Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:"Nicht jetzt schon alle Munition verschießen"

Warum die Politik mit weiteren Hilfen erst einmal warten sollte: ein Gespräch mit Finanzmarktforscher Markus Brunnermeier über die Corona-Krise.

Von Katharina Wetzel

Es sind gigantische Summen, die Staaten in der Corona-Krise für Hilfsprogramme ausgeben. Dies ruft bei vielen Bürgern Ängste hervor. Warum Deutschland sich stark verschulden kann, erklärt der Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier.

Sie haben interessante Webinare mit Top-Ökonomen zur Corona-Krise gestartet. Sind Ökonomen überrascht über das Ausmaß der Krise?

Markus Brunnermeier: Ja, insbesondere die Geschwindigkeit der Krise ist überraschend. In der Finanzkrise haben Politiker versucht, Entscheidungen auf das nächste Wochenende zu verschieben. Nun konnten sie nicht lange überlegen. Der Vorteil ist, dass man viel von der vergangenen Krise gelernt hat. Die Instrumente muss man nur abstauben und wieder einsetzen.

Kurzarbeit, Zuschüsse, Kreditgarantien: Laut DB Research kosten die Programme Deutschland 1,9 Billionen Euro - mehr als 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Muss die Politik trotzdem nachlegen?

Die Schritte waren richtig. Ich würde aber nicht jetzt schon alle Munition verschießen. Wenn sich die Krise noch länger hinzieht, muss die Politik nochmals nachlegen, sonst nicht.

Wie lange dauert es, bis wir zum alten Wachstumspfad zurückfinden?

Wenn wir schnell einen Impfstoff oder entsprechende Medikamente finden, können wir relativ rasch zum alten Wachstumspfad zurückspringen. Es könnte aber auch im Herbst noch problematisch werden, wenn es eine zweite Welle gibt. Finden wir keinen Impfstoff, dann werden sich die Probleme aufstauen und es wird länger dauern, bis wir zum alten Wachstumspfad zurückkommen.

Weitere Rettungsprogramme könnten dann nötig sein. Braucht es eine Schulden-Obergrenze wie CSU-Chef Markus Söder fordert oder ist eine hohe Neuverschuldung kein Problem?

Für Deutschland ist dies weniger ein Problem, da deutsche Staatspapiere als sicherer Hafen gelten. Anleger geben dem deutschen Staat Geld, auch wenn die Zinsen negativ sind. Für Deutschland gibt es also keine unmittelbare Grenzen, so lange wir die Position als sicherer Hafen nicht verlieren. Für andere Länder ist das wesentlich kostspieliger.

Zum Beispiel für Italien. Müssen da die Schulden umstrukturiert werden?

Wenn die Zinsen bei Italien hochgehen, sind die Schulden ab einem bestimmten Punkt nicht mehr tragfähig. Das Problem sind sich selbsterfüllende Erwartungen. Wenn die Finanzmärkte mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten, dass es zu einer Schuldenumstrukturierung kommen muss, dann möchten sie heute schon hohe Zinsen. Diese hohen Zinsen machen dann die Schulden untragfähig. Wenn jedoch die Finanzmärkte erwarten, dass die Schulden hundertprozentig zurückgezahlt werden, dann ist man als Investor mit niedrigen Zinsen zufrieden, was dann eine vollständige Rückzahlung möglich macht. Es ist also entscheidend, was die Politik nun macht.

Angela Merkel und Emmanuel Macron haben einen 500 Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds vorgeschlagen. Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande befürchten jedoch die Vergemeinschaftung der Schulden und wollen lieber Kredite als Zuschüsse geben. Welches Konzept bevorzugen Sie?

Der Vorschlag von Merkel und Macron ist ein gutes Zeichen. Ein Wiederaufbaufonds wirkt stabilisierend. Ein zu hoher Schuldenstand kann Neuinvestitionen abwürgen, deshalb halte ich Zuschüsse meist für besser als Kredite, auch wenn sie teurer sind. Der EU-Kommissionsvorschlag sieht Zuschüsse und Kredite vor. Über den richtigen Weg sollte von Fall zu Fall entschieden werden - je nachdem ob durch Kredite Schuldenüberhangprobleme entstehen.

Vielen Bürgern bereiten die gigantischen Summen Angst. Sie fragen sich, wer das am Ende bezahlen soll.

Ich kann die Ängste verstehen. Langfristig müssen die Maßnahmen bezahlt werden. Die Frage ist jedoch, ob es noch kostspieliger wird, wenn man die Maßnahmen nicht ergreift und die Wirtschaft abwürgt.

Kommen wir wieder zum alten System?

Die Krise wirkt wie ein Beschleuniger. Die Digitalisierungswelle kommt noch schneller. Viele Home -Offices werden bleiben. Eine Tendenz scheint sich jedoch zu drehen. Carsharing wird wahrscheinlich weniger attraktiv und viele wollen wieder das Auto nehmen, weil man sich da sicherer fühlt als in öffentlichen Verkehrsmitteln. Das ist ein Schub für die Automobilindustrie.

Es braucht also keine Abwrackprämie?

Die Automobilindustrie könnte von der Krise profitieren. Sie kann auch immer noch Dividenden bezahlen. Solange Firmen Dividenden bezahlen können, würde ich meine Munition dort nicht verschießen.

Sollte der Konsum angekurbelt werden?

