Möbelindustrie:Wie schön ist das denn

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Rein ins geöffnete Möbelhaus: Probesitzen auf Couch und Bürostuhl ist vielen vor dem Kauf wichtig. Rohstoffe wie Holz wurden dramatisch teurer. Küchenbauer machten gute Geschäfte. (Foto: imago (2), dpa (2))

Endlich eine neue Couch kaufen oder die Küche renovieren: Viele hübschen gerade ihr Zuhause auf. Warum die deutsche Möbelindustrie trotzdem nicht jubelt.

Von Benedikt Müller-Arnold, Köln

Das Fachwort lautet "Cocooning", angelehnt an den Kokon, den etwa Seidenraupen um sich spinnen: Wer während der Pandemie mehr Zeit zu Hause verbringt, der will es wenigstens behaglich haben - so wie die Schmetterlingslarve im Kokon. Daher gilt die Möbelbranche gemeinhin als Gewinnerin der Krise. Wenn etwa Fernreisen ausfallen, bleibt vielen Menschen mehr Geld fürs Mobiliar. Und niedrige Zinsen lassen eine Investition in die Wohnung attraktiv erscheinen.

Blickt man auf Zahlen, die der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) nun vorgestellt hat, dann scheint sich der Eindruck auf den ersten Blick zu bestätigen. 760 Euro habe ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland voriges Jahr für Einrichtung ausgegeben, meldet der Verband. 2019 seien es nur 725 Euro gewesen.

Auch 2021 hat für hiesige Hersteller scheinbar gut begonnen. Der VDM berichtet für das erste Halbjahr einen Umsatz von 8,4 Milliarden Euro, das seien vier Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Doch genau dieser Vorjahreszeitraum war besonders schwach, angesichts wochenlang geschlossener Möbelhäuser. Und auch 2021 war der wichtigste Absatzkanal der Industrie lange versperrt. "Wir können jetzt nicht in Jubelstürme ausbrechen", konstatiert VDM-Geschäftsführer Jan Kurth. So hätten hiesige Möbelhersteller von Januar bis Juni noch immer sechs Prozent weniger verkauft als im ersten Halbjahr 2019, als Corona nur eine Biermarke war. Die Pandemie hat die Branche vor allem in vier Punkten verändert.

Längere Lieferzeit, höhere Preise: Wer heute eine Küche oder Schrankwand ordert, muss mit längeren Lieferzeiten rechnen - und mittelfristig wohl mit höheren Preisen. Denn Möbelhersteller beklagen "erhebliche Engpässe" bei wichtigen Rohstoffen. Das Statistische Bundesamt meldete etwa, dass Werkstoffe wie Holz oder Schaumstoff in diesem Jahr um bis zu 83 Prozent teurer seien als vor einem Jahr. Mehrere Betriebe hätten ihre Produktion tageweise heruntergefahren, sagt Kurth, aus Mangel an Material.

Konstruktionsvollholz war zuletzt 83 Prozent teurer als im Vorjahreszeitraum, meldete das Statistische Bundesamt. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Die Engpässe haben mehrere Gründe. Zu Beginn der Krise hatten viele Grundstoffhersteller Kapazitäten heruntergefahren. Doch Volkswirtschaften wie China erholten sich schneller, als viele Fachleute erwartet hatten. Hinzu kamen knappe Kapazitäten in der internationalen Logistik. Zudem bremste ein heftiger Wintereinbruch Anfang des Jahres die erdölverarbeitende Industrie in den USA aus, die viele Vorprodukte exportiert.

"Es ist davon auszugehen, dass die höheren Produktionskosten in der Wertschöpfungskette weitergegeben werden müssen", unkt Kurth. Wie viel teurer Möbel letztlich werden, entscheide freilich der Handel. Im Schnitt bräuchten Hersteller derzeit jedenfalls zwei Wochen länger, um Möbel zu liefern, so der Verbandschef. "Wir gehen nicht davon aus, dass sich das Thema im zweiten Halbjahr entschärfen wird."

