Luftverkehr:Für die kleinen Airlines wird es eng

Coronavirus - Flughafen Berlin-Tegel

Immer weniger Reisende sind noch an den Flughäfen unterwegs.

(Foto: dpa)

Immer weniger Flugzeuge heben ab. Große Airlines wie Lufthansa können das zwar überleben. Aber es drohen einige Pleiten, die Unternehmen fordern deshalb staatliche Unterstützung.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Willie Walsh hatte noch vor zwei Wochen klare Vorstellungen davon, was er von Ende des Monats an tun würde. "Ich werde durch London laufen und öfter in Bars ein Bier trinken gehen", scherzte der Chef der International Airlines Group (IAG) bei einem Branchentreffen des Verbandes Airlines for Europe (A4E). Wie seit Längerem geplant wollte sich der IAG-Chef in den Vorruhestand verabschieden.

Es kommt nun alles ganz anders. Nicht nur, weil vielleicht auch in London bald alle Bars dichtmachen und "Social Distancing" Treffen mit Kumpels aus alten Zeiten verhindert. Walsh selbst hat auch überhaupt keine Zeit mehr dafür. Denn angesichts der dramatischen Lage der Luftverkehrsindustrie verkündete sein Arbeitgeber IAG, dass ihr langjähriger Chef seinen Ruhestand verschoben hat und an Bord bleiben wird.

Easyjet und Ryanair wollen in den nächsten Tagen den Großteil ihrer Flotten stilllegen

Das sich wegen des Coronavirus für die Branche entfaltende Drama ist komplex und auch wieder nicht. Am Ende, vermutlich schon Ende dieser Woche, dürfte die Prognose des Chefs des deutschen Flughafenverbandes ADV, Ralph Beisel, eintreten: "Der Luftverkehr an unseren Flughäfen dürfte in den nächsten Wochen fast zum Erliegen kommen." Ziel müsse es jetzt sein, ein Minimum an Verbindungen aufrechtzuerhalten. "Höchste Priorität haben Fracht- und Rückholflüge."

Weltweit sind seit Ende Januar wegen der Ausbreitung des Coronavirus bereits mehr als 185 000 Passagierflüge gestrichen worden. Das berichtete der Weltluftfahrtverband IATA n Genf. Damit sei auch wichtige Frachtkapazität etwa für die Beförderung von Medikamenten und medizinischem Material entfallen. Immer mehr Länder beschränken die Einreise, was den Luftverkehr nicht mehr praktikabel macht. Aus den USA kommen Meldungen dazu, dass die Regierung den Inlandsverkehr einschränken oder zeitweise ganz stoppen könnte. Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das beschloss, die eigenen Flughäfen auf Notbetrieb herunterzufahren. Das bedeutet, dass nur noch Fracht- und Rückholflüge erlaubt sind. Andere Bundesländer wollen die Airports offenlassen, um weiter die Versorgung mit Gütern sicherzustellen.

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So oder so, die Airlines stehen vor einem monatelangen Kampf ums Überleben. In Europa haben am Montag, nachdem die Lufthansa angekündigt hatte, 80 Prozent der Kurzstreckenflüge und 90 Prozent der Langstrecken zu streichen, auch andere große Anbieter nachgezogen. Walshs IAG, zu der British Airways, Iberia, Aer Lingus, Vueling und Level gehören, will für April und Mai 75 Prozent der Flüge streichen, notfalls auch noch mehr. Air France-KLM wird in den nächsten beiden Monaten bis zu 90 Prozent des Flugprogrammes absagen. Easyjet und Ryanair, die beiden größten Billigfluggesellschaften Europas, wollen in den nächsten Tagen den Großteil ihrer Flotten stilllegen. LOT Polish Airlines hat den Flugbetrieb bereits weitgehend eingestellt, ihr wird am Donnerstag unter anderem Lufthansa-Tochter Austrian folgen, nachdem das Land Österreich den Luftverkehr fast komplett einstellen lässt.

Die große Frage ist nun, ob und wie die Airlines die nächsten Monate überstehen können. IAG, Air France-KLM und Lufthansa haben vergleichsweise große Liquiditätsreserven, die es ihnen ermöglichen, auch eine längere Phase am Boden irgendwie zu überleben. Lufthansa hat den großen Vorteil, dass ihr die meisten Flugzeuge gehören und wiederum viele abgeschrieben sind. Diese kann sie abstellen, ohne Leasingraten oder Kredite weiter abzahlen zu müssen. Unklar ist, ob die polnische Staatsholding PGL wirklich weiter an der Übernahme der Ferienfluggesellschaft Condor festhält. PGL, die Muttergesellschaft von LOT Polish Airlines, hat den Zuschlag für die Übernahme der Condor bekommen. Zunächst war die Airline nur wenig von den Rückgängen betroffen, doch das zeitweise De-facto-Ende des Luftverkehrs in Spanien und der Türkei trifft sie erheblich. Derzeit finden aus den betroffenen Ländern noch Rückholflüge statt, auch Langstrecken in die Karibik und nach Südafrika werden aufrechterhalten.

Ohne staatliche Hilfe wird es für viele Fluggesellschaften schwierig, den Kollaps zu vermeiden

Angesichts des Überlebenskampfes der Branche haben sich die drei globalen Flugallianzen Skyteam, Oneworld und Star Alliance in einem gemeinsamen Schreiben an die Regierungen gewandt. Sie drängen dabei "die Regierungen weltweit (...) alle denkbaren Mittel zu erwägen, den Airlines in dieser beispiellosen Zeit zu helfen".

Die Branche ist sich einig darüber, dass die meisten Anbieter und Flughäfen ohne staatliche Unterstützung nicht überleben können. In den USA versuchen selbst United, Delta und American, die zuletzt sehr hohe Gewinne eingeflogen haben, Staatshilfen durchzusetzen. Die Forderung beläuft sich auf 50 Milliarden Dollar an Krediten und Nothilfen. Auch Lufthansa spricht mit den Regierungen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Belgiens darüber. IAG und Virgin Atlantic sind schon bei der britischen Regierung vorstellig geworden. In Italien gibt es Anzeichen dafür, dass die unter Gläubigerschutz fliegende und notorisch defizitäre Alitalia komplett vom Staat übernommen wird. Die Billigfluggesellschaft Norwegian forderte von Norwegen Soforthilfen, um den Kollaps zu vermeiden. Norwegian entlässt mehr als die Hälfte der Mitarbeiter. SAS Scandinavian Airlines kündigte an, gut 90 Prozent ihrer 10 000 Mitarbeitern zu kündigen und erst wieder eine größere Anzahl von Flügen anzubieten, wenn es dafür eine Basis gebe.

Der Flughafenverband ADV will sich dafür einsetzen, die Beihilferichtlinien der Europäischen Kommission außer Kraft zu setzen, damit Airlines und Airports schnell Liquiditätshilfen und Zuschüsse erhalten können. Entgangene Entgelte müssten kompensiert werden, sonst könnten besonders kleinere Flughäfen pleite gehen.

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