Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Wenn Soloselbständige die Corona-Hilfe zurückzahlen müssen

Lesezeit: 5 Min.

Als vielen Menschen wegen der Pandemie das Geschäft wegbrach, versprach Olaf Scholz, die "Bazooka" auszupacken. Nun sollen Tausende ihre Soforthilfe zurückzahlen - und fühlen sich abermals vom Staat im Stich gelassen.

Von Felicitas Wilke, München

Der Brief aus dem Wirtschaftsreferat der Stadt traf Elisabeth Gnant unvorbereitet. Die Vorweihnachtszeit hatte gerade begonnen und ins Leben der Münchner Tanzpädagogin war erst vor kurzem so etwas wie Normalität zurückgekehrt. Nach zweieinhalb Jahren im Krisenmodus kamen wieder mehr Erwachsene zum Pilates, und die Kindertanzkurse waren endlich wieder gut besucht. Dann kam da dieser Brief, der sie auf Amtsdeutsch darauf hinwies, die während der Pandemie erhaltene Corona-Soforthilfe möglicherweise zurückzahlen zu müssen, "gegebenenfalls auch anteilig". Und das nach fast drei Jahren. "Ich war nur noch fassungslos und den Tränen nahe, als ich das gelesen habe", sagt Gnant.

Elisabeth Gnant ist eine von knapp zwei Millionen Soloselbständigen in Deutschland. Wie vielen Menschen, die ihr eigener Chef sind, aber keine Angestellten haben, brach ihr zu Beginn der Corona-Krise ihr Einkommen weg. Weil Veranstaltungstechniker keine Events mehr zu beleuchten hatten und Tanzpädagoginnen keinen Unterricht vor Ort mehr geben durften, packte der Staat die "Bazooka" aus - so jedenfalls formulierte es der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz. Die damalige Bundesregierung stellte Milliarden bereit, um den Soloselbständigen in den ersten Monaten der Pandemie zu helfen, die Länder überwiesen das Geld oft innerhalb weniger Tage. Doch ein mutmaßlich großer Teil der Begünstigten musste oder muss das Geld zumindest teilweise zurückzahlen, so wie Elisabeth Gnant. "Damit hätte ich wirklich nicht mehr gerechnet", sagt sie, "nicht nach so langer Zeit."

Tatsächlich kamen die meisten Bundesländer früher - wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein - oder später - wie Bayern - auf die Menschen zu, die im Frühjahr 2020 die Unterstützung erhalten hatten. Sie wollten wissen, ob es zu einer sogenannten "Überkompensation" durch die Soforthilfe gekommen war, sprich: ob die Krise sie finanziell tatsächlich so schwer getroffen hatte wie zu Beginn der Corona-Maßnahmen befürchtet.

Schon im Frühjahr 2020 hatte sich angedeutet, dass die Soforthilfe eine Unterstützung mit Wenn und Aber sein würde. Die Krux, um die sich bis heute alles dreht: Zunächst waren die Betroffenen davon ausgegangen, das Geld auch nutzen zu dürfen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Mancherorts suggerierten das die Antragsbedingungen anfangs auch, andernorts ging es nicht eindeutig daraus hervor. So auch in Bayern, wo Elisabeth Gnant die Soforthilfe in dem Glauben beantragte, das Geld auch für Miete und Einkäufe nutzen zu können. Erst später stellten die Länder - auf Druck der damaligen Bundesregierung, die das Geld bereitstellte - klar: Die Selbständigen sollten den Zuschuss nur für Betriebsausgaben nutzen dürfen.

Jedes Land geht bei der Soforthilfe seinen eigenen Weg

Doch in vielen Branchen fallen diese für Soloselbständige kaum an, etwa weil sie von zuhause aus arbeiten oder keine hohen Materialkosten haben. Einige wenige Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bremen und Hamburg machten eine Ausnahme: Sie ermöglichten den Betroffenen, einen fixen Betrag für den Lebensunterhalt anzurechnen. In den anderen Ländern folgt aus dieser Regelung, dass viele Soloselbständige nur einen kleinen Teil der staatlichen Hilfe behalten dürfen. "Ich gehe davon aus, dass die allermeisten Soloselbstständigen, die zur Abrechnung aufgefordert wurden, zumindest mit einer Teil-Rückforderung konfrontiert sind", sagt Gunter Haake, der sich bei der Gewerkschaft Verdi um die Belange von Selbständigen kümmert. Allerdings ging und geht jedes Bundesland bei der Soforthilfe seinen eigenen Weg. Das Saarland, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt prüfen nur stichprobenartig, ob die Soforthilfe so verwendet worden ist wie vorgesehen, auch in Bremen gab es bis heute kein generelles Rückmeldeverfahren.

Eigentlich hatte auch Bayern darauf verzichten wollen. Doch "stichprobenartige Überprüfungen" hätten darauf schließen lassen, "dass rund die Hälfte der Soforthilfe-Empfängerinnen und Empfänger (...) tatsächlich geringere Liquiditätslücken hatten als zunächst erwartet", heißt es beim bayerischen Wirtschaftsministerium. Daraufhin habe der Bund "ein umfassendes Kontrollverfahren" gefordert. Deshalb bekam auch Elisabeth Gnant Post.