Konsum ist gut für die Wirtschaft, wenn ein Überangebot besteht. Zur Zeit können wir aber die Produktion in vielen Sektoren noch nicht ganz hochfahren. Hätten wir den gleichen Konsum wie vor der Krise, gäbe es Inflationsdruck, da die Nachfrage größer wäre als das Angebot. Die Tatsache, dass derzeit viele so unsicher sind, erhöht die Sparrate und drückt die Inflation. Wenn alle Leute so unsicher sind, dass sie nichts mehr ausgeben, kommt es zu Deflation, was die Krise noch viel schlimmer machen würde. Die Balance zwischen Inflations- und Deflationskräften ist wichtig.

Erwarten Sie eher Deflation als Inflation?

Das ist schwer zu sagen, denn beide Kräfte sind stark ausgeprägt und ziehen in unterschiedliche Richtungen. Die Unsicherheit ist groß. Wahrscheinlich sparen die Leute mehr, was eher für Deflation spricht. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte dann der Inflationsdruck die Oberhand gewinnen.

Wird die globalisierte Wirtschaft renationalisiert, könnte dies zu höheren Preisen führen.

Die Produktionsverlagerung nach Osteuropa oder in die asiatischen Märkte hatte einen signifikanten Effekt, der die Preise niedrig gehalten hat. Man kann die Globalisierung in vielen Bereichen kritisieren. Sie war aber das größte Entwicklungshilfeprogramm der vergangenen 15 Jahre.

Im Zuge der Finanzkrise hat die EZB Billionen Euro in den Markt gepumpt. Dennoch kam es nicht zu Inflation. Wieso?

Ein Grund ist, dass die Unsicherheit hoch ist, was die Inflation nach unten drückt.

Die EZB muss sich nun mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts herumschlagen. Demnach soll die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Politik näher begründen. Kommt das Urteil zur Unzeit?

Es löst gerade jetzt sehr viel Unverständnis aus bei unseren europäischen Nachbarn. Das europäische Projekt ist in Gefahr, weil viele denken, dass keine Solidarität gezeigt wird. Ich stimme jedoch zu, dass die Anleihekaufprogramme und ihre Grenzen besser erklärt werden sollen. Das Urteil hat wohl zum Macron-Merkel-Vorschlag beigetragen und es ist gut, dass man sich nicht nur auf die Geldpolitik verlässt.

Manche schätzen, dass die EZB nun eine leicht höhere Inflation toleriert, damit Staaten ihre Schulden abtragen können.

Zur Zeit sind wir ja weit unter dem Inflationsziel von unter, aber nahe zwei Prozent. Sobald sich dies ändert, muss die EZB inflationsdrosselnde Schritte einleiten. Bisher sieht man dies noch nicht in den Daten. Ich würde das Inflationsziel nicht anheben, da dies die langfristige Glaubwürdigkeit untergraben könnte.

Müssen sich Anleger langfristig mit niedrigen Zinsen abfinden?

Anleger müssen sich auf niedrige Realzinsen einstellen, das heißt die Zinsen nach Abzug der Inflation werden niedrig sein. Da die Inflation auch niedrig ist, sind die Realzinsen nicht so niedrig im historischen Vergleich. Ein Hauptgrund, warum die Realzinsen so niedrig sind, ist das relativ geringe Wachstum der Gesamtwirtschaft. Zudem ist die Unsicherheit groß, das treibt die Zinsen auch nach unten, da Leute mehr sparen. Ich sehe nicht, dass sich das so schnell ändert.

Viele flüchten in Gold aus Inflationsangst.

Ich rate zu einem diversifizierten, breit gestreutem Portfolio. Wer sich gegen das Inflationsrisiko absichern möchte, kann inflationsindexierte Bundeswertpapiere kaufen, diese sind nicht so volatil wie Gold.

Und was raten Sie bei Deflation?

Bei Deflation bricht die Wirtschaft zusammen. Geld gewinnt an realem Wert.

Viele sorgen sich auch um ihre Immobilie.

Bei Gewerbeimmobilien könnte es zu Einbußen kommen, insbesondere in Innenstädten, da der Einzelhandel leidet. Sonst sehe ich aber keine große Gefahr.

Schwappt die Krise auf Banken über?

Das hängt sehr davon ab, welche Schritte eingeleitet werden. Es wird zu Verlusten kommen, die Frage ist, ob sie den Banken zugeschoben werden oder ob sie richtig verteilt werden.

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Drehen Banken nun wieder ein zu großes Rad, weil die Regeln gelockert wurden?

Die Gefahr gibt es, aber Reserven sind dafür da, damit man sie in der Krise nutzt. Kennen Sie das Goodhart-Taxi-Problem?

Erklären Sie es bitte.

Es ist eher ein Witz, den der Ökonom Charles Goodhart gerne erzählt. Spät in der Nacht kommt ein Reisender am Bahnhof an und ist ganz glücklich, als er noch ein Taxi sieht, das ihn zu seinem Hotel bringen kann. Doch der Taxifahrer sagt. "Es tut mir leid. Es gibt eine Regulierung, dass immer ein Taxi am Bahnhof stehen muss."

Hat die Krise etwas Positives bewirkt?

Die Krise hat gezeigt, dass wir in einer Welt leben. Gerade ein Exportland wie Deutschland kann sich nicht abschotten. Die Probleme können wir nur gemeinsam lösen.

Die Webinar-Reihe von Markus Brunnermeier mit Top-Ökonomen zu den Folgen der Corona-Krise ist im Internet abrufbar unter https://bcf.princeton.edu/event-directory/covid19/

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SZ vom 28.05.2020/hij
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