arbeit zu Hause längst zum neuen Standard geworden ist. Wie etwa den Siemens-Konzern, wo auch nach dem Ende der Pandemie vielen Beschäftigen weltweit ermöglicht werden soll, im Schnitt zwei bis drei Tage pro Woche mobil zu arbeiten. Wenn der- oder diejenige das will. Und dann gibt es jene Arbeitgeber, bei denen die Appelle der Bundesregierung, den Menschen Home-Office zu ermöglichen, irgendwie nicht richtig ankommen.
Noch am Freitag sprach sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann für mehr Home-Office aus - es sei ein "wirksames" Mittel, um "die Anzahl der Infektionen" zu senken. "Ich appelliere daher mit Nachdruck an alle Arbeitgeber: Lassen Sie - wo immer möglich - ihre Beschäftigten von zu Hause aus arbeiten."
Nur noch halb so viel Home-Office wie im Frühjahr
Aber es sind eben derzeit nur: Appelle. Während für Privatpersonen von Montag an noch strengere Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen gelten, können Arbeitgeber ihre Beschäftigten noch immer ins Büro ordern. Bei den Unternehmen setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin auf Freiwilligkeit. Eine Strategie, die in den vergangenen Wochen eher schlecht als recht aufgegangen zu sein scheint.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte zum Jahreswechsel eine Studie, die zeigt, wie viel Prozent der Beschäftigten während des "Lockdown light" Anfang November überwiegend am heimischen Schreibtisch gearbeitet haben: Es waren nur 14 Prozent. Ein halbes Jahr zuvor, während der ersten Welle im April, waren es immerhin fast 27 Prozent gewesen. "Unsere Zahlen zeigen, dass es vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen sind, in denen viele Beschäftigte weiterhin überwiegend im Büro arbeiten. In Konzernen sind Home-Office-Regelungen offenbar weiter verbreitet", sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI.
Dabei kommt es gerade in Büros immer wieder zu Ansteckungen mit Covid-19 - da, wo Menschen stundenlang gemeinsam in Räumen sitzen, sich auf engen Fluren und kleinen Teeküchen begegnen. Die Gefahrenlage ist klar, aber die Lösungen in der Praxis uneindeutig. Seit August 2020 ist die neue Arbeitsschutzregel in Kraft. Sie konkretisiert die Anforderungen an den Arbeitsschutz während der Pandemie, um das Infektionsrisiko für Beschäftigte zu senken und auf niedrigem Niveau zu halten. Abstand, Hygiene und Masken bleiben die wichtigsten Instrumente, solange es keinen ausreichenden Impfschutz für Covid-19 gibt.
Betriebe, die die Regel anwenden, können also davon ausgehen, dass sie rechtssicher handeln. Sie müssen allerdings jederzeit damit rechnen, dass die Einhaltung des Arbeitsschutzes durch die Behörden der Länder oder des technischen Aufsichtsdienstes der Unfallversicherungsträger kontrolliert werden. Die Arbeitsschutzregel legt fest, dass Firmen während der Pandemie jeden Arbeitsplatz auf sein "Gefährdungspotential" überprüfen und anpassen müssen. Auch die psychischen Belastungen für die Beschäftigten sind künftig stärker zu beachten.
Staus vor der Stechuhr?
Und: Arbeitgeber sind verpflichtet, dass Beschäftigte ihre Arbeit im Büro ohne Ansteckungsrisiko erledigen können. Deshalb müsse sich der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat auf konkrete Maßnahmen zum Arbeitsschutz verständigen, betonen Gewerkschaften. Doch auch in Betrieben ohne Arbeitnehmervertretungen ist der Arbeitsschutz einzuhalten. Dazu gehört es eigentlich auch, Mindestabstände von 1,5 Metern zwischen den Arbeitsplätzen einzuhalten, Spuckschutz-Plexiglas-Scheiben anzubringen und einen Mund-Nase-Schutz zu tragen. Auch sollten Staus vor der Stechuhr, der Kantine, Aufzügen und Waschräumen vermieden werden.