Dabei hatte alles so gut begonnen. Als Gnant am letzten Märztag 2020 die Soforthilfe erhielt, war sie positiv überrascht gewesen. Statt der 2100 Euro, die sie damals als Liquiditätsengpass ermittelt hatte, waren ihr 5000 Euro überwiesen worden. Damals transferierten mehrere Länder einen pauschalen Zuschuss auf die Konten der Soloselbständigen. "Ich ging anfangs schon davon aus, die Differenz von knapp 3000 Euro später zurückzahlen zu müssen", sagt Gnant. Dass dies passieren könnte, stand so auch im Antrag. Doch die Monate vergingen, in denen sie weiterhin keinen Tanzunterricht anbieten durfte - insgesamt sollten es 43 Wochen in den Jahren 2020 und 2021 werden.

Anfangs legte sie die Soforthilfe zurück und lebte von Erspartem, von Spenden ihrer Schülerinnen und Schüler und ihrem Teilzeitjob in der Gastronomie. Irgendwann, sagt sie, habe sie die Soforthilfe doch antasten müssen, um ihre Miete bezahlen und ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. "Bis Mitte 2021 hatte ich sie aufgebraucht", sagt Gnant. Da hatte sie insgesamt schon fast zehn Monate lang nicht ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen können. Die Soforthilfe hatte der Staat jedoch nur für die ersten Pandemiemonate vorgesehen. Später traten andere Programme an ihre Stelle, die viele Soloselbständige wegen der vorangegangen Querelen gar nicht mehr beantragten.

Viele Selbständige fühlen sich schon wieder im Stich gelassen

Jetzt, so hat Gnant es mit ihrem Steuerberater ausgerechnet, muss sie bis zum Sommer die gesamten 5000 Euro zurückzahlen. Denn die Raummiete, die sie für ihre Kurse zahlt, ist vergleichsweise gering. Und weil sie im Frühjahr 2020 Spenden erhalten hatte, muss sie dies als Einnahmen geltend machen. Bei Gunter Haake von Verdi gehen gerade viele Anfragen zu Fällen ein, die dem der Münchnerin ähneln. "Die Menschen, die auf uns zukommen, sind oft sehr frustriert und schwer enttäuscht von der Politik."

In Nordrhein-Westfalen haben einige Soloselbständige bereits erfolgreich geklagt: Am Freitag entschied das Oberverwaltungsgericht in Münster, dass die (Teil-)Rückforderungen von Corona-Soforthilfen in dem Bundesland rechtswidrig waren. Welche konkreten Folgen das Urteil für die Kläger haben wird, ist bislang unklar, da die schriftliche Urteilsbegründung noch aussteht. "Wir prüfen auch in anderen Ländern die juristischen Möglichkeiten und üben politischen Druck aus", sagt Verdi-Mann Haake, "allerdings hatte NRW bei der Kommunikation besonders große Fehler gemacht, die es in dieser Form woanders nicht gab."

Mancherorts, etwa in Brandenburg oder Schleswig-Holstein, ist die reguläre Frist für die Rückzahlung ohnehin längst verstrichen, weil das Rückmeldeverfahren hier schon früh begonnen hatte. In Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern ist noch Zeit bis 30. Juni 2023. Nordrhein-Westfalen hat die Frist gerade bis zum 30. November verlängert. In Bayern könnten "im Einzelfall großzügige Ratenzahlungen von bis zu 24 Monaten gewährt werden", die man ab Juni online beantragen können soll, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium in München. Ähnlich äußern sich die Ministerien in Stuttgart und Hannover. "Ich gehe davon aus, dass die Länder, in denen noch Rückzahlungen ausstehen, relativ kulant vorgehen werden, um den politischen Druck rauszunehmen", sagt auch Gunter Haake von Verdi. Eine "ultimative Wohltat" sei das aber nicht nach all dem, was bei der Soforthilfe schief gelaufen sei. "Das ganze Drama zeigt, dass Soloselbständigkeit als Wirtschaftsmodell hierzulande nicht wirklich anerkannt ist", findet Haake.

Elisabeth Gnant sagt, sie befinde sich gerade im "Verdrängungsmodus". Dienstags, mittwochs und donnerstags unterrichtet sie Tanz und Pilates, dreimal die Woche arbeitet sie in der Gastronomie, fast alles wieder wie vor der Pandemie. Sie hat inzwischen sogar wieder etwas Geld angespart, sagt Gnant. Doch das brauche sie für die jährliche Steuernachzahlung, auf die man sich als Selbständige einstellen müsse. Sie hofft auf Verdi und eine Petition, die gegen die Rückzahlung mobil macht. Trotzdem: Sie geht davon aus, das Geld an den Staat zurück überweisen zu müssen. "Nur leise und kampflos will ich es nicht tun", sagt Gnant.

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