Küche gefragt, Büromöbel nicht: Ob eine Möbelfirma Gewinner oder Verlierer der Pandemie ist, hängt stark von den Produkten ab. So haben hiesige Küchenbauer und Polstermöbelproduzenten im ersten Halbjahr etwa ein Sechstel mehr umgesetzt als im Vorjahreszeitraum, meldet der VDM. "Küche treibt das Geschäft", sagt Kurth. Deutschland hatte die Mehrwertsteuer von Juli bis Dezember 2020 gesenkt; so wurde es günstiger, eine Küche oder ein Sofa zu kaufen. Einige dieser Aufträge hätten sich Anfang 2021 noch in Umsätze verwandelt, so Kurth.

Sowohl im Inland als auch im Ausland gefragt: Küchenbauer sind die derzeit erfolgreichsten Firmen der deutschen Möbelindustrie. (Foto: Daniel Ingold/imago)

Schlechter sieht es hingegen bei hiesigen Büromöbel-Herstellern aus. Sie hätten in der ersten Jahreshälfte noch mal etwas weniger verkauft als im schwachen Vorjahreszeitraum, meldet der VDM. Hier macht sich bemerkbar, dass Unternehmen während der Krise weniger Geld für Einrichtung ausgeben. Kein Wunder, arbeiten doch viel mehr Menschen von zu Hause aus.

Viel mehr Online-Käufe: Wenn Paketdienste während der Pandemie neue Rekorde verkünden, dann berichten sie von mehreren Entwicklungen. Wer schon immer gern Mode im Internet gekauft hat, der hat in den vergangenen Monaten tendenziell noch häufiger bestellt. Hinzu kommen Menschen, die erst in der Krise entdeckt haben, wie gut Onlinehandel funktionieren kann. Und dann gibt es Waren wie Gartenmöbel, die vor der Pandemie fast nie im Internet bestellt wurden. "Das ist zum Beispiel auch ein Wachstumsmarkt", sagte zuletzt Marten Bosselmann, Chef des Bundesverbands Paket und Expresslogistik, bezogen auf Gartenmöbel.

Eine beträchtliche Belastung für Zusteller, die der VDM bestätigt: Der Möbel-Onlinehandel habe "in der Corona-Krise einen Schub erfahren", sagt Kurth. Der Verband schätzt den Anteil der Käufe im Internet "mittlerweile auf mindestens 20 Prozent". Viele Hersteller berichteten, dass Online-Bestellungen für sie an Bedeutung gewonnen hätten.

Probesitzen im Möbelhaus: Darauf haben viele verzichtet und Bürostühle stattdessen online bestellt. (Foto: Robert Michael/dpa)

Der Markt wird internationaler: Gerade die Kombination aus Käufen im Internet und wochenlang geschlossenen Möbelhäusern verschiebt die Marktanteile. So berichtet der VDM, dass die Möbelimporte nach Deutschland im ersten Halbjahr um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen seien. "Viel aus China ist hinzugekommen", sagt Kurth - und verweist etwa auf Bürostühle oder Rollcontainer für das Home-Office, allgemein auf Möbel mit hohem Metallanteil. Auch aus Polen und Italien habe Deutschland mehr eingeführt als im Vorjahreszeitraum, beispielsweise Polstermöbel oder Schränke. Hiesige Hersteller haben also Anteile auf dem Heimatmarkt verloren. "Das bereitet uns Sorge", sagt Kurth und wirbt für klare Herkunftsangaben auf Mobiliar.

Der Möbelindustrie mit ihren knapp 79 000 Beschäftigten in Deutschland bleibt aber ein Trost: Auch sie habe in der ersten Jahreshälfte mehr exportiert, meldet der VDM - mehr sogar als im letzten Halbjahr vor Ausbruch der Pandemie. "Auslandsmärkte treiben das ganze Geschäft", sagt Kurth. Deutschland verkauft beispielsweise mehr Küchenmöbel nach Frankreich, Österreich oder in die Schweiz. Insgesamt erwartet die Branche, dass ihr Exportanteil in diesem Jahr so hoch sein dürfte wie nie zuvor.

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