Der Ausverkauf an den internationalen Aktienmärkten wegen der Angst vor den Folgen der weltweiten Coronavirus-Epidemie verschärft sich: "Die Börse preist gerade einen Tsunami an Gewinnwarnungen aus den Unternehmen ein", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Die Kurse rauschten am Freitag in die Tiefe wie zu Zeiten der Finanzkrise. David Folkerts-Landau, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, prophezeite eine Rezession in Deutschland und auch global.
Der deutsche Leitindex Dax fiel zur Eröffnung am Freitag um über fünf Prozent auf ein Dreieinhalb-Jahres-Tief.Mit einem Minus von insgesamt mehr als 13 Prozent steuerte er zudem auf den größten Wochenverlust seit gut elf Jahren zu. Das Minus der auslaufenden Woche beläuft sich sogar auf rund zwölf Prozent. Mitte Februar hatte der Dax mit 13 795,24 Zählern noch ein Rekordhoch markiert. Gleiches galt für den EuroStoxx50, der am Freitag zeitweise 4,9 Prozent auf 3285,74 Zähler verlor, den niedrigsten Stand seit sechseinhalb Monaten. "Innerhalb weniger Tage wurden die Kursgewinne der vergangenen Wochen und Monate pulverisiert", sagte Analyst Christian Henke vom Brokerhaus IG. "Panik macht sich breit."
Die Sorge um die Folgen der Coronavirus-Ausbreitung belasten seit Tagen die Finanzmärkte weltweit und haben am Morgen bereits die Börsen in Asien tiefer ins Minus gedrückt. International reagieren die Börsen auf das Coronavirus. Nach einer leichten Stabilisierung ging der Dow Jones am Donnerstag erneut deutlich abwärts. Der amerikaische index verlor fast 1 200 Punkte und schloss unter der Marke von 26 000 Punkten auf dem tiefsten Stand seit August 2019. Nachdem der Wall-Street-Index seine frühen Verluste im Handelsverlauf hatte eindämmen können, setzte in der letzten Handelsstunde ein neuer Abwärtssog ein. Mit minus 4,42 Prozent auf 25 766,64 Punkte beendete der Dow den Donnerstag. Seit seinem Rekordhoch vor rund zwei Wochen ist der US-Leitindex inzwischen um knapp 13 Prozent abgesackt. Allein seit Wochenbeginn sind es etwas mehr als 11 Prozent.
Auch der marktbreitere S&P 500 büßte am Donnerstag 4,42 Prozent ein. Der technologielastige Nasdaq 100 sackte um 4,93 Prozent ab. "Die Geschwindigkeit, mit der die Märkte fallen, ist hoch", sagte ein Börsenstratege. Zugleich lasse sich nicht absehen, wann es vorbei sei. Bis der Dow und die anderen Indizes ihren Boden gefunden haben werden, dürfte es aber wohl noch eine Weile dauern, sagt der Marktteilnehmer.
Auch aktuelle Konjunkturdaten, die besser als erwartet ausfielen, fanden angesichts der Krisenstimmung keine Beachtung. Stattdessen wurden Befürchtungen geäußert, dass in diesem Jahr wegen der Viruskrise die US-Unternehmen womöglich kein Ergebniswachstum werden vorweisen können. Die Epidemie scheine sich zu einer Pandemie zu entwickeln, sagte Norihiro Fujito, Chef-Anlagestratege bei der Investmentbank Mitsubishi UFJ Morgan Stanley. "Die Märkte können damit umgehen, so lange das Ende des Tunnels zu sehen ist. Im Augenblick kann aber niemand sagen, wie lange das Ganze anhält und wie schlimm es wird."
Erste Beobachter sehen inzwischen Anzeichen einer Panik. Die Ölpreise gaben angesichts der zunehmenden Sorgen um die Weltwirtschaft ebenfalls kräftig nach und erreichten neue Tiefstände seit mehr als einem Jahr. Auch der US-Dollar fiel, während US-Staatsanleihen wieder stark nachgefragt wurden. Im Gegenzug sank der Zins der weltweit als wichtigste Schuldentitel geltenden zehnjährigen Bonds auf ein neues Rekordtief. Gefragt war außerdem Gold. In unsicheren Zeiten gelten Währungen wie Yen, Franken oder Euro sowie Staatsanleihen und Gold als relativ sichere Häfen.
Die Augen der Anleger richteten sich nun auf die Notenbanken als Retter in der Not, sagte Seema Shah, Chef-Anlagestrategin des Vermögensverwalters Principal Global Investors. "Die Märkte preisen nun mindestens zwei Zinssenkungen der Fed ein." Der Druck auf die anderen Zentralbanken neben den USA wachse ebenfalls. Wegen der ohnehin niedrigen Zinsen sei der Effekt solcher Maßnahmen aber fraglich. Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade, bezeichnete die Rezessionsszenarien als Schwarzmalerei. Das weltweite Wachstum werde sich lediglich verlangsamen. "Anleger sollten den Ausverkauf als Gelegenheit sehen, denn nun haben sie die Möglichkeit, sich Top-Aktien sehr viel günstiger zu sichern als noch vor ein paar Monaten."