Süddeutsche Zeitung

Krisen-Finanzierung:Berlin ringt um Corona-Bonds

Lesezeit: 3 min

Von Marc Beise, Björn Finke, Brüssel, und Cerstin Gammelin, Berlin, Berlin/Brüssel

Die Debatte um gemeinschaftliche europäische Anleihen zur Bewältigung der Corona-Krise erreicht mit voller Wucht die Bundesregierung. In einer ganzseitigen Anzeige baten Bürgermeister der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen italienischen Regionen am Dienstag eindringlich um deutsche Solidarität. Sie fordern die gemeinsame Ausgabe von europäischen Staatsanleihen "für einen großen europäischen Rettungsplan". Sie erinnern an die Solidarität mit den Deutschen nach 1945, als ihnen Schulden erlassen wurden. Der Aufruf ist ungewöhnlich. Die Bundesregierung lehnt Corona-Bonds bislang strikt ab. "Bonds nein", andere Hilfen ja, sagte CSU-Parteichef Markus Söder am Dienstag in München. Bereits am Montag sprach sich das CDU-Präsidium gegen Anleihen aus.

Der Streit dreht sich darum, dass die Europäer gemeinsam Anleihen ausgeben, für die sie alle zusammen haften. Kann ein Land seinen Zinsanteil nicht mehr zahlen, müssen die anderen Staaten dafür einspringen. Die gemeinschaftliche Haftung ist heftig umstritten, besonders Deutschland, Finnland und die Niederlande sind strikt dagegen. Der Vorteil dieser gemeinsamen Anleihen liegt darin, dass schwächere Staaten wie Italien von der besseren Kreditwürdigkeit anderer Staaten profitieren. Sie können billiger Kredite aufnehmen.

Für Deutschland, Frankreich und andere würde es teurer. Die SPD stellte am Dienstag klar, dass sie zumindest bereit sei, über solche Anleihen zu reden. Man müsse über den Tag hinausschauen und sich "Gedanken über die gemeinschaftliche Kapitalbeschaffung im Euro-Raum machen", schrieb Rolf Mützenich, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, an seine Fraktion. Die SPD-Spitze hatte sich zuvor auf eine einheitliche Linie für solidarische Corona-Hilfen verständigt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Co-Partei-Chef Norbert Walter-Borjans schlagen demnach vor, die Europäische Investitionsbank EIB nach dem Vorbild der deutschen Förderbank KfW auszubauen, um kleinere und mittelgroße Unternehmen in Europa zu unterstützen. Zudem solle der Euro-Rettungsschirm ESM Regierungen mit Krediten helfen. Ausdrücklich weisen sie darauf hin, dass die Europäische Zentralbank die ESM-Hilfen flankieren könne.

Scholz und seine Amtskollegen aus der EU werden kommenden Dienstag über Finanzhilfen in der Pandemie beraten. Bis zum Ende kommender Woche sollen die Staats- und Regierungschefs in einer Video-Konferenz den Ergebnissen zustimmen. Im Einladungsschreiben für die Schalte der Finanzminister schlägt Mário Centeno, Chef des Gremiums, vor, dass die Minister weiter an Hilfsprogrammen durch den Euro-Rettungsschirm ESM und die Europäische Investitionsbank arbeiten. Daneben könnte über neue Vorschläge der EU-Kommission oder andere "konkrete, gerechtfertigte, wirksame Vorschläge" diskutiert werden, heißt es in dem Schreiben, das der SZ vorliegt. Corona-Anleihen sind nicht erwähnt, würden jedoch unter den letzten Punkt fallen.

Die Staats- und Regierungschefs diskutierten bereits vorige Woche in einer Video-Konferenz über Finanzhilfen, konnten sich aber nicht einigen. Neun Regierungen, darunter die von Italien, Frankreich und Spanien, hatten vor diesem Gipfel in einem Brief die Einführung von Corona-Bonds gefordert. Doch in der Schalte sprachen sich neben der deutschen auch die Regierungen von Österreich, Finnland und den Niederlanden dagegen aus. Sie lehnen die Vergemeinschaftung von Schulden ab. Zugleich machten Italien und Spanien klar, dass ihnen die Angebote des Euro-Rettungsschirms nicht ausreichen an Solidarität.

Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra räumte am Dienstag Fehler in der Debatte über Corona-Hilfen ein. Einige seiner Bemerkungen hätten eine "zu geringe Anteilnahme" für die besonders betroffenen Länder gezeigt, sagte Hoekstra. Ministerpräsident Mark Rutte war deshalb in die Kritik geraten. Gemeinsame Anleihen lehnt die Regierung trotz der versöhnlichen Worte allerdings weiter ab.

Die Bundesregierung muss auch mit veränderten Positionen ihrer Berater zurechtkommen

EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen versucht daher, Bewegung in die festgefahrene Debatte zu bringen. Sie kündigte an, den Entwurf für den EU-Haushaltsrahmen für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 zu überarbeiten. Der neue Budgetvorschlag soll ein Konjunkturpaket enthalten, um die Wirtschaft nach der Pandemie anzukurbeln. Das könnte vor allem finanzschwachen Staaten helfen, die stark unter der Pandemie leiden, etwa Spanien und Italien. Der bisherige Finanzrahmen läuft im Dezember aus, und die Staats- und Regierungschefs konnten sich bislang nicht auf einen Nachfolger einigen. Offenbar befürchtet die Kommission, dass der Streit um Corona-Anleihen sich hinziehen und die Stimmung vergiften könnte, ohne zu Ergebnissen zu führen. Die Logik hinter dem Vorpreschen: Regierungen wie die deutsche und niederländische wollen Solidarität zeigen, lehnen aber die Vergemeinschaftung von Schulden ab. Stattdessen könnten sie dann ein üppigeres EU-Budget und höhere Beitragszahlungen von 2021 an akzeptieren, um mehr Hilfen aus Brüssel zu ermöglichen. Inzwischen plädieren auch deutsche Ökonomen für Corona-Bonds.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4863159
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.04.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.