Wichtig sei es auch, die Räume gut durchzulüften. Außerdem müssten Betriebe ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen genau über Hygienekonzepte am Arbeitsplatz informieren. Aber wird das in jedem kleinen Büro und jeder Imbissküche wirklich auch so gehandhabt? Und wer soll das am Ende alles überprüfen? Und was, wenn die Beschäftigten theoretisch von zu Hause arbeiten könnten, aber nicht können oder nicht dürfen?
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die meisten Beschäftigten trotz ambivalenter Erfahrungen im Home-Office angekommen sind", sagt Kohlrausch. "Deshalb vermute ich, dass es eher die Arbeitgeber sind, die sich in Sachen Home-Office zurückhalten."
Andreas Schubert vom internationalen Forschungs- und Beratungsinstitut "Great Place to Work", das in 60 Ländern zum Thema Unternehmens- und Arbeitsplatzkultur arbeitet, sieht darin häufig auch mangelndes Vertrauen von Seiten der Chefetagen - ein Zeichen für eine veraltete Unternehmensführung. "Es gibt viele Unternehmen, die arbeiten immer noch mit der Präsenzkultur. Nach dem Motto: Wer nicht da ist, der arbeitet auch nicht." Stattdessen sei es an der Zeit, die alte Präsenz- durch eine neue Vertrauenskultur zu ersetzen. Auch, um der Gefahr der Entgrenzung vorzubeugen - wenn Menschen im Home-Office rund um die Uhr verfügbar sind.
Oft auf der Negativliste: Behörden
Was sowohl in der Negativliste von Laura Dornheim als auch bei den Studienergebnissen des WSI auffällt: Zu den Arbeitgebern, bei denen es mit der Arbeit im Home-Office offenbar noch nicht weit her ist, zählt insbesondere die öffentliche Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen. Rund zwei Drittel der Angestellten haben zumindest im November noch überwiegend im Büro gearbeitet.
Die Stadtverwaltung Dortmund teilt dazu mit, dass die Arbeit "dort, wo es möglich war, nach Hause verlagert" worden sei. In "kundenintensiven Bereichen" sei das "nur teilweise, im Wechsel oder gar nicht" möglich. Eine Hinweisgeberin hatte allerdings moniert, dass Verwaltungsmitarbeiter auch bei reinen Schreibtischtätigkeiten ohne Kundenkontakt jeden Tag zur Arbeit ins Büro kommen müssten.
Natürlich gibt es Arbeiten, die man nicht im Home-Office erledigen kann. Eine Gasturbine von Siemens lässt sich schwerlich im heimischen Wohnzimmer konstruieren, ein Lkw von MAN kaum im Vorgarten zusammenschrauben. Und die Jobs an der Supermarktkasse lassen sich ebenso wenig nach Hause verlagern. "In vielen Berufen kann man nicht einfach ins Home-Office wechseln", sagt Bettina Kohlrausch. "Trotzdem schützen alle, die von zu Hause arbeiten, andere Menschen". Die Mitarbeiter in der Produktion müssten "durch Masken und strenge Hygiene wirksam geschützt werden" und "könnten beispielsweise durch einen Bonus für ihren Einsatz entschädigt werden".
So wie bei Siemens könnte es nach der Pandemie in vielen Betrieben laufen: Home-Office wird zur neuen Normalität. Allerdings nicht zur einzigen. Andreas Schubert von "Great Place to Work" sieht auch weiterhin einen großen Bedarf an Büros. Nur würden die dann nicht mehr etwas für jeden Tag sein. Das Büro der Zukunft, sagt er, müsse eine Art "Kulturtankstelle" sein, ein Umschlagplatz für Informationen und ein Ort der sozialen Begegnungen. Mal geht man hin, mal bleibt man zu Hause.
Aber das alles eben erst: nach Corona.