Das Stück Schweinefleisch liegt rosaschimmernd im Kühlregal von Supermärkten und Discountern, vakuumverpackt in Plastik. Nichts Auffälliges ist zu erkennen. Die Herkunft lässt sich auf der Rückseite der Verpackung entschlüsseln: DE NW 20028 EG steht für die Schlachtfabrik von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, DE NI 10321 EG für das Wiesenhof-Werk in Wildeshausen. Beides sind vom Coronavirus kontaminierte und zeitweise geschlossene Betriebe. Das dort verarbeitete Fleisch ist aber weiter im Handel. Ist es daher auch völlig unbedenklich, es zu verzehren?
Fragt man beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nach, fällt die Einschätzung nuancierter aus, als es Grillfreunden und dem Handel recht sein kann. Danach ist eine Übertragung des Virus auf das Fleisch "theoretisch denkbar und kann daher nicht ausgeschlossen werden". Entscheidend sei, sagt ein Sprecher, was danach passiert, nach dem Kauf. Der Verbraucher muss das Fleisch ausreichend erhitzen. Dann sind die Viren, falls sie je da waren, tot. Sicher ist sicher. Nachgewiesen wurde so eine Übertragung bisher nicht. Das kann daran liegen, dass bislang keine Kontamination stattfand oder schlicht daran, dass nicht danach geforscht wurde.
Clemens Tönnies:Das Ende vom Lied
Das System Clemens Tönnies hat lange funktioniert. Die Corona-Pandemie zeigt, unter welchen Bedingungen in seinen Schlacht-Fabriken gearbeitet wird - und dass es so nicht weitergehen kann.
Interessant ist, was der Handel aus dem Sachverhalt macht: Aldi Nord und Süd, mit die größten Abnehmer von Tönnies, erklären, laut BfR könne man "nach derzeitigem Wissensstand" ein "relevantes Infektionsrisiko" ausschließen. Beide schieben die Verantwortung auf den Verbraucher. Der sollte bei Zubereitung und Verzehr eben "die Hygieneregeln" beachten. Grundsätzlich werde Aldi aber weiter Waren "von unserem Lieferanten Tönnies beziehen". Derzeit liefere er jedoch keine Frischfleisch-Artikel mehr. Die Schlachterei ist ja vorübergehend auch geschlossen.
"Damit ist das Fleisch nicht verkehrsfähig, zumindest nach meiner Auffassung."
Konkurrent Lidl teilt mit, es befänden sich mittlerweile keine Produkte mehr von Tönnies im Verkauf, man werde von anderen beliefert, sei aber mit Tönnies im Gespräch. Edeka und Rewe argumentieren ähnlich wie Aldi. Es sieht so aus, als hofften alle, dass der Tönnies-Spuk bald vorbei ist. Ist ja Grillsaison.
Ginge es nach dem Lebensmittelhygieniker Gero Beckmann, hätte das besagte Fleisch nie in den Handel gelangen dürfen. "Wenn ich im Nachhinein mitbekomme, dass die Arbeiter, die dieses Fleisch zerlegt, bearbeitet und verpackt haben, an einer Coronavirus-Infektion leiden, dann muss ich wegen der räumlichen Enge, der Turbulenzen, wegen der Aerosolbildung in einer solchen Schlachtstätte davon ausgehen, dass sich Coronaviren auch verbreitet haben", sagt er zuerst im SWR . "Und diese Vorstellung erzeugt beim Menschen Ekel. Damit ist das Fleisch nicht verkehrsfähig, zumindest nach meiner Auffassung."
Der Fachtierarzt für Mikrobiologie bezieht sich dabei auf eine EU-Verordnung, die klarstellt, wann Lebensmittel nicht mehr verkehrsfähig sind. Dazu zählen auch "hygienische Missstände, die dem Verbraucher verborgen bleiben und für ihn nicht erkennbar sind". Diese fallen unter die "Ekelnorm", vorausgesetzt, der Durchschnittsverbraucher würde das Lebensmittel ablehnen. Leider ist "Ekel", wie Beckmann sagt, ein "unbestimmter Rechtsbegriff" und damit ein Einfallstor für Anwälte.
Corona-Ausbruch bei Tönnies in Ostwestfalen:"Ein enormes Pandemie-Risiko"
NRW-Ministerpräsident Laschet kämpft seit Monaten für zügige Lockerungen. Dass er nun doch einen Lockdown verkünden muss, macht ihm sichtlich zu schaffen. Mittlerweile steht bei 1553 Tönnies-Mitarbeitern eine Corona-Infektion fest.
"Ekel können auch Lebensmittel erzeugen, denen man nichts ansieht."
Immerhin so viel steht fest, dass Lebensmittel nicht ekelhaft aussehen müssen, um als ekelig zu gelten. "Ekel können auch Lebensmittel erzeugen, denen man nichts ansieht. Wenn das Tiramisu dem Restaurantbesucher zwar schmeckt, er aber wüsste, dass Ratten und Mäuse durch den stark verschmutzten Lagerraum laufen, in dem es stand, dann würde er sich vermutlich ekeln", sagt Rechtsanwältin Danja Domeier. Bezogen auf Tönnies müsste man daher wissen, wie es dort um die Hygiene bestellt war. Zuletzt hatten Bilder gezeigt, wie die Arbeiter dort ohne Mundschutz tätig waren. Auch die Belüftung schien verbesserungsfähig zu sein.
Unerheblich jedoch ist, ob infizierte Mitarbeiter das Virus auch tatsächlich auf das Fleisch übertragen haben. "Der Ekelparagraf greift bereits, wenn der Umstand des Ekels ausgelöst wird", sagt Domeier. Nicht relevant sei, ob das Fleisch auch gesundheitsgefährdend ist. Die Frage also ist: Ging es bei Tönnies nach allgemeinem Ermessen ekelig zu? Die zuständige Behörde in Gütersloh entschied bereits: Nein.
Da ist dann auch das BfR machtlos - und Tönnies und der Handel dürfen sich freuen.